Lohndumping und Massenentlassung bei Zeitungszustellern
Die 53 Zeitungszusteller der ZVZ Zentrum GmbH in München verdienen zu viel und tragen zu schlecht aus. Das meint jedenfalls die SZ Logistik GmbH, eine 100 %-Tochter der Süddeutschen Zeitung GmbH und hat deshalb den Zustellauftrag gekündigt. Alle 53 Zeitungszusteller, die zum Teil seit mehr als 20 Jahren für die pünktliche Zustellung sorgen, sollen die Kündigung erhalten. „Nur: die Gründe sind an den Haaren herbeigezogen. In Wirklichkeit geht es darum, einen lästigen Betriebsrat und eine streikbereite Belegschaft loszuwerden - und dabei auch noch Arbeitnehmerrechte zu umgehen und Dumpinglöhne durchzusetzen“, erklärte Bernd Mann von ver.di Bayern: „Das zeigt einen moralischen Verfall der Süddeutschen Zeitung“.
"Skandalös, zynische und scheinheilig!"
In München gibt es insgesamt 11 Zustellgesellschaften. Zugestellt werden die Münchner Tageszeitungen und überregionale Zeitungen. Gesellschaf-ter sind mit 24,8 % die Süddeutsche Zeitung GmbH und mit 75,2 % die A&H Structured Finance GmbH, eine Tochter der Hauck & Aufhäuser Pri-vatbankiers KGaA. Im Vergleich dieser Zustellgesellschaften verwundere die Begründung zum Auftragsentzug, so Mann: Weder habe die ZVZ eine auffällige Reklamationsquote – im Gegenteil, sie sei sogar besser als die anderer Gesellschaften – noch habe sie eine auffällige Personalkostenstruktur. Diese sei über alle Münchner Zustellgesellschaften relativ ausgeglichen. „Zynisch ist die Begründung zudem, denn die Zustellvergütungen wurden seit 18 Jahren nicht mehr wahrnehmbar angehoben“, erläuterte Mann.
Auffällig sei weiter, dass die SZ Logistik auf der einen Seite Hände ringend Zusteller sucht und deswegen derzeit viel Geld für eine Imagekampagne ausgibt – auf der anderen Seite aber 53 Zusteller einfach auf die Straße gesetzt werden. Dabei sollen dann auch noch Schutzrechte aus einem Betriebsübergang nach § 613a BGB umgangen werden. Dieser verbietet die Kündigung und garantiert die Weiterbeschäftigung unter unveränder-ten Bedingungen. „Mit fadenscheinigen formalen Konstruktionen soll genau diese Schutzwirkung umgangen werden und die Zusteller zur Verfügungsmasse für noch billigere Arbeitsverträge werden“, so Bernd Mann.
„Das ist ein skandalöses zynisches und scheinheiliges Verhalten eines nur scheinbar noblen Verlagshauses“, erklärte Bernd Mann.
Die Feudalherren der SZ
„Während in Berlin die Süddeutsche Zeitung die Politprominenz empfängt, geht sie mit ‚kleinen‘ Zeitungszustellern um wie ein mittelalterlicher Feudalherr. Oben wird gefeiert und unten wird gefeuert“, empört sich Manfred Koller, Betriebsratsvorsitzender der ZVZ. Tagein, tagaus stellt er - wie alle anderen Zusteller auch - bei Wind und Wetter an sechs Tagen in der Woche zuverlässig die Zeitung zu. „Das will ich gerne weiter tun. Deshalb müssen wir jetzt gemeinsam mit ver.di für unseren Arbeitsplatz kämpfen“. Die Zusteller „verlangen nicht viel - nur Anstand und Respekt“, so Koller.
Quelle: Pressemitteilung von ver.di Bayern, München, den 23. Januar 2012
Ein persönlicher Brief
von Manfred Koller,
Betriebsratsvorsitzender der ZVZ Zentrum GmbH
"26 Jahre lang stand ich von Montag bis Samstag um 2.15 Uhr auf und fuhr zur Arbeit. Am 29.2.2012 kam ich in unsere Verteilstelle in der Sonnenstraße 25 und traf dort unseren Geschäftsführer. Er übergab mir sowie allen anderen Mitarbeitern der Fa. ZVZ folgende persönliche Mitteilung:
Sehr geehrter Herr Koller,
wie am 12.01.2012 bekannt gegeben und auf den Betriebsversammlungen am 16.01.2012 und 07.02.2012 nochmals besprochen, besteht in der Zeitungsvertrieb Zentrum GmbH ab dem 01.03.2012 keine Beschäftigungsmöglichkeit mehr. Aus diesem Grund muss die Zeitungsvertrieb Zentrum GmbH ab dem 01.03.2012 auf die Erbringung Ihrer Arbeitsleistung verzichten. Sie brauchen also ab dem 01.03.2012 nicht mehr zur Arbeit antreten. Sie haben gemäß den gesetzlichen Vorschriften Anspruch auf Annahmeverzugslohn.
Mit freundlichen Grüßen, Klaus Flörke, Geschäftsführer
Bingo! Ich – wie auch alle betroffenen Kolleginnen und Kollegen – bleibe noch ungekündigt. Der Arbeitgeber kann die Kündigung aus formalen Gründen noch nicht aussprechen. Sein Problem. Ich brauche nicht mehr zur Arbeiten gehen und bekomme weitgerhin Lohn. Juhu! Wer wünscht sich das nicht?.
Danke, Herr Flörke! Danke, Herr Baldewein! Danke, Süddeutsche Zeitung! Die haben Geld! Danke Herr Rebmann! Und, ach ja, Herr Haaks, Sie sind so großherzig. Auch wenn´s nur aus purer Not ist, weil das halt mit der Expresskündigung nicht so hinhaut.
Einziger Wehrmutstropfen: Weil viele Abonnenten meine Telefonnummer haben, kamen bis in den späten Nachmittag hinein Anrufe, wo denn die Zeitung bleibt. Denn gleich am ersten Tag ohne uns „Ex“-Zusteller/innen ging gleich alles schief.
Aber bei aller Freude und bei aller Ironie, es gibt auch noch eine innere Wahrheit!
Und die Wahrheit ist, dass es mir gar nicht gut geht, dass ich traurig bin, weil die Fa. ZVZ nach über 20 Jahren geschlossen wird. Die Kolleginnen und Kollegen, die mir ans Herz gewachsen sind und die mich mit überwältigender Mehrheit zum Betriebsratvorsitzenden gewählt haben, stehen jetzt auf der Straße. Im ganzen Stadtgebiet wird unter den Zustellern verbreitet, dass der Betriebsrat an der Betriebsschließung selber schuld ist. Das gipfelt in der Aussage „Das habt ihr nun davon“. Da frage ich mich schon, ob ich alles richtig gemacht habe?
Ja, wir haben uns mit der Gewerkschaft zusammengetan und vom Arbeitgeber mehr Geld gefordert! Ja, wir haben uns gegen die neuen Lohnstrukturen zur Wehr gesetzt! Ja, wir haben Warnstreiks durchgeführt! Ja, wir sind auf Schulung gegangen! Ja, wir haben versucht, nachdem unser Geschäftsführer uns permanent ignoriert hat, Beteiligungsrechte auf dem Rechtsweg durchzusetzen. Und, richtig, das hat den Arbeitgeber Geld gekostet.
Betriebsräte fallen nicht vom Himmel, sie müssen ausgebildet werden, damit sie ihre Rechte kennen und durchsetzen können. Sie müssen lernen, was Mitbestimmung im Betrieb ist. Tun sie das nicht, dann sind die Betriebsratsitzungen Kaffeekränzchen, bei denen man sich über die Zustände im Betrieb beschwert. Betriebsräte die nicht auf Schulung gehen sind wirkungslos.
Betriebsräte dürfen nur zusammen mit Gewerkschaften Lohnerhöhungen und Tarifverträge fordern. Scheitern die Verhandlungen oder kommen sie nicht voran, ruft die zuständige Gewerkschaft zu Streikmaßnahmen auf.
Bei der Einführung neuer Lohnstrukturen haben Betriebsräte ein zwingendes Mitbestimmungsrecht. Verweigert der Arbeitgeber dazu Verhandlungen, ist der Rechtsweg die Anrufung der Einigungsstelle. Das Arbeitsgericht München hat folgerichtig die Einigungsstelle eingesetzt.
Unser Geschäftsführer, hat dem Betriebsrat gegenüber erklärt, dass ihn Mitbestimmungsrechte nicht interessieren. Er hat gedacht, dass Tarifverhandlungen unverbindliche Informationsgespräche mit ver.di sind. Dementsprechend hat er auf den Tisch gehauen und damit gedroht, was er uns noch alles wegnehmen wird, wenn wir weiterhin einen Tarifvertrag wollen. Er hat dies mit sichtlicher Freude getan.
Mitbestimmungsrechte und Tarifautonomie sind Bestandteile unserer Verfassung und Grundpfeiler der Demokratie. Politiker aller Parteien in Deutschland sind zurecht stolz darauf. Arbeitgeber, die diese Rechte mit Füßen treten, müssen gestoppt werden.
Ich frage hier alle, die mit dem Finger auf den Betriebsrat zeigen: Seid Ihr ahnungslos, oder habt Ihr das alles vergessen? Ich verstehe Eure Angst, aber wie viel wollt Ihr noch ausblenden im Leben? Wie lange wollt Ihr noch warten? Bis es Euch selber trifft?
Vielleicht seid Ihr auch damit einverstanden, dass sie erst Eure Rechte mit Füßen treten und dann mit leeren Taschen nach Hause schicken? Wenn Ihr Euch trotzdem wehrt, was macht Ihr mit denen, die dann mit dem Finger auf Euch zeigen?
Ich bin persönlich enttäuscht und wütend über all die Lügen, die mir aufgetischt wurden von Vorgesetzten und von Arbeitgeberseite. Ich bin die letzten Tage mit geballter Faust in der Tasche zur Arbeit gegangen. Jetzt habe ich bei allem Ärger und Frust etwas gewonnen, was ich mir in letzter Zeit immer mehr gewünscht habe: inneren Frieden.
Unser Betriebsrat hat gut gearbeitet. Wir waren immer gesprächsbereit und berechenbar für den Arbeitgeber. Das der nichts von uns wissen wollte, war seine Entscheidung. Wahrscheinlich ist er auch noch stolz darauf, dass er uns damit an die Wand gefahren hat. Ich kann aufrecht gehen und würde in der Nachbetrachtung nicht viel anders handeln.
Ich danke der Belegschaft und ich danke den Kolleginnen und Kollegen, die zu mir und zum Betriebsrat gehalten haben. Ich werde mich zusammen mit meinen Betriebsratkollegen dafür einsetzen, dass ein Sozialplan zustande kommt, der Euch den Abschied erleichtert.
Es bleibt festzuhalten: Die Geschäftsleitung der ZVZ hat keinen Betriebsrat gewollt, hat sich jeder Zusammenarbeit verweigert und wollte auch keine ernsthaften Verhandlungen zu einem fairen Lohn. Nicht alle handeln so. Die Anständigen unter ihnen sind beschämt und haben uns das auch wissen lassen."
Manfred Koller
ZVZ Betriebsratvorsitzender
Quelle: http://zeitungszusteller.blogspot.de/2012/03/ein-wechselbad-der-gefuhle.html
Anmerkung der Redaktion des Hugendubel-Infoblogs:
Wir haben uns mit dem Kampf der Zeitungszusteller gegen Lohndumping und Massenentlassung solidarisch erklärt. Da die Arbeitsbedingungen in der gesamten Branche sich ziemlich gleichen, gibt es über diesen Arbeitskampf in den Printmedien kaum eine Berichterstattung. Deshalb ist folgendes wichtig:
Durchbrecht die Medienblockade! Lest den Zusteller-Blog! Gebt die Info weiter! Und vor allem: Schickt den Kolleginnen und Kollegen eine Solidaritätsadresse zu! Sie können Eure Aufmunterung gut gebrauchen!
http://zeitungszusteller.blogspot.de/
Lieber Manfred Koller, liebe Kolleginnen und Kollegen bei der ZVZ: lasst Euch nicht unterkriegen!
AntwortenLöschenLieber Manfred, Kolleginnen und Kollegen bei der ZVZ:die sozial mehr als fragwürdigen Umgangsformen unserer Geschäftsführung und der "noblen SZ" sollten vielen einen Denkanstoss geben, aufzuwachen , bevor es zu spät ist!Kämpft weiter um die ehrhafte Sache.Euer Robin Hood.
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