Freitag, 8. April 2011

Libri – Buchgroßhändler oder Logistiker?


„Streik-News:  Warnstreik bei Libri“. Unter diesem Titel hatten wir hier im Blog am 09. und 16. Dezember 2010 von einer Arbeitskampfmaßnahme  in Bad Hersfeld berichtet. Auslöser der Aktion, mitten im Weihnachtsgeschäft, war das Verbot einer geplanten Betriebsversammlung. Das Bad Hersfelder Arbeitsgericht hatte eine einstweilige Verfügung auf Antrag der Libri-Geschäftsleitung bestätigt.

Wir haben uns gefragt, wo denn die Hintergründe für so heftige Auseinandersetzungen liegen. Durch intensive Recherchen sind wir auf viele interessante Informationen gestoßen:

Der Ursprung liegt  im Jahr 2005: Der Arbeitgeber Libri GmbH stieg in jenem Jahr aus dem Arbeitgeberverband Groß-  und Außenhandel / Verlage Hessen aus. Dies bedeutete für die Belegschaft in Bad Hersfeld ausbleibende Tariferhöhungen und keine finanziellen Weiterentwicklungen bei möglichen Sprüngen in den folgenden Tätigkeitsjahren. Die Gehälter blieben mit dem Stand von 2005 weitgehend unverändert, was Libri mit dem Hinweis auf seine Wettbewerbsfähigkeit begründet. 

Fatal für die dortigen Arbeitnehmer, werden doch steigende Lebenshaltungskosten und inflationäre Entwicklung nicht wenigstens teilweise mehr aufgefangen. Für jeden Mitarbeiter bleibt nur der Schritt zum  Einzelgespräch, um  über eine Gehaltserhöhung zu verhandeln. Dafür ist allerdings viel Mut, Überwindung und Geschick von Nöten, mit meist wenig Aussicht auf Erfolg, da Arbeitgeber derzeit gerne auf hohe Personalkosten und schlechte wirtschaftliche Lage verweisen. 

Auch neuen Bewerbern um einen Arbeitsplatz bleiben nur die Optionen, das Gehaltsangebot bei Libri zu akzeptieren oder ein höheres Gehalt zu verhandeln, in letzterem Fall mit sinkenden Chancen auf Einstellung. Eingruppierungen nach Branchentarif erfolgen nicht mehr.

Jedoch ist es Libri nicht gelungen, vollständig aus der Tarifbindung auszusteigen. Wenigstens bis zum Ende seiner Laufzeit  hat der Manteltarifvertrag weiter Gültigkeit, da dieser in Hessen „allgemeinverbindlich“ ist.  Ein Tarifvertrag gilt dann als „allgemeinverbindlich“, wenn er vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales oder, wie in unserem Fall auf Landesebene, vom Hessischen Ministerium für Arbeit, Familie und Gesundheit dazu erklärt wurde. Die Allgemeinverbindlichkeit stärkt die Gleichbehandlung innerhalb einer Branche, gilt daher auch für Arbeitnehmer die nicht in der Gewerkschaft sind und bindet Arbeitgeber, auch wenn sie nicht mehr dem Arbeitgeberverband angehören. 

Auch um die Allgemeinverbindlichkeit des Manteltarifvertrages zu kippen ist Libri vor Gericht gezogen; jedoch ohne Erfolg. So verbuchen die Kolleginnen und Kollegen bei Libri noch jährlich Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld und weitere Leistungen für sich.

Selbstverständlich hat man bei Libri auch eine passende Begründung für den Ausstieg aus dem Arbeitgeberverband und das mangelnde Interesse eines Wiedereintritts:

Libri sieht sich nicht als Buchgroßhändler sondern als Logistiker, da man ja nur die Bücher zu den Kunden (Buchhandlungen) bringt, und mehr nicht.



An dieser Stelle eine Unterbrechung des Artikels für eine eigene Einschätzung:



Und wie geht es weiter?

Ganz sicher möchte die Belegschaft bei Libri wieder zu einem Tarifvertrag kommen. Mehrere Möglichkeiten könnten in Frage kommen:

  1. Der Arbeitgeber tritt wieder in den Arbeitgeberverband ein. Dieses Ziel verfolgt die Geschäftsführung sicher nicht, gilt also als unwahrscheinlich.
  2. Der Anerkennungstarifvertrag:  Diese Vertragsform würde regeln, dass sämtliche Tarifverträge der Branche anerkannt und zur Anwendung gebracht werden, ohne dass der Arbeitgeber einem Verband angehört. Doch hier steht der Streitpunkt der Branchenzugehörigkeit im Raum.
  3. Der Haustarifvertrag: Ein aufwändiges, kleinteiliges und langwieriges  Unterfangen.
Wie es hier weitergeht ist wohl offen. Fest steht, dass unter diesen Gesamtbedingungen die Belegschaft bei Libri enger zusammengerückt ist. Viele haben einen wichtigen Schritt getan und sind in die Gewerkschaft eingetreten. Wie schnell man mobilisieren kann, hat sich im Weihnachtsgeschäft 2010 gezeigt. Um mögliche Forderungen durchzusetzen sind weitere Maßnahmen wohl nicht auszuschließen; die Bereitschaft, an Arbeitskampfmaßnahmen teilzunehmen, wird als „sehr hoch“ eingestuft.

Laurel, Redaktionsmitglied

9 Kommentare:

  1. Ganz schön heftig, was da bei Libri so geboten ist! Kämpfen die Kollegen dort tatsächlich für einen Tarifvertrag? Wenn "Ja", dann ist das ja wie bei uns.
    Da kann man mal sehen, wie üble Arbeitgeber ihre Angestellten behandeln und wie ihre Arbeitsleistung geschätzt und bewertet wird.
    Alle Menschlichkeit bleibt auf der Strecke.
    Echt traurig.

    AntwortenLöschen
  2. Darum: In die Gewerkschaft eintreten und mithelfen die Mobilisierung voranzutreiben! Wir Arbeitnehmer müssen uns solidarisch zeigen und uns zu einer neuen Bewegung verbünden.
    An die Kolleginnen und Kollegen bei Libri: Kämpfen ist das einzige, was euer Arbeitgeber wirklich spürt. Gebt nicht auf!!!

    AntwortenLöschen
  3. Was ist eigentlich in Teile der Arbeitgeber des Buchhandels gefahren? Ein partnerschaftliches und faires Miteinander mit den Arbeitnehmern sucht man zunehmend vergeblich. Ich habe das früher nicht so gesehen, bin aber mittlerweile der Meinung, dass es dringend erforderlich ist, dass sich die Arbeitnehmer organisieren, um bei gegenwärtigen und zukünftigen Konflikten besser geschützt zu sein und erfolgreicher für die eigenen Interessen kämpfen zu können. Auf Arbeitgeberseite wird sich kaum etwas zum Positiven wenden.

    AntwortenLöschen
  4. @ AR

    Was Sie beschreiben "partnerschaftlich und fair" usw. ist ein gesamtgesellschaftliches Problem.
    Das mag früher anders und besser gewesen sein, aber inzwischen sind solche Einstellungen sehr selten geworden.
    Es wäre geradezu erstaunlich, wenn das unter Buchhändlern und Buch(handels)unternehmen anders wäre. Das würde doch irgendwie bedeuten, dass wir bessere Menschen sind, als andere Berufsgruppen. Und so sehr ich meinen Beruf schätze, so weit würde ich dann doch nicht gehen...
    Aber bedauerlich ist es allemal!

    AntwortenLöschen
  5. Ich habe einen Fabrikanten aus Ulm gekannt, der nicht nur zu seinen Arbeitern und Angestellten fair war, sondern ihnen auch jedes Jahr zu seinem Geburtstag eine ansehnliche Sonderzahlung gewährt hat. Darüber hinaus hat er, wie ich jetzt erst aus Archivrecherchen fand, allen Gemeinden, in denen er Werke hatte, an diesem Tag einen höheren Betrag zur Verfügung gestellt, damit er den Armen der Gemeinde zukommen sollte.
    Seine Nachfolger tun nichts Ähnliches, vielleicht wissen sie nicht einmal mehr etwas davon. Soviel zu den gesellschaftlichen Veränderungen, die Thor H. richtig beschreibt. Aber vielleicht besteht zwischen Fabrikanten und Händlern auch ein Unterschied in Ethik und Moral?

    AntwortenLöschen
  6. Haha, Händler sind "ehrbare Kaufleute". Fabrikanten und Unternehmer nur Ausbeuter. Unter den reichsten Leuten Deutschlands sind (fast?) nur Händler. Ihre Millionen, die sie von ihren Angestellten einbehalten haben, spenden sie für die Dritte Welt oder so. Also gebührt ihnen Hochachtung und kein so gehässiger Kommentar wie von Hortz.

    AntwortenLöschen
  7. Darüber zu spekulieren, ob es zwischen "Händlern" und "Fabrikanten" moralische Unterschiede gebe oder zu beklagen, dass auch Buchhändler keine "besseren Menschen" sind, ist wenig zielführend.

    Es geht hier nicht um moralisch-ethische, sondern um politisch-ökonomische Kategorien.
    Egal ob "Fabrikant" oder lohnabhängig Beschäftigter, egal ob Buchhändler oder Gurkenverkäufer - wir müssen alle nach den Spielregeln der kapitalistischen Ökonomie handeln.

    Es hat daher keinen Sinn, auf den Ausgleich dieser Grundwidersprüche durch individuelle Barmherzigkeit einzelner Kapitaleigner zu hoffen. Wenn es diesen good will jemals gegeben hat, dann ist er schon längst aufgekündigt worden.

    Wir müssen für diese Zusammenhänge ein Bewusstsein entwickeln und uns organisieren.
    Allein oder nur auf Betriebsebene werden wir keinen erfolgreichen Widerstand leisten können.

    AntwortenLöschen
  8. Lese ich da richtig? Bei Libri kann der Kunde zur Abholung in seine Weltbildfiliale bestellen? Und das zu unseren (alten) Internetlieferzeiten! Und wir haben uns mit der Umstellung vor dem Weihnachtsgeschäft von 7-9 Tagen auf 2-4 Tagen Lieferzeit rangearbeitet. Ein halbes Jahr Ärger mit unzufriedenen Kunden und ein eindeutiger Wettbewerbsnachteil gegenüber den Mitbewerbern im Internetgeschäft!
    Das ist echt geschäftstüchtig!

    AntwortenLöschen
  9. Aktuell **** Aktuell**** Aktuell *****

    Seit heute Morgen um 10:00 Uhr wird bei Libri in Hersfeld gestreikt.

    Wir gratulieren und wünschen Euch viel Erfolg !!!!

    AntwortenLöschen

Ihr könnt Eure Kommentare vollständig anonym abgeben. Wählt dazu bei "Kommentar schreiben als..." die Option "anonym". Wenn Ihr unter einem Pseudonym schreiben wollt, wählt die Option "Name/URL". Die Eingabe einer URL (Internet-Adresse) ist dabei nicht nötig.

Wir freuen uns, wenn Ihr statt "Anonym" die Möglichkeit des Kommentierens unter Pseudonym wählt. Das Kommentieren und Diskutieren unter Pseudonym erleichtert das Austauschen der Argumente unter den einzelnen Benutzern.