Freitag, 8. November 2013

Nie dürft Ihr so tief sinken!

Die Hoffnung stirbt zuletzt – auch im Betrieb. Dort aber leider eher selten, ohne sich vorher noch gründlich durch den Kakao ziehen zu lassen! Das gilt für Betriebsräte, die sich einbilden, mit ihrem Arbeitgeber irgendwelche einseitigen und halbseidigen „Bündnisse für Arbeit“ schließen zu müssen, damit faktisch aber lediglich zur Verschlechterung der Arbeitsbedingungen ihrer KollegInnen beitragen. Und es gilt auch für Belegschaften, die sich einreden, man brauche den Vorstellungen seines Arbeitgebers nur immer brav in allem zu folgen, dann werde schon alles irgendwie gut gehen: vielleicht nicht für jeden, doch zumindest für einen selbst.

Dass Beschäftigungssicherungsmaßnahmen à la ILMA UUDA (Ich liebe meine Arbeit und unterschreibe dafür alles) schlecht hinhauen, dürfte bekannt sein. Aber wie kommt es dann, dass Betriebsräte - nicht zuletzt durch die eigenen Wähler – immer mehr unter Druck stehen, mit ihren Arbeitgebern längere Arbeitszeiten, niedrigere Gehälter und sonstige Grausamkeiten auszuhandeln? Ist wirklich alles erklärt, wenn man die Akteure einfach nur als opportunistische Verräterschweine und harmoniesüchtige Waschlappen abstempelt? Vermutlich kaum! Betriebsräte, die sich auf faule Kompromisse zu Lasten ihrer KollegInnen einlassen, tun dies oft in ehrlichem Glauben, damit Arbeitnehmerinteressen zu vertreten.


Für die meisten Arbeitgeber – zumindest im Einzelhandel – gehören Tarifverträge heute ins Raritätenkabinett der Geschichte: ihnen scheint es wesentlich zeitgemäßer und angesagter, Gehälter und Arbeitszeiten anders zu regeln – und zwar so, wie es für sie am besten ist. Weil niedrigere Gehälter plus längere Arbeitszeiten jedoch bei Arbeitnehmern in der Regel spontan auf geringen Beifall stoßen, hat es für den Arbeitgeber einen gewissen Charme, den Betriebsrat um des lieben Betriebsfriedens willen auf seine Seite zu ziehen: er fordert den Betriebsrat also auf, mit ihm eine entsprechende Übereinkunft zu treffen.

Laut Gesetz darf ein Betriebsrat zwar nicht Gewerkschaft spielen: was üblicherweise in Tarifverträgen geregelt ist, kann nicht durch Betriebsvereinbarungen geregelt werden. Aber wo kein Kläger ist, ist kein Richter - und wo einer ist, weiß längst niemand mehr so genau, wie er im Einzelfall entscheiden wird. Im Stadium fortgeschrittener Tariflosigkeit sehen Betriebsräte sich daher vor der Alternative, das Feld entweder ganz dem Arbeitgeber zu überlassen, der sich dann >individualvertraglich< nach Belieben jeden Beschäftigten einzeln vornimmt, oder >kollektiv< für alle zu retten, was noch zu retten ist – nach dem Motto: Politik ist die Kunst des Machbaren.

Sind Politiker mittlerweile Betriebsräte auf nationaler Betriebsebene?


Interessanterweise kommen hierbei übrigens oft genau dieselben saublöden Floskeln zum Einsatz, deren sich Politiker bedienen, wenn sie Demokratie und Sozialstaat mal wieder ein Stück tiefer in die Tonne treten: Klassenkampfparolen würden da nichts nützen – bla-bla – man müsse die Dinge pragmatisch angehen – bla-bla-bla – und auch einmal den Mut zu unpopulären Entscheidungen aufbringen – bla-bla-bla-bla. Liegt es daran, dass Betriebsräte so etwas Ähnliches wie Politiker sind? Oder daran, dass Politiker inzwischen so etwas Ähnliches wie Betriebsräte sind – sozusagen auf nationaler Betriebsebene?

Wie dem auch sei: solche Plattitüden ziehen – und sie ziehen besonders, wenn man viele Probleme und keine Ideen hat, stattdessen jedoch den eisernen Willen, sich irgendwie durchzuwurschteln. Der Wunsch geschickt agierender und taktierender Arbeitgeber – die Einbindung der Betriebsräte in ihre Entscheidungen – erfüllt sich in Zeiten, in denen Unternehmen in Schwierigkeiten stecken, daher fast von selbst: aus Furcht um Arbeitsplätze beginnen Betriebsräte betriebswirtschaftlich zu denken. Sie sehen sich Sachzwängen ausgesetzt – und werden, wenn es etwa um die Arbeitszeitregelung oder die Arbeitsbedingungen geht, leicht und schnell gefügig.

Jeder Betriebsrat muß über den Tellerrand seiner begrenzten Möglichkeiten hinaussehen


Helfen kann das kaum. Denn Wirtschaftsunternehmen scheitern in der Regel nicht, weil zu wenig gearbeitet oder zu viel verdient wird, sondern weil sie auf dem Markt nicht länger bestehen können. Arbeitnehmer, die sich zuvor fleißig in Verzicht geübt haben, sind dann doppelt gestraft: die Arbeitslosigkeit trifft sie noch härter. Also muss klar sein: wer Arbeitsbedingungen verschlechtert, um Arbeitsplätze zu sichern, sichert nicht Arbeitsplätze, sondern er verschlechtert Arbeitsbedingungen.

Gerade deshalb sollte hier jeder Betriebsrat über den Tellerrand seiner begrenzten Möglichkeiten hinaussehen – das heißt zunächst einmal: deutlich wahrnehmen und offen aussprechen, wo er mit seinem Handwerkszeug nicht mehr weiterkommt. Denn Regelungen zu Wochenarbeitszeit und Gehaltsstrukturen müssen Gewerkschaftssache bleiben: sie gehören in Tarifverträge und sonst nirgendwohin. Der Buchhandel in Bayern hat noch welche. Doch bedarf es keines Blickes in eine Kristallkugel, um zu sehen, dass sich dies bald ändern könnte. Dann wird nicht mehr betriebsrätliches, sondern gewerkschaftliches Handeln aller gefragt sein.

Nicht kuschen, sondern kämpfen!


Eine Gewerkschaft kann freilich nur dort etwas erreichen, wo sie genügend Mitglieder hat, die zusammen etwas erreichen wollen. Bei Hugendubel verhält sich die Sache im Augenblick leider nicht ganz so. Aber es gibt Erfolge: die Zahl unserer VER.DI-Mitglieder hat seit Jahresbeginn zugenommen – und an der Streik-Aktion in München am 12. Juli haben sich erstmals so viele KollegInnen beteiligt, dass ihre Abwesenheit in einigen Filialen schmerzlich spürbar wurde. Das war für uns alle eine neue, sehr wichtige und wertvolle Erfahrung, an die es nun gemeinsam anzuknüpfen gilt – auch hier im Blog. Wir müssen im Gespräch bleiben - deutschlandweit! - und dabei vor allem die vielen KollegInnen einbeziehen, die noch unentschlossen sind.

Wer sich nicht leisten kann, seine Arbeit mehr oder minder als Hobby zu betrachten, sondern von ihr leben will, dem wird letztlich nämlich bloß die eine Wahl bleiben: nicht kuschen, sondern kämpfen! Das ist nicht nur aussichtsreicher, als immer alles mit sich anstellen zu lassen, sondern auch würdevoller. Diesen Rest an Stolz sollten wir behalten – und uns die Worte Erich Kästners zu Herzen nehmen: „Nie dürft ihr so tief sinken, vom Kakao, durch den man euch zieht, auch noch zu trinken.“
 
Jürgen Horn

4 Kommentare:

  1. Ein toller Text! Kann bei dem nur eifrig nicken und zustimmen

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  2. Nicole Molthan GBR Vorsitzende WeltbildplusFreitag, 8. November 2013 um 16:02:00 MEZ

    Lieber Jürgen,
    dein Text spricht mir aus der Seele, volle Zustimmung!

    Ich hoffe sehr, dass in unserem Konzern noch viel mehr Beschäftigte und Betriebsräte ihre Entscheidungs- und Mitwirkungsmöglichkeiten wahrnehmen. Gut geschulte Betriebsräte, die um ihre Rechte und Möglichkeiten wissen und vor allem ein klares Ziel und ein eindeutiges Interessenbewusstsein vor Augen haben. Gepaart mit einer gewissen Konfliktfähigkeit sicherlich keine schlechte Mischung.
    Und dazu noch Kolleginnen und Kollegen, die Verantwortung für ihr Handeln übernehmen, die sich informieren, die gemeinsam an einem Strang ziehen und dadurch dem Betriebsrat den Rücken stärken.
    Insbesondere für die Kolleginnen und Kollegen in den Filialen sind harte Zeiten angebrochen. Bei einem Umbau der Verlagsgruppe Weltbild in ein Online Unternehmen und der Bezeichnung des stationären Geschäftes als "Altgeschäft" und nur mehr flankierend kann sich jeder selber ausmalen, was dieses in letzter Konsequenz für die Arbeitsplätze in den Filialen bedeuten wird.

    Umso wichtiger daher eine kämpferische, solidarische und aufgeklärte Belegschaft. Da ist dann jedoch jeder Einzelne gefragt.

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  3. Kämpfen, Kämpfen, Kämpfen, das ist die Parole, die die Betriebsräte in diesen schweren Zeiten ausgeben müssen... Den Druck des Arbeitgebers resolut abschütteln und selbst aktiv werden, wo es nur geht. Wir ruhen uns nicht auf unserem Kündigungsschutz aus, wir bewegen. Und das Schönste: Wir haben nichts mehr zu verlieren!!!

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  4. In diesem Sinne hier auch die Studie "Union Busting in Deutschland" von der Otto Brenner Stiftung, "The Brussels Business" und "ARD PLUSMINUS - INSM Iniatitive Neue Soziale Marktwirtschaft ( Unglaubliches aus der Lobby-Welt) ":
    https://www.otto-brenner-shop.de/publikationen/obs-arbeitshefte/shop/union-busting-in-deutschland-ah77.html
    http://www.youtube.com/watch?v=SShN91Le7ws
    https://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=V3d50BsycgQ#t=0

    Ein Kunde

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