Freitag, 13. November 2015

Hugendubels Hungerspiele

Ein Funke Hoffnung - oder Schluß mit dem Befristungswahn
 
Kaum ein Film, der während der letzten Jahre in unseren Kinos zu sehen war, spiegelt die Ängste und Nöte seiner Zeit eindrucksvoller wider als die Leinwandversion der Romantrilogie Die Tribute von Panem. Doch nur wenigen Rezensenten der bürgerlichen Presse dürfte wirklich klar geworden sein, was sie gesehen haben: Schreckensbilder einer Gesellschaft, die nach einer ökologischen und ökonomischen Katastrophe im Zenit sozialer und politischer Ungleichheit steht. Die USA am Ende eines Weges, der längst eingeschlagen ist: auch bei uns!

Gewiß: Nordamerika und Mitteleuropa sind verschiedene Hausnummern - wird mancher sagen - die Kluft zwischen Arm und Reich hat hier bei weitem keine solchen Dimensionen angenommen wie dort. Aber auch durch unsere Gesellschaft ziehen sich immer tiefere Risse. Auch in unserem Land ist es vor allem Folge einer irregeleiteten Politik und Gesetzgebung, die unter Berufung auf das Gemeinwohl die Interessen des über das Gemeinwohl stellt. Die Opfer dieser Entwicklung haben wir nichtzuletzt im Betrieb vor Augen - uns muss nur wirklich klar werden, was wir sehen.
Das wohl fragwürdigste und umstrittenste Arbeitsgesetz, das in der Bundesrepublik Deutschland gilt, ist das Teilzeit- und Befristungsgesetz. Es gestattet, Arbeitsverträge abzuschließen, die bis zu zwei Jahren (oder bei Angabe eines Sachgrundes sogar länger) gelten - und dann auslaufen. Was dahinter steckt, war der absurde Glaube, dass die Aushebelung des Kündigungsschutzes einen entgegengesetzten Wirkungsmechanismus auslösen werde. Durch Entlassung des Arbeitgebers aus der sozialen Verantwortung wollte man ihm Einstellungen erleichtern - weil er dann nicht mehr Gefahr laufe, sich Arbeitskräfte einzuhandeln, die er nie wieder loswerden würde.


Der Personalbedarf, nach dem Unternehmen sinnigerweise ihre Planung ausrichten, hat aufgrund dieser Maßnahme natürlich nirgendwo zugenommen. Wie sollte er auch? Stattdessen wurde ein neues Prekariat geschaffen: in einigen Branchen ein ganzes Heer von meist jungen Beschäftigten, die - mit allen sozialen Konsequenzen - verurteilt sind, ohne sicheren Arbeitsplatz und ohne gesicherte Existenz quasi aus der Hand in den Mund zu leben. Dass dies - von der tristen Situation der Betroffenen abgesehen - unserer Wirtschaft und Gesellschaft letztlich schadet, leuchtet ein: wertvolle Potentiale bleiben ungenutzt - kollektives Engagement lohnt nicht mehr!

Arbeitgeber achten derlei Überlegungen allerdings recht gering. Aus ihrer Sicht steht das Interesse an kurzfristiger Verwertbarkeit der Arbeitskraft - sozusagen als - im Vordergrund. Zudem - und dies ist gewiß kein ihnen ganz unwillkommener Nebeneffekt - stärken sie durch Aufspalten von Belegschaften in Befristete versus Unbefristete die eigene Position gegenüber der Arbeitnehmerseite.
 

Schon das antike Rom betrieb seine Weltmachtpolitik nach dem Grundsatz: Divide et impera! - Teile und herrsche! Diese Uraltstrategie leider wird heute nicht minder erfolgreich angewandt, um betriebsrätliche oder gewerkschaftliche Aktivitäten zum erliegen zu bringen. Stehen im Betrieb sich zwei Gruuppen von Arbeitnehmern gegenüber, von denen die eine gehen muss und die andere bleiben darf, werden beide bald wenig Antrieb verspüren, dort z.B. Tarifverträge oder bessere Arbeitsbedingungen zu erstreiten. Die eine, weil sie für sich darin von vorneherein keinen Gewinn und Nutzen sieht! Die andere, weil sie sich damit allein gelassen und auf verlorenem Posten sieht. Fazit: zwei Häufchen Elend!
 

Wer zugleich mit dem Arbeitsvertrag bereits die Kündigung unterzeichnet hat, könnte eigentlich ungeniert aufbegehren. Aber weit gefehlt! Er wird stillhalten; denn vielleicht besteht die Chance einer Übernahme ja doch, wenn man nur loyal und fleißig genug ist. Die Hoffnung erwächst schon aus der unsicheren Lage der Betroffenen selbst - und wird mit ihnen darum oft ein Spielchen getrieben, das wie die funktioniert: sie sollen jeder für sich hoffen zu überleben, nicht hingegen, je die Regeln zu ändern. Im Film drückt es Panems Präsident Coriolanus Snow - ein abgeklärter Zyniker - so aus: "Ein bisschen Hoffnung ist nützlich, eine Menge Hoffnung ist gefährlich. Nichts gegen einen Funken, solange er unter Kontrolle ist."*

 
Derart verächtlich springt Hugendubel mit Leuten nicht um - das mag stimmen. freilich laufen deshalb keineswegs anders ab als die überall anders auch. Seit Jahren herrscht reges Kommen und Gehen: eine weicht der nächsten. Entfristungen oder unbefristete Einstellungen sind die Ausnahme und werden immer seltener. Sie verkümmern (gewollt oder ungewollt) zum Instrument einer dubiosen Aberglaubendressur. Unser Arbeitgeber aber - und das ist das Paradoxe - denkt hierbei an seinen guten Namen. Er möchte in der öffentlichen Wahrnehmung niemand sein, der jemanden vor die Tür setzt.

 
Wenn Hugendubel am Marienplatz nächstes Jahr für geraume Zeit verschwindet, wird es keine Kündigungen geben - ein erklärtes Ziel der Geschäftsführung und des Betriebsrates von Anfang an! Der unausweichliche Personalabbau sollte daher vor allem über ein Freiwilligenprogramm erfolgen. Für den Fall, der inzwischen leider eingetreten ist, dass dies allein nicht reichen würde, entschied der Arbeitgeber, die befristeten Arbeitsverträge pünktlich zur Filialschließung auslaufen zu lassen. Das Gesicht bleibt gewahrt - und verlieren Kolleginnen und Kollegen den Arbeitsplatz.

 
Seien wir ehrlich: vermutlich genau dieselben müßten jetzt auch gehen, wären sie unbefristet beschäftigt. Aber - und das ist ein Unterschied: mit einem Rückkehrrecht und nicht ohne Abfindungen! Die entstehenden Mehrkosten hielten sich in Grenzen. Denn ihre vierzig Abfindungen dürften summa summarum kaum die vier höchsten aus dem Freiwilligenprogramm übersteigen: dessen nachträgliche Aufstockung die Firma - nebenbei bemerkt - ja offensichtlich nicht in den Ruin geführt hat.
 

Wenn Hugendubel in München ein Zukunft hat - und davon ist auszugehen, wird der zunächst verringerte Bedarf an Arbeitskräften wieder ansteigen. Deshalb ist jetzt die Zeit, zu sagen: Schluß mit dem Befristungswahn! Denn kann es, falls es jemals sinnvoll war, dann noch sinnvoll sein, weiterhin den Tumpf einer geräuscharm und kostenlos abbaubaren Reservearmee im Ärmel zu behalten? Diese Diskussion müssen Belegschaft und Betriebsrat endlich anstoßen - d.h. vom Arbeitgeber mit Nachdruck eine Rückkehrregelung für Befristungsopfer sowie eine Revision seiner Personalpolitik fordern. Das käme allen zugute - und wäre nach außen das richtige Signal.
 

 

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