(Fast) ein Spielbericht
Den Bericht über eine Betriebsversammlung mit der fußballerischen Metaphorik eines Spielberichts zu unterlegen, kann seine Tücken haben. Schließlich gelten Fußballerspieler als wenig "buchaffin", um dieses Neusprech-Unwort zu verwenden. Auf die Frage nach seinem Lieblingsbuch antwortete Schalke-Legende Klaus Fischer irritiert: "Ich lese keine Bücher!". Auch rhetorische Komplexität kann man von den Spielern, ich sach ma, nicht gerade erwarten. Horst Hrubesch erklärte seinen erfolgreichsten Spielzug so: "Manni Bananenflanke, ich Kopf, Tor!" Gleichzeitig war das Kopfballungeheuer Hrubesch aber Buchautor, nämlich eines Fachbuches über Dorsch-Angeln.
Mit dem Machismo früherer Zeiten ist es allerdings vorbei, seitdem Frauenfußball durch die WM zu einem Massenphänomen geworden ist. Beginnen wir also mit dem Bericht, wobei das letzte Wort dennoch dem Kaiser vorbehalten sein soll: „Geht's raus und spuit's Fußball.“
Spielaufbau
Diese Hälfte der Betriebsversammlung mit dem Thema STV als zweite Halbzeit zu bezeichnen, ist dennoch ein Euphemismus.Wir kämpfen jetzt seit zwei Jahren um den STV und müßten uns deswegen in der vorsichtig geschätzt 479. Verlängerung befinden. Die Mittel, zu der Betriebsrat und STV-Kommission in diesem fortgeschrittenen Stadium greifen müssen, sind deswegen näher an der Blutgrätsche als am vorsichtigen Abtasten, auch Dialog mit der GL genannt: nämlich Streik und außerordentliche Betriebsversammlung.
Als Libero eröffnete deswegen unser Betriebsratsvorsitzender Uwe Kramm das Spiel mit einem öffnenden Pass: der Befragung der Mitarbeiter zum Thema Sozialtarifvertrag, die eine rege Beteiligung aufwies.
Über die Hälfte der Mitarbeiter nahm an der schriftlichen Befragung teil und zeigte damit ihr großes Interesse für den STV. Die Mehrheit der KollegInnen beantwortete die Frage nach Aufforderung zur Urabstimmung und die Frage nach einer gemeinsamen Betriebsversammlung mit einem JA.
Uwe Kramm bedankte sich nochmals bei den KollegInnen für diese Unterstützung und teilte mit, dass der Betriebsrat das so entstandene Meinungsbild sehr ernst nehme. Eine bessere soziale Absicherung sei unser aller Ziel. Die mehrheitlich geforderte bundesweite Betriebsversammlung möchte der Münchner Betriebsrat deswegen gerne in Angriff nehmen und durchführen.Eine Äußerung dazu war von der Geschäftsleitung leider nicht zu hören.
Das Spiel machen
Kramms Pass landete punktgenau im Mittelfeld, dort wo von Abwehr auf Angriff umgeschaltet und das Spiel gemacht wird, beim Kollegen Pankraz Görl nämlich, einem Mitglied der STV-Kommission. Der Trainer der gegnerischen Mannschaft, Personal-Chef Thomas Nitz, hatte diesmal die Mannschaftsaufstellung von BR und STV-Kommission vorher gelesen und sich dadurch die Peinlichkeit erspart, schon wieder den Vor- mit dem Nachnamen zu verwechseln.
Kollege Görl ist unseren Informationen zufolge in Franken aufgewachsen, der Heimat grandioser Mittelfeldspieler wie - jawohl - Lothar Matthäus und weiß daher, daß Druck nach vorne aufgebaut werden muß: "Wir kämpfen jetzt seit zwei Jahren um einen Sozialtarifvertrag. Wir haben dabei alle Dialogmöglichkeiten ausgeschöpft: Sozialtarif-Kommission, 400 Unterschriften der Belegschaft, Gesamtbetriebsrat und zuletzt einen neutralen Vermittler. Alles ohne Erfolg".
Daß Reden Silber und Laufen Gold ist, wußte schon Werner Beinhart Lorant, der seine Spieler beim Training so antrieb: "Ihr sollt laufen und nicht quatschen!" Kollege Görl, dem wir an dieser Stelle für die Überlassung seines Redetextes danken, wählte für das Scheitern des Dialogs mit der GL eine sachlichere Formulierung: "Die Zeit des Redens ist vorbei! Wir müssen die Sache jetzt mutiger und kämpferischer angehen! Das Ziel, das wir verfolgen ist der Sozialtarifvertrag.Was wir erreichen wollen, ist ein Kompromiß. Allerdings keinen schlechten oder faulen Kompromiß, sondern einen guten Kompromiß!
Kennzeichen eines guten Mittelfeldspielers ist es, daß er seine Mitspieler auch mal zusammenstaucht,
wenn der Spielfluß ins Stocken gerät: "Es gibt ja verschiedene Klischeebilder über Buchhändler: gebildet,belesen, nett, freundlich, zurückhaltend, geduldig. Ich denke, daß wir aufpassen müssen, daß wir nicht z u nett, z u freundlich, z u zurückhaltend und z u geduldig sind, sonst kommen vielleicht noch zwei weitere Klischeebilder dazu: dämlich und handlungsunfähig!"
Mach et, Schorsch!
Wenn wir jetzt sagen, der tödliche Pass wurde genau in den Lauf von Offensivspieler Schorsch Wäsler (früher Roter Stern Dorfen, jetzt ver.di-Gewerkschaftssekretär) gespielt, dann klingt das etwas makaber, da er dem Publikum die Todesliste der bereits geschlossenen oder demnächst schließenden Filialen und Abteilungen vor die Nase hielt:
Oktober 2010 - Hugendubel Internetabteilung
März 2011 - Nürnberg LudwigsplatzDezember 2011 - Buch Habel Wetzlar
März 2012 - Kassel City Point
März 2012 - Berlin Tauentzien (?)
Juni 2012 - München Salvatorplatz
2013 - Buch Habel Krefeld
Und das ganze mit der Aussage von Nitz vom August 2010 kontrastierte: „Ihre Aufforderung zur Verhandlung eines Sozialtarifvertrags habe ich erhalten. Die „dringliche Notwendigkeit im Hinblick auf drohende Filialschließungen“ kann ich nicht erkennen...".
Die dritte Halbzeit
Damit hätte man das Spiel eigentlich abpfeifen können - zumindest wenn es nach der GL gegangen wäre.
Jeder trottet brav nach Hause, trinkt den letzten Schluck aus seiner lauwarmen Bierdose (sofern er sie nicht halbvoll auf den Schiri geworfen hat) und freut sich, daß er aufgrund der unglaublichen Gnade der Geschäftsführung in diesem wundervollen Unternehmen dank göttlicher Fügung und durch die Weisheit der Konzernmitbesitzerin Mutter Kirche arbeiten darf. Jawohl: darf.
Diese Empfehlung an die Untertanen gab bereits im 18. Jahrhundert der heute vergessene Schriftsteller und Shakespeare-Übersetzer Christoph Martin Wieland heraus: "Friß Deine Knackwurst, Sklav´und halt´s Maul!". Leider hilft dieser wieder aktuell von Führungskräften ausgegebene Ratschlag "Ruhe ist die erste Mitarbeiter-Pflicht!" recht wenig. Denn gerade die Abteilung, die sowohl den Betriebsrat als auch jede Form von Gewerkschaftsarbeit ablehnte, wurde als erste zerschlagen. Man kann sich so mucksmäuschenstill verhalten wie man will, der Masterplan des DBH-Managements wird umgesetzt. Warum also wie das Kaninchen vor der Schlange auf den Tod warten? Werden wir lieber in der Kaninchen-Gewerkschaft aktiv und leisten Widerstand!
Da wir gerade bei den Klassikern sind: "Grau ist alle Theorie und grün des Lebens goldner Baum" heißt es in Goethes Faust. Und so wie Horst Hrubesch Buchautor ist, so wurde auch dieses Zitat von einem modernen Klassiker, nämlich der BVB-Legende Adi Preißler, in die fußballerische klassische Moderne geholt: „Grau is alle Theorie – entscheidend is auf'm Platz“.
Der Platz heißt in diesem Fall Salvatorplatz. Einen symbolischeren Ort hätte man für die Aktion nicht finden können: das vor 120 Jahren gegründete Stammhaus des tradtionsreichen vormaligen Familienunternehmens Hugendubel, das im Juni 2012 geschlossen werden wird.
Und damit kommen wir zu dem, worauf sich gewisse Ultras mehr und die Polizeikräfte weniger freuen: zur dritten Halbzeit, dem was also nach dem offiziellen Spiel statfindet. In unserem Fall lief aber alles friedlich ab.
Die eine Hälfte trottete zur Arbeit, die andere folgte dem Aufruf von Georg Wäsler zu einem einstündigen Warnstreik. Bei strahlender Sonne, selbstgemalten Plakaten, ohrenbetäubenden Trillerpfeifen und kurzen Megaphon-Statements zeigten die anwesenden Kolleginnen und Kollegen der weiteren Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen die rote Karte.
Apropos Rote Karte: Der Trainer der gegnerischen Mannschaft stellte sich selbst vom Platz und erteilte sich für alle Zeiten in der Peter-Handke-Kampfbahn vulgo Literaturhaus Stadionverbot. Und apropos Handke: Von Handke stammt übrigens nicht nur die völlig unsinnige These Die Angst des Tormanns beim Elfmeter, sondern er erklärte auch - völlig zurecht - eine Mannschaftsaufstellung des 1.FC Nürnberg aus den sechziger Jahren zum Gedicht.
Tja, auch eine dritte Halbzeit geht mal zu Ende.
Und dann kommt uns mit Heribert Faßbender die erkenntnistheoretische Feststellung:
Heute wieder keine Anspielstation.
Wir schalten zurück in die Sendeanstalten.
Sehr gut ge- und beschrieben. Auch für Nicht-Fussballfans :-)
AntwortenLöschenFinde ich auch. Ein super Lesespaß: erst gestern der erste Teil (ohne Fußball), und heute der zweite (mit F.)!
AntwortenLöschenWeiß vielleicht nicht jeder :
"Apropos Rote Karte: Der Trainer der gegnerischen Mannschaft stellte sich selbst vom Platz und erteilte sich für alle Zeiten in der Peter-Handke-Kampfbahn vulgo Literaturhaus Stadionverbot."
denn: Nitz hocherzürnt in Richtung Betriebsratstisch, als er nach dem Streikaufruf keine Redezeit mehr hatte:
"Das war die letzte Betriebsversammlung, bei der ich dabei war!" (sinngemäß)
Mal sehen, ob dieses "selbsterteilte Stadionverbot" auf Dauer Bestand haben wird?
Aber: wer darf es eigentlich überhaupt wieder aufheben; er selbst etwa? - oder nur der holländische Oberchef aus Augsburg??)
Eine klasse Vermittlung der ganzen Veranstaltung. Das macht einfach Lust auf mehr. Und der Anfang (von gestern) lohnte sich schon mindestens genauso. Ihr werdet immer besser!
AntwortenLöschenEiner der witzigsten Artikel, die ich in Eurem Blog jemals gelesen habe, und dass obwohl ich mich nicht für Fussball interessiere!
AntwortenLöschenEs gibt in unserer Firma so viele talentierte Leute, soviel Kompetenz und Kreativität.
Es ist eine Tragödie, dass das alles oben niemand interessiert. Lieber schaffen sie zwei Dutzend Selbstbedienungsterminals an.
Na ja, viel Ahnung hat der Schreiberling auch nicht, zumindest, wenn es um Fußball geht. Schau´Dir mal an, was sich hinter der "Dritten Halbzeit" verbirgt.
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