Ein Gespräch über Literatur und anderes
Zweiter Teil
Voilà, hier die Fortsetzung unserer Unterhaltung zwischen zwei Kolleginnen und einem Kollegen über Bücher, Politik und andere Dinge des Lebens, moderiert von unserem Infoblog-Redakteur:
Infoblog: Hugendubel und die DBH verkauft immer mehr DVDs. Wie siehst Du das Verhältnis von Film und Literatur bzw. Literaturverfilmungen?
Betty Blue: Es gibt einige sehr gute Literaturverfilmungen. Wichtig ist meiner Ansicht nach, beide Medien differenziert zu betrachten. Die Bildsprache eines Romans ist naturgemäß eine völlig andere als die visuelle Filmsprache. Eine sehr geglückte Literaturverfilmung ist meines Erachtens "Der Tod in Venedig" von Visconti, auch wenn er sich inhaltlich ein wenig vom Buch entfernt.
Jacob Marley: Buch und Film sind einfach zu unterschiedliche Medien, als daß man sie gegeneinander ausspielen könnte. Aus einem guten Buch kann ein miserabler Film werden und aus einem miserablen Buch ein guter Film. Und wenn aus einem guten Buch tatsächlich ein guter Film wird, dann ist es nicht unbedingt wahrscheinlich, daß man das eine im anderen so leicht wiedererkennt, weil sich dabei oft wichtige Akzente verschieben und auch verschieben müssen. Ein gutes Beispiel hierfür hat Umberto Eco geliefert, als er sagte, der Film Der Name der Rose sei zwar "nette Unterhaltung", habe mit seinem Roman aber nichts zu tun.
Lotta Continua: Wenn ich hier noch einen nicht-ästhetischen, sondern ökonomischen Aspekt einwerfen darf: Für den stationären Buchhandel sind DVDs, aber auch Musik-CDs keine langfristige Alternative, um die durch den einbrechenden Buchanteil freiwerdenden Flächen zu bespielen. Die Digitalisierung wird dazu führen, daß Filme und Musik irgendwann nur noch als Download heruntergeladen werden. Da sollte man sich mal keine Illusionen machen. Diese Zusatz-Sortimente funktionieren vielleicht noch für eine Übergangszeit - vermutlich genauso lange, wie einige langfristige Mietverträge noch laufen.
Infoblog: Bleiben wir bei den - unbewegten - Bildern. Welches Buch schlägst Du jemandem vor, der sich lieber Bilder ansieht?
Betty Blue: Ein Bilderbuch? Nein, im Ernst, ich würde erstmal fragen, welches Genre denn auf Interesse stößt. Kunstbildbände, Bildbände zu den Themen Film, Garten oder Landschaften. Comics, Photobildbände, kulturgeschichtliche Bildbände .... ich könnte die Palette jetzt noch unendlich fortsetzen. Ich persönlich liebe z.B. Bildbände aus den Bereichen Jugendstil, Art Deco, Symbolismus und die Präraffaeliten.
Jacob Marley: Den Ausstellungskatalog der Alten Pinakothek in München!
Lotta Continua: Als Kind mochte ich keine illustrierten Bücher, weil ich im Kopf meine eigenen Bilder hatte und ich meine Phantasie nicht durch vorgegebene Bilder konditionieren lassen wollte. Deshalb würde ich eher ein Hörbuch empfehlen, für´s individuelle Kopfkino.
Infoblog: Und welches Buch jemandem, der lieber Musik hört als ein Buch zu lesen?
Jacob Marley: Mozarts Briefe! ich glaube, sie haben sehr viel mit seiner Musik zu tun.
Betty Blue: Eigentlich bin ich kein Freund davon, jemanden zu "missionieren" und würde vermutlich zu einer CD oder Musik DVD raten. Wenn es aber partout ein Buch sein soll, wie wäre es mit Nick Hornbys "High Fidelity"? Freunden klassischer Musik würde ich "Der Wagner-Clan" empfehlen. Ein Buch von Jonathan Carr.
Lotta Continua: Allen Sozial-Autisten, deren MP3-Lautstärkeregler bis zum Anschlag aufgedreht sind und deren Mini-Kopfhörer mich in öffentlichen Verkehrsmitteln in akustische Geiselhaft nehmen, empfehle ich das Musikstück 4´33´´ von John Cage. Allen anderen lege ich die von Adorno inspirierte Reihe Musik-Konzepte, herausgegeben von Heinz-Klaus Metzger, ans Herz.
Infoblog: Diesem Infoblog wird gelegentlich Negativität vorgeworfen. Machen wir diesem Ruf alle Ehre: welchem Bestseller des vergangenen Jahres hättest Du möglichst wenige Leserinnen und Leser gewünscht?
Jacob Marley: Da brauche ich gar nicht lange nachzudenken: Thilo Sarrazins Deutschland schafft sich ab. Ich habe es nur halb gelesen - was mir aber völlig gereicht hat, um es nicht zu mögen.
Lotta Continua: Dito, plus Roche.
Betty Blue: Bei der Frage muß ich leider passen. Da ich meine Bücher grundsätzlich nicht nach Bestseller oder Nicht-Bestseller auswähle, sondern mein Geschmack mein einziger Maßstab ist, bekomme ich gar nicht mit, welche Bücher auf der Bestseller-Liste sind. Es interessiert mich schlichtweg nicht. Die Leute sollen lesen, was ihnen gefällt und wenn manche Menschen eine Art Bestsellerliste brauchen, weil ihr eigenes Urteilsvermögen zu schwach entwickelt ist, so what?
Infoblog: Welchem vergessenen Klassiker (auch des 20.Jahrhunderts) wünscht Du im kommenden Jahr dagegen möglichst viele Leserinnen und Leser?
Betty Blue: Es ist vermutlich utopisch: Peter Altenberg, George Meredith und Lytton Strachey.
Jacob Marley: Meinen Lesetip für bzw. gegen TrittbrettfahrerInnen natürlich: Bertolt Brecht. Denn wer braucht schon TrittbrettfahrerInnen?
Lotta Continua: Einem Roman aus der Zwischenkriegszeit: Ernst Weiß, Die Galeere.
"Man muß durch das Konstruktive, welches den Roman wie ein Gitter, überall rundherum umgibt, den Kopf einmal durchgesteckt haben, dann sieht man das Lebendige wirklich bis zum Geblendet werden." Das sage nicht ich über das Buch. Das sagt Franz Kafka über dieses Buch.
Infoblog: Dein Buch des Jahres 2011?
Betty Blue: Ein Buch, daß für mich seit ca. 1989 das Buch des Jahres ist:
Jane Austens "Stolz und Vorurteil".
Jacob Marley: Oh, bitte keine solchen Fragen!
Lotta Continua: Peter Kurzeck: Vorabend.
Infoblog: Von welchem Autor, welcher Autorin bzw. zu welchem Thema erhoffst Du Dir 2012 ein neues, wegweisendes Buch?
Jacob Marley: Ehrlich gesagt von keinem!
Lotta Continua: Dringlichst wird von mir folgender Titel erwartet:
Frank Bsirske: 1000 ganz legale Tricks zur Mitglieder-Gewinnung.
Mit 100-Prozent-Erfolg-sonst-Geld-zurück-Garantie."
Infoblog: Welches Motto möchtest Du der Infoblog-Redaktion für die Zukunft mit auf den Weg geben?
Betty Blue: "Jedes Ding hat drei Seiten, eine positive, eine negative und eine komische." (Karl Valentin)
Jacob Marley: Als 1992 Eckhart Henscheids Sudelblätter herauskamen, war ihnen ein Zitat von Georg Christoph Lichtenberg vorangestellt. den genauen Wortlaut habe ich leider vergessen; aber sinngemäß sagte er: "Satire soll in seiner Feder wohnen, aber nicht in seinem Herzen." Dieses Motto würde ich Euch gerne mitgeben - nicht um Euch zu kritisieren, sondern weil ich die Menschen (und besonders Menschen, die eine so schwierige und undankbare Aufgabe übernommen haben wie ihr) lieber glücklich sehe als verbittert.
Infoblog: Du sprichst einen sehr wichtigen Punkt an. Da Du mich stellvertretend für die Redaktion direkt angesprochen hast, möchte ich Dir darauf auch direkt antworten, und zwar mit einigen Zeilen aus einem Dir sicher bekannten Brecht-Gedicht (zitiert auswendig):
"Gingen wir doch, öfter als die Schuhe die Länder wechselnd
Durch die Kriege der Klassen, verzweifelt
Wenn da nur Unrecht war und keine Empörung.
Dabei wissen wir doch:
Auch der Hass gegen die Niedrigkeit
Verzerrt die Züge.
Auch der Zorn über das Unrecht
Macht die Stimme heiser. Ach, wir
Die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit
Konnten selber nicht freundlich sein.
Ihr aber, wenn es soweit sein wird
Dass der Mensch dem Menschen ein Helfer ist
Gedenkt unsrer
Mit Nachsicht."
Infoblog: Und Dein Motto für uns?
Lotta Continua: Ich habe mit einem Wein aus Italien begonnen und möchte mit den Anfangszeilen eines alten italienischen Partisanenliedes enden, das ich Euch mit auf den Weg geben möchte (fängt an zu singen):
Per il pane e le rose
per la vita che resta
per tutto o niente ora e subito
per la voce che ancora rischia.
Per questo fumo che si alza
per queste ossa spezzate
per questi giorni di guerra di pietre
per queste nuove barricate.
Da ogni angolo di questa terra
un grido si alzerà
resurrezione insurrezione
la lotta continuerà !
Infoblog: Darauf wollen wir trinken!
Jacob Marley: Alla salute!
Betty Blue: Brot und Rosen für alle!
Jacob Marley: Alla salute!
Betty Blue: Brot und Rosen für alle!
Lotta Continua: La lotta continuerà !
Infoblog: Wir danken Euch für das Gespräch!
Teil 1 erschien gestern:
http://hugendubelverdi.blogspot.com/2011/10/das-literarische-trio-1.html#more
Teil 1 erschien gestern:
http://hugendubelverdi.blogspot.com/2011/10/das-literarische-trio-1.html#more
Übersetzung tut not!
AntwortenLöschenSi taceo, philosophus manebo =
AntwortenLöschenWenn ich schweige, wede ich Philosoph bleiben.
(Variante des bekannten "si tacuisses, philosophus mansisses")
"Brot und Rosen" scheint in mehreren Liedern aufzutauchen; eine Übersetzung der italienischen Fassung kann ich nicht bieten - hier eine Information zu einer amerikanischen Fassung:
AntwortenLöschenDas Lied stammt aus dem Jahre 1912, entstanden bei einem Streik von 14.000 Textilarbeiterinnen in Lawrence, USA. Der Streik richtet sich gegen die Hungerlöhne und die Kinderarbeit. Dieser Streik, in dem Frauen besonders entschieden für ihre Interessen kämpften, wurde durch zahlreiche Lieder berühmt, die sie auf den Demonstrationen, vor den Werkstoren und in der Stadt sangen. Das Gedicht "Brot und Rosen" geht auf ein Transparent der Arbeiterinnen zurück auf dem stand "We want bread and roses, too" Die Worte Brot und Rosen wurden zum Motto der amerikanischen Frauenbewegung.
As we come marching, marching in the beauty of the day,
A million darkened kitchens, a thousand mill lofts gray,
Are touched with all the radiance that a sudden sun discloses,
For the people hear us singing: "Bread and roses! Bread and roses!"
Wenn wir zusammen gehen, geht mit uns ein schöner Tag
Durch all die dunklen Küchen, und wo grau ein Werkshof lag,
beginnt plötzlich die Sonne uns're arme Welt zu kosen,
und jeder hört uns singen Brot und Rosen!
Wenn wir zusammen gehen, kämpfen wir auch für den Mann,
weil ohne Mutter kein Mensch auf die Erde kommen kann
Und wenn ein Leben mehr ist als nur Arbeit, Schweiß und Bauch,
wollen wir mehr Gebt uns das Brot, doch gebt die Rosen auch.
Wenn wir zusammen gehen, gehen uns're Toten mit
Ihr unerhörter Schrei nach Brot schreit auch durch unser Lied.
Sie hatten für die Schönheit, Liebe, Kunst, erschöpft nie Ruh.
Drum kämpfen wir ums Brot und wollen die Rosen dazu.
Wenn wir zusammen gehen, kommt mit uns ein bess'rer Tag.
Die Frauen die sich wehren, wehren aller Menschen Plag.
Zu Ende sei dass kleine Leute schuften für die Großen.
Her mit dem ganzen Leben Brot und Rosen!
Bread and roses, bread and roses.
Man sollte die literarische Kompetenz unserer Führung nicht unterschätzen. Nina Hugendubel gab in einem ZEIT-Interview, das an unterwürfiger Hofberichterstattung nicht zu toppen war, an, gerne "Zettels Traum" von Arno Schmit lesen zu wollen. Aber wahrscheinlich dann als E-Book.
AntwortenLöschenHabe gerade gegoogelt, dass es sich bei dem Stück 4´33´´ von John Cage um Stille handelt. Jetzt verstehe ich die Pointe!
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