Montag, 29. Oktober 2012

Die Krise der Universitätsbuchhandlungen

Ein Rundgang durch das Münchener Universitätsviertel





Steigt man in München an der U-Bahn-Station "Universität" aus und geht die Treppe hoch zur Schellingstraße





dann sieht man die Universitätsbuchhandlung Heinrich Frank. Ihr Standort könnte für eine Buchhandlung mit geistes- und sprachwissenschaftlichem Schwerpunkt eigentlich nicht besser sein:  Im selben Gebäude-Komplex befinden sich die germanistischen, anglistischen und amerikanistischen Institute der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU). Im Gebäude gegenüber befindet sich die Romanische Philologie und auf der anderen Straßenseite ist ein vielbenutzter Zugang zur Universitätsbibliothek.





Ende Juli 2012 meldete der Inhaber Insolvenz an. Ein Insolvenzverwalter versucht, einen Investor zur Fortführung der Buchhandlung und zur Sicherung der Arbeitsplätze zu gewinnen.

Gleich daneben befindet sich die Universitätsbuchhandlung Rupprecht. Die Buchhandelskette Rupprecht, eine Art Hugendubel im Kleinformat, agiert seit einigen Jahren recht expansiv im süddeutschen Raum in Städten zwischen 10.000 und 50.000 Einwohnern mit Flächen zwischen 300 - 500 m², also ähnlich wie mittlerweile Hugendubel selbst oder Thalia mit seinem Pocket-Konzept.





Rupprecht hatte vor etlichen Jahren, als die Zeiten noch besser waren, im Universitätsviertel noch eine zweite Traditionsbuchhandlung gekauft: die dem gleichnamigen Verlag gehörende Hueber-Fachbuchhandlung in der Amalienstraße





Beide Rupprecht-Buchhandlungen betreiben ihre Geschäfte im Uni-Viertel weiter, von Schließungsplänen ist nichts bekannt. Das äußerte zumindest einer der Inhaber der familiengeführten Kette vor einiger Zeit gegenüber der Süddeutschen Zeitung. Allerdings war zwischen den Zeilen deutlich zu lesen, daß sein Unternehmen diesen Schritt heute wohl nicht mehr machen würde.

Man darf bei diesem Überblick nicht vergessen, daß die LMU keine auf Geisteswissenschaftler, Juristen oder Wirtschaftswissenschaftler ausgerichtete Universiät ist, sondern immer auch naturwissenschaftliche Forschung und Lehre präsent ist: Mathematik, Physik, Medizin, Biologie, Chemie bis hin zur Forstwissenschaft. Eine kleine, aber gutsortierte Fachbuchhandlung, die sich darauf spezialisiert hatte, war Lindauer. Heute eine Saftbar:




In der Adalbertstraße, auf der weniger belebten Nordseite des Universitäts-Hauptgebäudes gelegen, gab es die schon vor langer Zeit geschlossene und nach ihrer Hausnummer schlicht benannte Buchhandlung Adalbert 14. Ihre Schwerpunkte lagen auf gut ausgewählter Belletristik und Geisteswissenschaften.
Obwohl auf der eher abgelegenen Seite der Universität gelegen, konnte man dort vom Laden aus interessante Beobachtungen machen: so oftmals den vorbeieilenden Prof, Hans Maier
Ihre Betreiber führten dann einen auf qualitätvolles Modernes Antiquariat spezialisierten Buchversand, von dem aber seit längerer Zeit auch nichts mehr zu hören ist. Eine Zeit lang beherbergte der Raum ein Antiquariat, jetzt residiert darin ein Kopiergeschäft.






Die Gründung der Adalbert 14 ging aus einem Split der Amalienbuchhandlungen hervor, die dort auf der Rückseite der Universität gleich mit zwei Geschäften die Fahne der Literatur hochhielten. Links ein Antiquariat, aus dem heute ein trendiges Schuhgeschäft geworden ist






und rechts die Buchhandlung, aus der heute ein stylishes Outdoor-Modegeschäft geworden ist.






Eine Institution der Studenten/innenKultur im Uni-Viertel, ähnlich wie die Atzinger-Kneipe, ist das Zweitausendeins in der Türkenstraße. Neben absurdester Esoterik konnte man immer interessante Funde machen aus allen, wirklich allen Bereichen. Zweitausendeins ist schon seit Jahren in der Krise, in anderen Städten wurden Geschäfte geschlossen bzw. verkauft. Hoffen wir das Beste für den Laden und die Mitarbeiter in der Türkenstraße, nachdem das legendäre Kino auf der anderen Straßenseite, der Türkendolch, schon vor Jahren einem Lifestyle-Shop weichen mußte.





Wenn man im Münchener Universitätsviertel von einer Institution reden kann, dann wohl von der Basis.
Die Basis war über Jahrzehnte  d a s   linke Bollwerk. Wer sich über linke, politisch engagierte Literatur auf den aktuellsten Stand bringen lassen wollte, war hier genau richtig.





Ähnlich wie die KollegInnen von den Amalienbuchhandlungen war die Basis mit zwei Läden präsent:
links eine Buchhandlung mit Antiquariat, rechts ein reines Antiquariat. Der linke Laden hat nun aufgegeben.





Wer über Universitätsbuchhandlungen spricht, darf die Antiquariate nicht vergessen. Hier in der Schellingstraße z.B. das Antiquariat Hauser





Und natürlich darf  d i e  Instititution schlechthin nicht fehlen: das auf eine lange Tradition zurückblickende Antiquariat Kitzinger, ebenfalls in der Schellingstraße.





In einem länger zurückliegenden Interview wies der Besitzer Herr Kitzinger auf die Faktoren hin, weshalb sein Geschäft noch existiert: das Haus gehört der Familie Kitzinger, langjährige Geschäftsverbindungen zur Universität sorgen für eine gewisse ökonomische Stabilität und es gibt immer noch eine große Anzahl an Stammkunden.



Also Land unter im Münchener Universitätsviertel? Kann man nur noch mit mäzenatischer Hilfe existieren wie das nichtkommerzielle Lyrik-Kabinett, das uns allen eine sehr gute Frage stellt?





Man soll die Hoffnung nie aufgeben. Es gibt Newcomer wie Franziska Bierl, die selber aus einer Antiquariatsfamilie stammt, und kürzlich einen Teil des traditionsreichen Antiquariats Robert Wölfel in der Amalienstraße übernommen hat. Viel Erfolg!





Wer hat also Schuld an der Misere des Niedergangs? Die bösen Ketten?





Nein, die haben selber zu kämpfen, wenn auch wie die Metzgerei-Kette Vinzenz Murr weniger mit Amazon, sondern eher mit der Lebensmittelkontrolle, wie unlängst die Presse berichtete.

Es scheint eine Kombination aus vielen Faktoren zu sein: Natürlich wie überall die Verlagerung in den Online-Handel. Dann die Verschulung des Studiums mit weniger Freizeit. Änderungen im Freizeitverhalten der Generation Facebook. Ein schmaleres Budget durch teure Lebenshaltungskosten, Studiengebühren etc.
Im Falle der Basis: das Verschwinden bzw. die Marginalisierung politisch bewußter Leser/innen.
Und vieles mehr.

Fazit:
Schwierige Zeiten für den Buchhandel.
Noch schwierigere Zeiten für den Universitätsbuchhandel.





Anmerkung der Redaktion: Wie sieht es in anderen Universitätsstädten aus? Wir würden uns über einen kurzen Bericht - egal ob mit oder ohne Fotos - sehr freuen! Schickt Euren Artikel (auch anonym) an hugendubel.verdi@yahoo.de - Wir behandeln jede Einsendung auf Wunsch vertraulich.








4 Kommentare:

  1. Bei diesem wunderbar recherchierten Bericht (das kann die SZ nimmer mehr) wird einem so richtig wehmütig ums Herz, wenn man an die alten Zeiten erinnert wird, da saß man mit Lenin noch im Schellingsalon und träumte von der Revolution um Amazon und andere endlich in Volkseigentum zu überführen. Und heute? Ich werd' noch ganz sentimental ...

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  2. Träum weiter von Karl-Marx-Stadt ... http://einestages.spiegel.de/s/ab/25863/schaufensterbummel-in-der-ddr-fotografien-von-siegfried-wittenburg.html

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  3. Noch einige Ergänzungen zu diesem sehr guten Artikel:

    - das Antiquariat der Amalienbuchhandlungen (Laden links) wurde von Thekla Kastner geführt; nach Aufgabe des Geschäfts lagerte sie die Bücher in den Keller der Autoren-Buchhandlung in Schwabing aus.

    - im rechten Laden der Amalienbuchhandlungen arbeitete eine Zeit lang auch Johan de Blank; er organisiert seit einigen Jahren die "Wort-Spiele", ein Festival für junge Literatur.

    - Die Versandbuchhandlung der ehemaligen Adalbert-14-Betreiber hieß "Bärendienst"; ob sie noch existiert weiß ich nicht.

    - ein Mini-Antiquariat war das "Steutzger", Ecke Schelling-/Amalienstr.

    Ein eigenes Kapitel wären die Buchhandlungen im Bereich der Technischen Universität.

    Vielen Dank nochmals für den sehr interessanten Artikel.

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  4. Heute in der Süddeutschen Zeitung (Seite R 9):
    Artikel und Kommentar über die endgültige Schließung der Basis sowie ein Kommentar zu Goltz, Frank, Hugendubel/Salvatorplatz.

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