Das Renteneintrittsalter im Vergleich
Manchmal erfährt man sogar in der Tagesschau etwas Neues.
In der Sendung vom 23.September 2010 berichtete der Nachrichtensprecher von einem Generalstreik in Frankreich. Die Neuigkeit bestand nun nicht in der Information, daß im Gegensatz zu Frankreich, Italien, Spanien, Griechenland und anderen Ländern in Deutschland ein Generalstreik gesetzlich verboten ist. Die Neuigkeit versteckte sich in einem winzigen Nebensatz.
Der Anlaß für den Ausstand war nämlich die Erhöhung des Renteneintrittsalters in Frankreich. Man könnte nun als gutgläubiger deutscher Fernsehzuschauer meinen, daß es sich ähnlich wie bei uns um die Verschiebung des Renteneintritts von 65 auf 67 Jahre handelt. Weit gefehlt. In Frankreich gab es einen Generalstreik, weil der Renteneinstieg von 60 auf 62 Jahre erfolgen sollte!
Wie ist das möglich? Die spätere Rente bei uns wird mit dem quasi unabänderlichen physikalisch-demographischen Naturgesetz begründet. Leben die Franzosen in einem Paralleluniversum? Es ist klar, daß neben dem Renteneintrittsalter noch weitere Faktoren wie Inflation, Lebenshaltungskosten etc. wichtig sind. Trotzdem ist die Zahl signifikant. Betrachten wir also das deutsche Renteneintrittsalter im europäischen Vergleich.
In Deutschland war lange Zeit für Männer und Frauen mit 65 Jahren Schluß.
Das Altersgenzenanpassungsgesetz verfügte die schrittweise Erhöhung auf 67 Jahre. Die Anhebung erfolgt ab 2012 zunächst in Ein-Monats-Schritten, so daß die Altersgrenze bis 2024 auf 66 Jahre steigt. Im Zeitraum 2025 bis 2031 wird die Arbeitsgrenze in Zwei-Monats-Schritten von 66 Jahren auf 67 Jahre "angepasst".
Im EU-Vergleich unterscheidet sich die bisherige deutsche Regelung bei Männern nicht so gravierend vom Durchschnitt von 63,9 Jahren. Es gibt zwar eine Reihe von Staaten, wo man mit 61,62 oder 63 Jahren in Rente gehen konnte, aber die wichtigsten Industrieländer schickten die männlichen Rentenversicherten ebenfalls mit 65 in den wohlverdienten Ruhestand. Allein Frankreich hatte mit 60 Jahren eine absolute Ausnahmestellung.
Krasser fielen die Unterschiede in der Vergangenheit bei den Frauen aus. Mußten sie in Deutschland bis 65 arbeiten, konnten sie sich in Ländern wie Österreich, Bulgarien, Estland, Großbritannien, Frankreich, Griechenland, Italien, Litauen, Malta, Polen, Rumänien, Slowenien, Slowakei und Tschechien breits mit 61, 60 oder gar 59 Jahren vom Stress der Arbeitswelt erholen.
In den letzten beiden Jahren zeichnet sich eine starke gesamteuropäische Tendenz zur Anhebung des Renteneintrittsalteres ab. Trotzdem ist nur in den von der Finanzkrise geschüttelten Irland und Lettland mit 68 Jahren ein höheres Rentenalter als in Deutschland geplant. Dänemark und die Niederlande steuern ebenfalls auf die 67 zu. In allen anderen Ländern wird es - soweit die Pläne bis heute bekannt sind - maximal auf die 65-Jahre-Grenze hinauslaufen. Die von der Sarkozy-Regierung in Frankreich angestrebten 62 Jahre hatten wir bereits in der Einleitung erwähnt.
Fazit: In Deutschland haben die lohnabhängig Beschäftigten (hier vor allem die Frauen) in der Vergangenheit länger als der europäische Durchschnitt gearbeitet und sie werden dies auch in Zukunft tun.
Von den gesetzlichen Regelungen einmal ganz abgesehen: viele Ältere werden angesichts der sich abzeichnenden Altersarmut arbeiten müssen. Das Märchen vom sorglosen Dasein im letzten Lebensabschnitt wird eine der vielen Erzählungen vom nur wenige Jahrzehnte währenden Goldenen Zeitalter des Kapitalismus sein, die die Nachkommen in der Zukunft mit ungläubigem Staunen vernehmen werden.
Betrachten wir zum schlechten Schluß noch zwei Schlüsselfiguren in der Rentendebatte.
Der Professor für Wirtschafts- und Finanzpolitik Bert Rürup optimierte nach der Emeritierung seine Finanzen beim "unabhängigen Finanzoptimierer" AWD als Chefökonom und Sonderberater für die private und betriebliche Altersversorgung. Nachdem der AWD-Gründer Maschmeyer seine Anteile verkauft hatte,
gründete er zusammen mit Rürup als Beratungsgesellschaft für Banken, Versicherungen wie auch Regierungen die MaschmeyerRürup AG.
Walter Riester, ehemaliger Spitzenfunktionär der IG Metall, SPD-Bundestagsabgeordneter und von 1998 bis 2002 Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, besserte nach seinem Ausscheiden 2009 aus der Politik seine karge Ministerpension als Referent bei verschiedensten Unternehmen der Finanzdienstleistungsbranche sowie als Aufsichtsratsmitglied von ArcelorMittal Bremen und des Finanzdienstleisters Union Asset Management Holding auf.
Die Redaktion des Infoblogs hält es da eher mit den Kollegen von der Basis der IG Metall, die auf einer Demonstration gegen die Erhöhung des Renteneintrittsalters im Juni 2008 folgendes Transparent hochhielten:
"Vom Band ins Grab? Verarschen können wir uns selber!"
Heute nun haben die französischen Gewerkschaften zu weiteren Massenstreiks gegen die Erhöhung des Renteneintrittsalters aufgerufen. Der Frankreich-Korrespondent des Nachrichten-Radios B5 aktuell schätzte heute am frühen Morgen die Lage so ein: Beteiligt sich eine große Anzahl von Menschen an den Streiks,dann kippt die "Rentenreform". Beteiligen sich zu wenige, dann müssen die Franzosen länger arbeiten.
So leicht, so schwer ist das.
In jedem Fall wird vom Ausgang der heutigen Aktionen eine Signalwirkung auf ganz Europa ausgehen.
Die Redaktion des Infoblogs solidarisiert sich mit den Massenstreiks in Frankreich und wünscht euch eine starke Streikbeteiligung. Bon courage!
Quellen:
http://de.wikipedia.org/wiki/Rentenalter
http://de.wikipedia.org/wiki/Bert_Rürup
http://de.wikipedia.org/wiki/Walter_Riester
Die Franzosen machen es richtig. Sie wehren sich. Ich kann mich nicht erinnern, daß ein Deutscher auf die Straße ging, als es hieß: Rente mit 67!
AntwortenLöschenAußerdem ist es sehr interessant, zu sehen, welchen -Nebenverdienst- unsere Politiker erhalten und von wem, bzw. wo sie nach dem Ausscheiden mitwirken.
Daran erkennt man klar, welche Interessen sie in Wahrheit vertreten. Die, ihres Geldbeutels