Donnerstag, 28. Juli 2011

"Aber dann steht man wieder auf": Interview mit Nicole Molthan

Gespräch mit der Gesamtbetriebsrats-Vorsitzenden bei Weltbildplus/Jokers (Teil 2)


Infoblog: Seit wann bist Du Betriebsrätin?


Nicole Molthan: Seit Dezember 2009 bin ich Betriebsrätin für die Jokers-Filiale in Göttingen.

Infoblog: Es war bestimmt nicht immer ganz einfach, oder?


Nicole Molthan: Der Anfang war wirklich nicht ganz einfach. Da es keine bereits existierenden Betriebsräte gab oder wenigstens das Gremium aus mehr als einer Person beständen hätte, wusste ich am Anfang auch nicht so recht, was da auf mich zukommen würde und was ich jetzt eigentlich tun muss. Anders als in anderen Betrieben, wo der BR in der Regel doch zumindest aus drei Personen aufwärts besteht, konnte ich keinen gewieften, langjährigen, mit allen Wassern gewaschenen BR-Kollegen um Rat und Beistand fragen. Daher dauerte vieles natürlich etwas länger. Aber mittlerweile bestehen enge Kontakte zu meinen BR Kollegen von Hugendubel; der Verlagsgruppe Weltbild; DBH Warenhaus; Deuerlich; Weiland; Schmorl & von Seefeld und Wohlthat’s.


Infoblog: Und seit wann bist Du GBR-Vorsitzende?

Nicole Molthan: Nach einigen Anlaufschwierigkeiten (das „Börsenblatt“ berichtete im April 2010, dass der Gesamtbetriebsrat nicht kommen würde) bin ich seit Juli 2010 die Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats, der zur Zeit naturgemäß nur aus zwei Mitgliedern besteht. Aber ich bin zuversichtlich, was die Erhöhung der Mitgliederzahl angeht (lacht).

Infoblog: Was sind Deine Hauptaufgaben als GBR-Vorsitzende?

Nicole Molthan: Meine Hauptaufgabe ist sicherlich, den Kolleginnen und Kollegen bei Fragen rund um das Thema „Betriebsrat“ und „Betriebsratsarbeit“ mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Dazu gehören Informationen allgemeiner Art, aber auch die persönliche Beratung und Unterstützung. Und natürlich viel Überzeugungsarbeit, Aufklärungsarbeit und Ermunterung. Ich denke, bei vielen Kolleginnen und Kollegen erwächst jetzt so langsam ein Bewusstsein dafür, dass sie nicht ohne Rechte sind, aber dass sie für die Durchsetzung dieser Rechte selber aktiv werden müssen. Und dabei wird sie der GBR unterstützen. Der GBR bietet Hilfe zur Selbsthilfe.


Infoblog: Was war/ist für Dich die verblüffendste Erkenntnis als BR/GBR-Vorsitzende?

Nicole Molthan: Dass die Betriebsratsarbeit wirklich Spaß machen kann. Ich hatte am Anfang nur diffuse Vorstellungen. Ich dachte, man muss sich nur mit trockenen Gesetzestexten und Vorschriften beschäftigen. Mit der Zeit habe ich aber gelernt, wie interessant und spannend es ist, dass Betriebsverfassungsgesetzt mit Leben zu erfüllen. Natürlich stößt man immer wieder auf Schwierigkeiten und auf den ersten Blick schier unüberwindbare Hindernisse, die einen kurzzeitig vielleicht entmutigen. Aber dann steht man wieder auf und versucht einen anderen Weg.


Infoblog: Was ist Deiner Meinung nach wichtig für die Betriebsratsarbeit?

Nicole Molthan: Beharrlichkeit, Neugierde, Lernbereitschaft, Gerechtigkeitssinn, Konfliktfähigkeit und Humor.
Und natürlich auch der Mut, Fehler zu machen und aus diesen zu lernen. Ich glaube, Passivität, vielleicht aus Angst etwas falsch zu machen, ist der größte Feind erfolgreicher Betriebsratsarbeit.


Infoblog: Wie kommunizierst Du mit den Kolleginnen und Kollegen in den Filialen?

Nicole Molthan: Jede Kollegin und jeder Kollege hat zwei persönliche Info Briefe des GBR bekommen, in denen es um die Voraussetzungen und die Notwendigkeit der BR Wahl ging.

Da es sich um räumlich weit voneinander entfernte Filialen handelt, bleibt mir oft nur das Mittel der Rundmail. Diese Wahl der Kommunikation ist nicht ganz zufriedenstellend, da die Rundmails des GBR in der Flut der täglichen Filialmails leicht untergehen können. Aber die Information über Mails entspricht den Gepflogenheiten des Unternehmens. Dies leuchtet auch ein, wenn man sich klar macht, dass es schier unmöglich ist, komplexe und auch nicht für die Öffentlichkeit gedachte Themen wie die BR Wahl am Telefon zu besprechen, wenn man in Einerbesetzung im Laden an der Kasse steht. Andererseits hat das BetrVG ganz klar festgelegt, dass es jedem Mitarbeiter möglich sein muss, während seiner Arbeitszeit mit dem GBR Kontakt aufzunehmen. Daher bleibt die Mail vorerst wohl die erste Wahl. Jeder Mitarbeiter kann aber auch gerne telefonisch mit dem GBR Kontakt aufnehmen und in gemeinsamer Abstimmung wird sich bestimmt die Möglichkeit für ein ausführliches Telefongespräch finden.


Infoblog: Trotz allem geht es in unserem Beruf immer noch um Bücher: 
Wenn Du nach Job und Betriebsratsarbeit noch Zeit hast - welches Buch liest Du gerade bzw. kannst Du den Leserinnen und Lesern des Infoblogs empfehlen?

Nicole Molthan: Ich bin leider auch der Unsitte verfallen, wie vermutlich viele leidenschaftliche Buchliebhaber, dass ich meistens mehrere Bücher gleichzeitig lese. Eigentlich möchte ich mich immer nur auf ein Buch konzentrieren, dann kommt doch wieder ein neues spannendes Buch dazwischen. Zur Zeit lese ich also als „Hauptbuch“ von Lea Singer „Vier Farben der Treue“ und erfreue mich sehr am Sprachstil. Gleichzeitig sind folgende vier Bücher angelesen und warten auf die Entscheidung, welches von ihnen das nächste „Hauptbuch“ wird. Von Eckart Kleßmann „Universitätsmamsellen“ mit Bezug zu Göttingen; „Als Poesie gut – Schicksale aus Berlins Kunstepoche 1786 bis 1807“ von Günter de Bruyn; „Witwe im Wahn“ von Oliver Hilmes oder doch „Drood“ von Dan Simmons. Mal sehen.


Infoblog: Und ganz allgemein: Gibt es einen Autoren oder Bücher für dich, die du immer wieder lesen könntest, quasi „all time favourites“?

Nicole Molthan: Oh je, wenn ich die alle aufzählen würde, könntet ihr euren Blog vermutlich wegen Speicherkapazitätüberschreitung schließen (grinst).

Ich versuche mich also zu beschränken. Lieblingsautoren/innen sind für mich Jane Austen, Arthur Schnitzler, Thomas Mann, Theodor Fontane, Henry James, Elisabeth von Arnim, Oscar Wilde, Edgar Allan Poe, die Brontës und um wenigstens noch zwei zu nennen, die noch nicht seit Ewigkeiten vor sich hin modern ....
Sven Regener und Max Goldt.


Infoblog:  Liebe Nicole, vielen Dank für das sehr aufschlußreiche Gespräch und die Literatur-Tips zum Schluß! Wir wünschen Dir für Deine Arbeit als Betriebsrätin und GBR-Vorsitzende viel Kraft, Geschick und die notwendige Portion Humor!


(Der erste Teil des Interviews erschien gestern im Hugendubel-Infoblog).


Nicole Molthan ist unter folgenden Kontakt-Mail-Adressen zu erreichen:
nicole.molthan@wbpd.de
gbr-welt-bild-plus@web.de


Zum Weiterlesen ein Situationsbericht eines Kollegen von Weltbildplus:
http://hugendubelverdi.blogspot.com/2011/05/das-weltbild-von-weltbild.html#more





 

8 Kommentare:

  1. Dank an die Infoblog-Redaktion für dieses informative Interview und das Engagement und die Energie, die ihr hier reinsteckt!

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  2. Liebe Nicole,
    ich finde Dein Engagement toll und wünsche Dir, daß Du bald keine Einzelkämpferin mehr bleibst, sondern viele Mitstreiterinnen und Mitstreiter findest.

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  3. Liebe Nicole,
    vielen Dank für das Mut machende Interview. Dazu gehört eine Menge Courage. Respekt für die Standhaftigkeit. Und ich hoffe, daß das Beispiel Schule macht und viele Nachahmer findet. Was ich aber nicht verstehe, genau wie bei dem Artikel "Das Weltbild von Wildbild", ist, warum das Interview hier zu lesen ist und nicht beim Weltbild Blog. Jedenfalls hab ich es da nicht gefunden. Kann das mal einer erklären?

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  4. Es ist wirklich traurig, dass von 250 Filialen gerade mal 2 einen Betriebsrat haben. Das muß sich schleunigst ändern.
    Gerade, wenn man den anderen Artikel über die Schwierigkeiten dort liest (ich sage nur: kaum Möglichkeit auf die Toilette zu gehen, weil zu wenig Kollegen da sind; zu wenig Mitarbeiter an sich; viele nur 6 Stunden, da man bis 6 Std. keine Pause gewähren muss usw).
    Man muss sich kritisch mit der Situation vor Ort auseinandersetzen und sich bewußt machen, dass man was ändern kann.

    Ich hoffe wirklich, dass es bald mehr BRs in den Filialen geben wird. Es wäre sehr wichtig. Die Mitarbeiter brauchen eine Stimme und sie müssen endlich gehört werden.

    Gerade die Kirche als Arbeitgeber sollte sich mal dazu äußern. Gutes predigen, aber beim eigenen Unternehmen andere Maßstäbe ansetzen finde ich wirklich verachtenswert.

    Nicole wünsche ich ein gutes Durchhaltevermögen. Sie soll sich nicht unterkriegen lassen und ihr konsequentes Handeln als Betriebsrätin beibehalten.

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  5. Liebe Nicole,

    lass dich nicht kleinkriegen!
    Das wird noch ein langer, harter Weg werden.
    Aber wie heisst es: eine Reise von tausend Meilen beginnt mit dem ersten Schritt.

    Danke für Dein Engagement und alles Gute für den weiteren Weg!

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  6. Hallo,

    auch ich finde die Arbeit von Frau Molthan (oder darf ich Nicole sagen?) bemerkenswert und wünsche ihr viel Erfolg und Durchhaltevermögen für Ihre (Deine?) zukünftigen Ziele... und das scheinen ja einige zu sein. Der Weg wird steinig, aber es lohnt ihn zu gehen. Bewahren Sie (Du?) auch ihren offensichtlichen Humor, denn dieser kann nur nützlich sein (oder ist unabdingbar) bei dieser nicht leichten Aufgabe.

    Auch ich muß allerdings kritisch anmerken, dass der Beitrag unter Hugendubel und nicht unter Weltbild erscheint. Könnte man nicht auch einen separaten Jokers-Blog erstellen...? Sollte ein versierter Admin eigentlich "mit links" hinbekommen.

    Viele Grüße
    Der Bücher-Kommissar

    (Kein Gewerkschaftsmitglied, und daher mit "Sie" und "Du" nicht ganz so sicher).

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  7. Naja, wenn man sieht, wieviel Artikel im Weltbild-Blog erscheinen und wieviel bei Hugendubel, dann wär mir auch lieber, daß er hier erscheint, weil er einfach von mehr Leuten gelesen wird.

    Außerdem gehört Weltbild Plus doch auch zur DBH wie Hugendubel und Weltbild. Er ist hier als nicht falscher und wäre im Weltbild-Blog nicht richtiger.

    Danke auf alle Fälle für das informative Interview! Weiter so!

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  8. Der Fakt, dass dieses - übrigens sehr sachlich-informative -Interview im Hugendubel-Blog erscheint und nicht im Weltbild-Blog, hängt wahrscheinlich (nur eine Vermutung) damit zusammen, dass die Hugendubel-Redaktion einfach um einiges aktiver ist. Im Weltbild-Blog erscheint ja manchmal wochenlang kein einziger Beitrag. Aber ich bin mir sicher, dass man es sehr gerne den KollegInnen bei Weltbild überlassen würde, wenn sich jemand melden würde.

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