Donnerstag, 3. November 2011

Handel 2020

"Handel ist Wandel, Wandel im Handel, egal wie man es dreht – damit liegt man eigentlich
immer richtig. Seit Jahrzehnten vollzieht sich im deutschen Einzelhandel ein permanenter
Strukturwandel: Da verschieben sich die Marktanteile zwischen Unternehmen, Formaten
und Standorten, da verschwinden ehemals bedeutende Firmen von der Bildfläche und
neue tauchen auf.

Auch in den nächsten Jahren wird es Veränderungen geben. Doch die vor uns liegenden
Entwicklungen im Einzelhandel sind nicht mehr mit dem Strukturwandel der letzten Zeit
zu vergleichen. Einige Handelsexperten sprechen schon von den stärksten Umbrüchen
seit der Einführung der Selbstbedienung in den 1960er-Jahren. Die Kernthemen heißen
Onlinehandel und Multichannel.
Der Einzelhandel steht vor tief greifenden Umbrüchen, Veränderungen und
Herausforderungen. Das gilt für alle Beteiligten, Unternehmen, Beschäftigte und
Gewerkschaften."

Mit diesen einleitenden Worten beginnt die aktuelle Publikation von Jürgen Glaubitz und Verdi mit dem Titel "Handel 2020 - Eine Analyse zur Entwicklung im deutschen Einzelhandel". Wir zitieren daraus:

"...Der Umsatz wird in den nächsten Jahren stagnieren und voraussichtlich ab Mitte des
Jahrzehnts u.a. in Folge des Bevölkerungsrückgangs schrumpfen. Umsatzzuwächse kann
es gleichwohl immer wieder in einzelnen Teilbranchen und bei bestimmten Sortimenten
geben.
Bei stagnierendem Umsatz wird der Kampf um dessen Anteile immer härter – der
Wettbewerb im Einzelhandel ist ein aggressiv geführter Verdrängungswettbewerb.
Der Konzentrationsprozess wird von den Handelskonzernen weiter vorangetrieben und
beschleunigt. In einigen Teilbranchen stehen gravierende Übernahmen erst noch bevor
(z.B. Möbel). Auch in dem bereits hochkonzentrierten Lebensmittelhandel wird es zu
weiteren Akquisitionen kommen. Mit der Konzentration wächst die Marktmacht der
Großen weiter an: 2020 wird das Marktgeschehen im gesamten Einzelhandel von rd.
zehn Konzernen dominiert werden.

Auch der Prozess der Internationalisierung schreitet weiter voran. Der deutsche Markt
ist für die Konzerne ein Standort unter vielen im globalen Wettbewerb.
In einigen Bereichen werden expansiv ausgerichtete Unternehmen versuchen, ihre
Marktposition mittels zusätzlicher Flächen zu verbessern. Der bereits vorhandene
Flächendruck vergrößert sich noch. Spätestens in der nächsten konjunkturellen Krise wird
die Insolvenzquote im Einzelhandel hochschnellen.
 
Der Preis bleibt die schärfste „Waffe“ im Verdrängungswettbewerb. Das Internet erhöht
die Transparenz und damit auch die Konkurrenz. In diesem Preiskampf setzen sich
diejenigen durch, die über ihre Nachfragemacht günstige Einkaufspreise erzielen
und/oder verstärkt Eigenmarken einsetzen.
Viele Unternehmen im deutschen Einzelhandel versuchen, sich zusätzliche Vorteile zu
verschaffen, indem sie gezielt tarifliche und gesetzliche Standards unterlaufen. Sie setzen
die Personalkosten als ein Wettbewerbsmittel ein. Mit der Aufkündigung der
Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge haben die Arbeitgeber eine Spirale nach unten
in Gang gesetzt.

Das Wachstum des Internethandels führt zu gewaltigen Veränderungen und
Umbrüchen im gesamten Einzelhandel, vornehmlich im Nonfood-Sektor. Dort wird
Multichannel-Marketing zum Standard.

Durch das Internet werden auch neue Formen des Vertriebs entwickelt werden, es gibt
eine enorme Dynamik der Vertriebstypen – vor allem im Online- und Versandhandel. Auf
der anderen Seite findet eine Annäherung der Formate statt. Klassische Versender
nutzen Stores, stationäre Anbieter eröffnen eigene Webshops; Supermärkte locken mit
Billigsegmenten, Discounter bieten Bio- und Fairtrade-Artikel.
Das Vordringen des Onlinehandels führt zum Abbau und zur Verlagerung vieler Tausend
Arbeitsplätze. [...]

Gravierende Veränderungen wird es vor allem in den Nonfood-Bereichen geben, mit
massiven Verschiebungen zwischen Unternehmen und Formaten. Die Frage online oder
offline stellt sich nicht mehr. Wer auch zukünftig dabei sein will, muss auf vielen Kanälen
verkaufen.

Die Warenhäuser gehen weiterhin schweren Zeiten entgegen, weitere Standorte sind
von Schließung bedroht. Eine überzeugende Onlinestrategie ist noch nicht erkennbar.
Die Boomphase der großen Shoppingcenter ist wohl vorbei – bevorzugter Standort sind
nun die Mittelstädte. [...]

Der Buchhandel schließlich ist die am stärksten vom Internet bedrohte Teilbranche –
und deshalb für Multichannel geradezu prädestiniert.

Der Online- und Versandhandel wächst weiter überproportional. Im Mittelpunkt steht
der Kampf zwischen der Otto-Gruppe und Amazon. Otto könnte im Strukturwandel des
Einzelhandels einer der großen Gewinner sein: Der Konzern agiert schon seit vielen
Jahren auf zahlreichen Kanälen – und profitiert durch seine Tochter Hermes auch noch
davon, dass immer mehr Unternehmen online gehen (müssen).
Trotz Online-Hype und Multichannel-Hektik gilt auch für die Nonfood-Bereiche, dass das
Gros des Umsatzes „vorerst“ noch in den Märkten erlöst wird.
Hier stellen sich zukünftig viele neue Herausforderungen, da die Kunden anspruchsvoller,
informierter und sehr preisbewusst sind. Wer stationär einkaufen will, hat sich oft online
informiert (und umgekehrt!).

Einzelhandel 2020 – ein Versuch in 10 Thesen

- Der deutsche Einzelhandel steht vor massiven Veränderungen und Umbrüchen.
Vor dem Hintergrund eines schrumpfenden Marktes werden sich die
Verteilungskämpfe zwischen den Unternehmen verschärfen – wird der
Verdrängungswettbewerb noch aggressiver und härter geführt werden.


- Der Internethandel wird in den nächsten zehn Jahren weiter stark wachsen –
zulasten des Stationärhandels. Das Internet erhöht die Transparenz, verschärft
den Preiskampf und beschleunigt damit die Konzentration und den Ausleseprozess
im Einzelhandel!
 

- Multichannel ist die stärkste Veränderung im Einzelhandel seit der Einführung der
Selbstbedienung in den 1960er-Jahren.


- Multichannel wird im Nonfood-Bereich zum Muss. Wer hier als Händler erfolgreich
sein will, muss auf allen Kanälen verkaufen.


- 2020 wird der Einzelhandel von einer kleinen Gruppe riesiger Konzerne dominiert.
Zu den potenziellen Gewinnern zählen die führenden Lebensmittelhändler, einige
Vertikalisten, Onlineversender und große Multichannel-Händler.


- Die größten Profiteure des Umbruchs im Einzelhandel sind Logistikkonzerne (wie
Hermes oder DHL).


- Zu den Verlierern zählen Beschäftigte des stationären Einzelhandels, denn das
Beschäftigungsvolumen wird im Zuge dieses Prozesses deutlich zurückgehen.
Onlineumsätze steigen zulasten der stationären Umsätze – damit verlagern sich
„Verkaufsarbeitsplätze“ hin zu „Versandarbeitsplätzen“ (Kommissionierung,
Versand/Logistik).


- Trotz Online-Hype behält der Stationärhandel quantitativ die Oberhand. Qualitativ
wird er sich weiterentwickeln, zusätzliche Attraktivität gewinnen und versuchen,
nicht nur das Netz zu nutzen, sondern diesem auch Paroli zu bieten. Die
Innenstädte bleiben als Standort bedeutend.
 

- Der Einzelhandel ist und bleibt eine Branche der Gegensätze. Auf der einen Seite
immer mehr Onlinehandel – auf der anderen Seite Renaissance der
Nachbarschaftsläden. Auf der einen Seite immer mehr E- und M-Commerce – auf
der anderen Seite die Sehnsucht nach persönlicher Kommunikation und Beratung.
Auf der einen Seite Billigkonsum und Junkfood – auf der anderen Seite steigende
Umsätze von Bioprodukten und Fairtrade-Artikeln.
 

- Der stationäre Einzelhandel wird sich neu positionieren (müssen), um seine
Attraktivität gegenüber dem Netz zu verbessern. Auch – und gerade – diejenigen
stationären Anbieter, die mittels Multichannel auf mehreren Kanälen dabei sind,
haben ein manifestes Interesse, möglichst viel Umsatz auf der Fläche zu halten.
Allein schon wegen der teuren Immobilien bzw. hohen Mieten. Ein Ziel wird sein,
mittels Webshop die Kunden in ihre Filialen zu „führen“ (z.B. durch finanzielle
Anreize). Vielleicht wirkt der Onlinehandel über diesen Umweg sogar als
Katalysator zur Erhöhung der Attraktivität der Innenstädte.

8 Kommentare:

  1. Danke für diesen Artikel. Allerdings scheint diese Prognose ja genau die Strategie der GL zu stützen. Dann hat sich das Gejammer hier ja nun erledigt. Dann bleibt nur noch an der Kommunikationskultur zu arbeiten und niemand kann sich mehr beschweren, da ja sogar die Gewerkschaften den Wandel und die Notwendigkeit zu handeln bestätigen.

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  2. @Anonym 21.39 Uhr

    Hier hat sich gar nichts erledigt.
    Vielleicht liest Du den Artikel nochmal:

    "Viele Unternehmen im deutschen Einzelhandel versuchen, sich zusätzliche Vorteile zu
    verschaffen, indem sie gezielt tarifliche und gesetzliche Standards unterlaufen. Sie setzen
    die Personalkosten als ein Wettbewerbsmittel ein."

    Diese "Strategie" der GL bedeutet Personalabbau, Lohndrückerei, Befristung, Outsourcing. Wer sich damit abfindet oder sogar noch begrüsst, wird demnächst dafür die Quittung erhalten.

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  3. @ Regaleinräumer

    Willkommen in der Realität!
    Da Bücher bekanntlich preisgebunden sind, läßt sich dabei kein Wettberbsvorteil für Kunden generieren - Ausnahmen MA, chinesischer Billigkram und DVD.
    Ob wir das begrüßen, ist irrelevant, die GL wird Strategien zur Kostenersparnis finden und finden müssen. Der Buchhandel ist (leider) kein Reservat der heilen Welt!

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  4. @Thors Hammer

    Lesen ist von Vorteil: Es geht hier nicht um einen Wettbewerbsvorteil für den Kunden, sondern für den Konzerneigentümer. Wer die Löhne seiner Mitarbeiter maximal runterdrücken und bei Verlagen grösstmöglichen Rabatt herausholen kann, kann mehr Profit generieren und ist im Vorteil gegenüber seinen Konkurrenten.

    "Ob wir das begrüßen, ist irrelevant" - hier geht es nicht um begrüßen, sondern um Gegenwehr.
    Dass die DBH kein "Reservat der heilen Welt" ist, hast anscheinend sogar Du bemerkt. Damit es nicht noch schlimmer wird, als es eh schon ist, ist solidarische Gegenwehr notwendig, d.h. aktive Gewerkschafts- und Betriebsratsarbeit.
    Wie sowas geht, kann man in Berlin sehen, halt nicht bei Hugendubel, wo man anscheinend alles abnickt oder fatalistisch hinnimmt.

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  5. @ Regaleinräumer

    ich dachte schon, das Obige gelesen zu haben. Natürlich geht es um Wettbewerbsvorteil für den Konzern. Der zahlt nämlich meinen Lohn. Pünktlich übrigens, was heutzutage nicht selbstverständlich sein muß. Und da unser Konzern nicht über den Preis Wettbewerbsvorteile gegenüber T generieren kann, versucht er es anderswo. Das ist nicht immer begrüßenswert, aber naheliegend.

    zu "Nicht noch schlimmer..."

    Es gibt durch aus schlimmere Bedingungen, unter denen im Buchhandel gearbeitet werden kann. Das ist nicht wünschenswert, aber sollte immer im Auge behalten werden, wenn die Bedingungen hier angeprangert werden. Und wenn jetzt wieder die Mitarbeiterinnen aus der hintersten Reihe, die seit Könuig Ludwigs Zeiten immer schon nur einen Samstag im Monat von zehn bis vierzehn Uhr gearbeitet haben und das auf ewig so weiter zu halten gedenken, weiß ich wirklich nicht, ob ich lachen oder weinen soll.

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  6. Interessant, dass man sich als Arbeitnehmer (obwohl der Begriff alleine schon irreführend ist. Man gibt seine Arbeitskraft) immer am Schlechteren orientieren muß.
    Dann kann man sich ja ausrechnen, wo man in 5 Jahren stehen wird, wenn man alles mit sich machen lässt.

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  7. @Thors Hammer

    1. Ich leiste jeden Monat gute und engagierte Arbeit, da kann ich auch erwarten, daß am Monatsende das gehalt pünktlich gezahlt wird (die letzte Lohnerhähung wurde übrigens von ver.di ausgehandelt, die Du als Nicht-gewerkschaftsmitglied auch kassiert hast).

    2. Ich arbeite wahrscheinlich öfter am Samstag als Du und zwar nicht bis 14.00 Uhr sondern bis zum bitteren Ende.

    3. In der Branchenpresse wurde in letzter Zeit viel über die Zukunft des Buchhandels geredet; wichtig war immer der Hinweis auf die Bedeutung der Beratungskompetenz hingewiesenn. Davon kann ja bei dem seit Jahren stattfindenden Personalabbau bei Hugendubel bald keine Rede mehr sein.

    4. Da alle Kapitalressourcen ins Internet investiert werden, scheint das die GL auch nicht mehr zu interessieren. Es wird nur noch der Mangel verwaltet und wenn der Mietvertrag ausläuft, dann wird dicht gemacht.

    5. Es ist schön, daß Du Dir für das Management den Kopf zerbrichst; umgekehrt wird das nicht der Fall sein. Die Strategie "Mund halten und Befehle ohne "Gejammer" ausführen" ist in dieser Firma schon seit Jahren keine erfolgreiche Startegie mehr. Abgesehen davon, daß sie unsolidarisch ist.

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  8. Als Kunde, der noch(!) gerne stationär einkaufen geht, sind völlig andere Punkte als die hier angegebenen relevant. Da ich zeitlich ungebunden bin, nutze ich dann gerne mal die Zeiten am morgen, wo die Innenstädte und Geschäfte leerer sind. Wichtig für mich, ein Parkhaus in der Nähe des zu besuchenden Geschäfte, oder Taxistand, ist solches nicht vorhanden - bin ich nicht Kunde. Auch Slalom-lauf bereits im Eingangbereich um aufgestapelte Ware ist nicht meins. Übersichtliche Präsentation, aufmerksame, aber nicht aufdringliche Beratung. Und: ich möchte nicht absichtlich (!) in die falsche Abteilung geleitet werden. Die Frage nach einer Geschenkverpackung, ggf. Tragetasche, sollte obligatorisch sein. Sind diese Punkte erfüllt - komme ich gerne wieder. Bin ich jedoch dem Verkaufspersonal lästig (und ich merke das - immer wieder gerne von mir angemerkt "die verdrehten Augen") - lasse ich auch gerne die bereits ausgesuchte Ware zurück. -- Stationärer Handel ist für Kunden auch ein Teil der Freizeitgestaltung (Stichwort: älter werdende Gesellschaft - und diese Generation gibt gerne und viel Geld aus.) Jedes Produkt - und mittlerweile auch Lebensmittel-Produkte - können via Internet bzw. Lieferdienst des Lebensmittelhandels- in gleicher Qualität und ähnlichem Preis (Bücher mit gleichem Preis) bis zu mir nach Hause geliefert werden. Also ist der Kunde nicht gezwungen sich in ein Geschäft zu begeben um etwas zu erstehen. Die Notwendigkeit eines stationären Handelsgeschäfts liegt nicht auf der Seite des Kunden, sondern ausschließlich auf der Seite des Handels und der dort Beschäftigten! Und so unorthodoxe Vorgehensweisen wie ein "Flashmop" (anderer Artikel), nur 1 Kasse zu öffnen um Warteschlangen zu generieren oder ähnliches lustige Vorgehensweisen, werden von Kunden nicht toleriert, ergo : anderes Geschäft bzw. Internet. - Btw: Jeder Angestellte des Einzelhandels hat durch sein Verhalten die Stabilität seines Arbeitsplatzes in der eigenen Hand.

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