Mittwoch, 25. Januar 2012

Bloß nicht absaufen (1/3)

Illustration: Nele Brönner
Die einen schleppen sich zur Arbeit, obwohl sie krank sind. Andere verausgaben sich jahrelang, brechen zusammen und sind am Ende ihrer Kräfte. So geht es vielen Beschäftigte, Leiharbeitern wie Schichtarbeitern, Betriebsräten, Sekretärinnen, Erzieherinnen. Von ihnen ist in den Medien selten die Rede. Die normale Arbeitswelt ist nicht so spektakulär wie die der Promis, aber keineswegs weniger dramatisch. Michaela Böhm von „verdi publik“ blickt in der 3teiligen Reihe „Bloß nicht absaufen“ auf das Thema Arbeitsdruck und Burnout. Den ersten Teil lest Ihr heute, Teil zwei und drei folgen in den nächsten beiden Wochen.

"Sobald ich krank bin, stecke ich in einem Zwiespalt. Einerseits weiß ich, dass es mir nicht gut tut, mit triefender Nase und verstopften Nasennebenhöhlen arbeiten zu gehen. Auch die Patienten beschweren sich, viele haben ein angeschlagenes Immunsystem oder Krebs. Eine kranke Physiotherapeutin ist für sie ein Risiko." Andererseits, sagt die 40-Jährige, sei es undenkbar zu fehlen, wenn die ohnehin knapp besetzte Abteilung durch Urlaub und Krankheit auf ein Minimum ausgedünnt ist. Würde sie ausfallen, müsste ihre Arbeit von den Kollegen erledigt werden und das ginge nur mit noch mehr Überstunden. "Ich habe ihnen gegenüber ein schlechtes Gewissen."
 
Ja, ich bin krank zur Arbeit gegangen

Sich krank zur Arbeit zu quälen, nennen Wissenschaftler Präsentismus. Die Physiotherapeutin ist kein Einzelfall. Verschiedene Untersuchungen kommen immer zum gleichen Ergebnis. Ob der DGB-Index oder die Befragung einer Krankenkasse - etwa 75 Prozent sagen: Ja, im vergangenen Jahr ist es vorgekommen, dass ich krank zur Arbeit gegangen bin. Gar nicht so selten auch gegen den Rat des Arztes. Warum tut das jemand? Weil die Arbeit sonst liegen bleibt. Aus Rücksicht auf die Kollegen. Das sind zwei Gründe, die am häufigsten genannt werden.

"Wir werden alle anpacken müssen, bis die gnädige Frau wieder geruht, zur Arbeit zu kommen." Es sind die abfälligen Bemerkungen der Chefin, die jeden kranken Beschäftigten in der Abteilung als Simulanten abstempelt, die dazu führen, dass man zur Arbeit geht, obwohl es besser wäre, das Bett zu hüten, findet die Physiotherapeutin.

Seit Jahren schielen Unternehmen auf die Fehlzeiten ihrer Beschäftigten, disziplinieren mit Rückkehrgesprächen, belohnen die Gesunden, bestrafen die Kranken, immer mit dem Ziel, die Fehlzeiten zu senken. "Die Antwort darauf ist Präsentismus", sagt der Gesundheitswissenschaftler Rolf Rosenbrock vom Wissenschaftszentrum für Sozialforschung in Berlin. Kranke arbeiten, sie sind präsent, im Betrieb, auf der Dienststelle, im Büro. Und Arbeitgeber glauben, ein gutes Unternehmen sei eines mit niedrigen Fehlzeiten. Falsch gedacht. "Fehlzeiten sind wie ein Fieberthermometer", sagt Bernhard Badura, emeritierter Professor für Gesundheitswissenschaften an der Universität Bielefeld. So wie das Thermometer nur die Temperatur anzeigt und nichts über die Ursache weiß, sagen auch Fehlzeiten nichts über den Gesundheitszustand der Belegschaft.

Badura hat sich im Auftrag der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) 285 Studien zum Phänomen des Präsentismus angeschaut und sich einen Überblick über den Stand der Forschung verschafft. Mit dem Ergebnis, dass viele Gründe dahinterstecken können, warum jemand krank zur Arbeit geht. Etwa hoher Zeitdruck, viel Verantwortung, knapp besetzte Teams, Pflichtgefühl gegenüber Patienten, Klienten und Kunden, oder der Druck, Zielvorgaben erreichen zu müssen. Auch Führungskräfte spielen eine Rolle. Sie nehmen ihre Krankenstände mit, wie eine Studie bei Volkswagen zeigte. Soll heißen: Kaum war ein Vorgesetzter in eine andere Abteilung gewechselt, schnellte dort der zuvor niedrige Krankenstand so in die Höhe wie in seiner alten Abteilung. Umgekehrt verhielt es sich genauso.
 
Bis nichts mehr geht

Die Unternehmen sollen ruhig weiterhin Fehlzeiten messen, sagt Badura. Aber nicht mit dem Ziel, sie zu senken. Denn wer angeschlagen ist und trotzdem arbeitet, leistet weniger, macht mehr Fehler, ist häufiger in Unfälle verwickelt, steckt Kollegen an. Mehr noch: Präsentismus kann zu chronischen Krankheiten und Burnout führen. Das ist teuer, rechnet eine Studie im Auftrag der Felix-Burda-Stiftung vor. Ein kranker Arbeitnehmer, der sich auskuriert, kostet pro Jahr knapp 1200 Euro, einer, der trotz Krankheit am Arbeitsplatz auftaucht, das Doppelte. Die einen arbeiten mit Fieber an der neuen Präsentation, andere beißen sich mit Rückenschmerzen durch den Arbeitstag oder schlucken Medikamente gegen die Migräne. Alarmzeichen des Körpers werden betäubt und ignoriert.

Teil zwei von drei lest Ihr nächste Woche im Hugendubel Verdi Infoblog.

3 Kommentare:

  1. "disziplinieren mit Rückkehrgesprächen" - nicht immer so negativ denken!! Ich habe es lieber mich nach meiner Rückkehr mal für ne halbe Stunde mit meinem Chef zu unterhalten, indem er mich fragt in noch Einschränkungen bestehen meinerseits und was in meiner Abwesenheit alles so gewesen ist. Was ist daran dramatisch?
    Solltet ihr "Fehlzeitengespräche" meinen, dann ist es was anderes aber in manchen Fällen nicht unangebracht. Denken viele, traut sich aber keiner zu sagen.

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    1. Naja, im Zusammenhang mit dem Rest des Absatzes ist klar, welche Art von "Rückkehrgesprächen" gemeint ist. Es gibt da sicher Unterschiede, wie es eben auch unterschiedliche Arbeitgeber/Chefs/Vorgesetzte gibt.

      Ein Rückkehrgespräch ist grundsätzlich nicht dramatisch, sofern es nicht dazu verwendet wird, den Arbeitnehmer zu disziplinieren.

      So hab ich es jedenfalls verstanden.

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  2. Die IG Metall hat eine neue Studie zum Thema veröffentlicht:

    http://www.igmetall.de/cps/rde/xchg/SID-CEC24DB5-5DC49D00/internet/style.xsl/druck-am-arbeitsplatz-nimmt-stetig-zu-9323.htm

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