Dienstag, 17. Mai 2011

Index, Zensur, Berufsverbot

Kommentar zum Fall David Berger

Am 29. Dezember 2010 berichteten wir erstmals in diesem Infoblog, dass das Buch "Der heilige Schein" von David Berger durch den von Weltbild übernommenen Kirchenfilter nicht mehr auf der neuen Hugendubel-Homepage auftaucht. Der Titel wurde nach unserem Hinweis schnellstens eingepflegt. Das Buch von Berger war jedoch nur die Spitze eines riesigen Zensur-Eisberges, der sich nicht nur auf schwul-lesbische, sondern auch auf Softerotik, Esoterik sowie Kapitalismus- und Kirchenkritik erstreckte. Nach kritischer Berichterstattung in SPIEGEL, FAZ, SZ, FR und AZ versuchte man sich noch mit angeblich "technischen Fehlern" herauszureden, aber deaktivierte dann nach und nach den digitalen Index.
Nun gibt es Neues im Fall David Berger: Der Kölner Erzbischof Kardinal Meisner entzog ihm nun auch die Lehrerlaubnis als Religionslehrer.



Berger outete sich im April 2010 selbst in der Frankfurter Rundschau als homosexuell und kritisierte in seinem Buch die homophoben und reaktionären Tendenzen in der katholischen Kirche. Der habilitierte Theologe und zeitweise Mitarbeiter der Päpstlichen Kongregation für die Glaubenslehre legte damit den Finger in gleich zwei Wunden der Kirchenführung: Die Repression homosexueller Priester und die Zunahme ultrakonservativer Strömungen in der Kirche.

Thomas Assheuer meinte in seiner Besprechung in DIE ZEIT: „Dieses Buch gehört zum Unglaublichsten, was derzeit über die katholische Kirche zu lesen ist.“ (DIE ZEIT, 2.Dezember 2010, S. 57).



Die unmenschliche Sexualmoral der Kirche betrifft aber nicht nur Kirchenfunktionäre mit einer gleichgeschlechtlichen Orientierung, sondern auch katholische Priester, die sich in eine Frau verliebt und mit ihr Kinder bekommen haben. Beide werden von der autoritären Ideologie der Kirche zur Deformierung ihrer Persönlichkeit gezwungen, wollen sie nicht ihre berufliche und materielle Existenz zerstören. Denn das eigentlich Infame besteht darin, dass die Kirchenführung eher ein Doppelleben der Betroffenen duldet, als dass sie ein ehrliches Bekenntnis toleriert.

Der andere Punkt, den Berger in seinem Buch anspricht, nämlich den seit Jahrzehnten zunehmenden Einfluss reaktionärer Organisationen wie Opus Dei, hat auch eine politische Dimension. So förderte die katholische Kirche durchaus politische Dissidenten, wenn sie in ihr antikommunistisches Weltbild passten: Johannes Paul II. unterstützte nach Kräften die polnische Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc, um die Implosion des real existierenden Sozialismus voranzutreiben. Gleichzeitig unterdrückten er und sein Nachfolger bis heute die in Lateinamerika entstandene Theologie der Befreiung, die gegen Armut, Ausbeutung und Unterdrückung kämpfte. Führende Repräsentanten wie Leonardo Boff erhielten Redeverbot und verloren ihre kirchliche Lehrerlaubnis. Erzbischof Oscar Romero (El Salvador) wurde von rechtsextremistischen Todesschwadronen ermordet.

So zeigt das Vorgehen der Kirchenführung gegen David Berger die zwei Seiten der selben Medaille:
Unterdrückung individueller Sexualität und Repression gegen politische Emanzipation und Befreiung.
Der Fall David Berger ist in Wirklichkeit der Fall Katholische Kirche.




Quelle: http://www.spiegel.de/schulspiegel/0,1518,760916,00.html

6 Kommentare:

  1. Erschreckend ist auch, daß derzeit der ehemalige bayerische Kultusminister Hans Maier, ein sehr konservativer Politiker, vom Regensburger Bischof Müller ein Auftrittsverbot in kirchlichen Räumen erhalten hat, weil er sich für die kirchliche Beratungsstelle Donum Vitae eingesetzt hat.

    Die katholische Kirche ist dermaßen verkrustet, autoritär und reaktionär geworden, daß man für ihre Zukunft das Schlimmste befürchten muß, wenn sie so weitermachen sollte.

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  2. Das Buch von David Berger "Der heilige Schein" wurde wegen des anspruchsvollen Inhalts in der Schweinfurter Hugendubel-Filiale in den theologischen Fachbereich gestellt. Welche Ehre, nicht aber unten beim Eingang, wo die Neuerscheinungen von Papst Benedikt XVI., Margot Käßmann, Helmut Schmidt massenweise präsentiert werden und das Publikum reinstömt.

    Auf meine Frage, warum David Berger da nicht zu finden sei, wurde mit der
    scheußlich süßen Ausrede beantwortet, dass das von David Berger noch nicht in der Spiegelbestseller-Liste vertreten sei, und deshalb nur in der Theologie (wo kaum ein Mensch hin geht) ausgestellt werden könne. Seither kaufe ich keine Bücher mehr bei Hugendubel...

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  3. Ohlala! Weil ein Titel nicht auf der SPIEGEL-Bestseller-Liste ist - und somit nicht dort platziert wird, kauft "Tchibo" nicht mehr bei Hugendubel. Nun frage ich mich, welche Buchhandlung in Schweinfurt einen nicht-SPIEGEL-Bestseller n einer SPIEGEL-Bestseller-Bücherwand platziert. Viel Spass beim Suchen!

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  4. Olala... Wenn man natürlich keine Buchhandlungen besucht, weil da so viele Bücher stehen, sollte man erst gar nicht mit dem diskutieren beginnen. Oder erst, wenn man das
    Buch von David Berg "Der heilige Schein" gelesen hat...

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  5. Ohlala Tchibo! Deine Unterstellungen sind natürlich ein Witz. Ad1: bin ich Buchhändler. Ad2: habe ich das Buch als Leseexemplar gelesen. Aber darum geht es doch gar niocht! Ad3: lass uns doch in der Sache diskutieren: über eine Platzierung eines Titels entscheiden Angebot und Nachfrage, manchmal auch gekaufte Platzierungen. Nur zu oft erlebe ich es in der Arbeit, dass Autoren oder Verlage mich fragen, warum gerade ihr Buch nicht da und dort platziert ist. Und dafür gibt es nunmal Regeln und die definiert das Haus und nicht der Autor. Also kann ich in diesem Fall "Berger" keinen Grund sehen, als Kunde / Kundin Hugendubel nicht mehr aufzusuchen. Das ist absolut lächerlich.

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  6. Den "Berger" will ich nicht lesen, eher den "Köhlmeier". Und wo haben wir den hingestellt? Sucht mal schön.

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