Ein Funke Hoffnung - oder Schluß
mit dem Befristungswahn
Kaum ein Film, der während der letzten Jahre in unseren
Kinos zu sehen war, spiegelt die Ängste und Nöte seiner Zeit eindrucksvoller
wider als die Leinwandversion der Romantrilogie Die Tribute von Panem.
Doch nur wenigen Rezensenten der bürgerlichen Presse dürfte wirklich klar
geworden sein, was sie gesehen haben: Schreckensbilder einer Gesellschaft, die
nach einer ökologischen und ökonomischen Katastrophe im Zenit sozialer und
politischer Ungleichheit steht. Die USA am Ende eines Weges, der längst
eingeschlagen ist: auch bei uns!
Gewiß: Nordamerika und Mitteleuropa sind verschiedene
Hausnummern - wird mancher sagen - die Kluft zwischen Arm und Reich hat hier
bei weitem keine solchen Dimensionen angenommen wie dort. Aber auch durch
unsere Gesellschaft ziehen sich immer tiefere Risse. Auch in unserem Land ist
es vor allem Folge einer irregeleiteten Politik und Gesetzgebung, die unter
Berufung auf das Gemeinwohl die Interessen des über das
Gemeinwohl stellt. Die Opfer dieser Entwicklung haben wir nichtzuletzt im
Betrieb vor Augen - uns muss nur wirklich klar werden, was wir
sehen.
Das wohl
fragwürdigste und umstrittenste Arbeitsgesetz, das in der Bundesrepublik
Deutschland gilt, ist das Teilzeit- und Befristungsgesetz. Es gestattet,
Arbeitsverträge abzuschließen, die bis zu zwei Jahren (oder bei Angabe eines
Sachgrundes sogar länger) gelten - und dann auslaufen. Was dahinter steckt, war
der absurde Glaube, dass die Aushebelung des Kündigungsschutzes einen
entgegengesetzten Wirkungsmechanismus auslösen werde. Durch Entlassung des
Arbeitgebers aus der sozialen Verantwortung wollte man ihm Einstellungen
erleichtern - weil er dann nicht mehr Gefahr laufe, sich Arbeitskräfte
einzuhandeln, die er nie wieder loswerden würde.
Der
Personalbedarf, nach dem Unternehmen sinnigerweise ihre Planung ausrichten, hat
aufgrund dieser Maßnahme natürlich nirgendwo zugenommen. Wie sollte er auch?
Stattdessen wurde ein neues Prekariat geschaffen: in einigen Branchen ein
ganzes Heer von meist jungen Beschäftigten, die - mit allen sozialen
Konsequenzen - verurteilt sind, ohne sicheren Arbeitsplatz und ohne
gesicherte Existenz quasi aus der Hand in den Mund zu leben. Dass dies - von
der tristen Situation der Betroffenen abgesehen - unserer Wirtschaft und
Gesellschaft letztlich schadet, leuchtet ein: wertvolle Potentiale bleiben
ungenutzt - kollektives Engagement lohnt nicht mehr!
Arbeitgeber achten derlei Überlegungen allerdings recht
gering. Aus ihrer Sicht steht das Interesse an kurzfristiger Verwertbarkeit
der Arbeitskraft - sozusagen als - im Vordergrund.
Zudem - und dies ist gewiß kein ihnen ganz unwillkommener Nebeneffekt - stärken
sie durch Aufspalten von Belegschaften in Befristete versus Unbefristete die
eigene Position gegenüber der Arbeitnehmerseite.
Schon das
antike Rom betrieb seine Weltmachtpolitik nach dem Grundsatz: Divide et
impera! - Teile und herrsche! Diese Uraltstrategie leider wird heute nicht
minder erfolgreich angewandt, um betriebsrätliche oder gewerkschaftliche
Aktivitäten zum erliegen zu bringen. Stehen im Betrieb sich zwei Gruuppen von
Arbeitnehmern gegenüber, von denen die eine gehen muss und die andere bleiben
darf, werden beide bald wenig Antrieb verspüren, dort z.B. Tarifverträge oder
bessere Arbeitsbedingungen zu erstreiten. Die eine, weil sie für sich darin von
vorneherein keinen Gewinn und Nutzen sieht! Die andere, weil sie sich damit
allein gelassen und auf verlorenem Posten sieht. Fazit: zwei Häufchen Elend!
Wer zugleich
mit dem Arbeitsvertrag bereits die Kündigung unterzeichnet hat, könnte
eigentlich ungeniert aufbegehren. Aber weit gefehlt! Er wird stillhalten; denn
vielleicht besteht die Chance einer Übernahme ja doch, wenn man nur loyal und
fleißig genug ist. Die Hoffnung erwächst schon aus der unsicheren Lage der
Betroffenen selbst - und wird mit ihnen darum oft ein Spielchen getrieben, das
wie die funktioniert: sie sollen jeder für sich hoffen zu
überleben, nicht hingegen, je die Regeln zu ändern. Im Film drückt es Panems
Präsident Coriolanus Snow - ein abgeklärter Zyniker - so aus: "Ein
bisschen Hoffnung ist nützlich, eine Menge Hoffnung ist gefährlich. Nichts
gegen einen Funken, solange er unter Kontrolle ist."*
Derart verächtlich springt Hugendubel mit Leuten nicht
um - das mag stimmen. freilich laufen deshalb
keineswegs anders ab als die überall anders auch. Seit Jahren herrscht reges
Kommen und Gehen: eine weicht der nächsten.
Entfristungen oder unbefristete Einstellungen sind die Ausnahme und werden
immer seltener. Sie verkümmern (gewollt oder ungewollt) zum Instrument einer
dubiosen Aberglaubendressur. Unser Arbeitgeber aber - und das ist das Paradoxe
- denkt hierbei an seinen guten Namen. Er möchte in der öffentlichen
Wahrnehmung niemand sein, der jemanden vor die Tür setzt.
Wenn
Hugendubel am Marienplatz nächstes Jahr für geraume Zeit verschwindet, wird es
keine Kündigungen geben - ein erklärtes Ziel der Geschäftsführung und des
Betriebsrates von Anfang an! Der unausweichliche Personalabbau sollte daher vor
allem über ein Freiwilligenprogramm erfolgen. Für den Fall, der inzwischen
leider eingetreten ist, dass dies allein nicht reichen würde, entschied der
Arbeitgeber, die befristeten Arbeitsverträge pünktlich zur Filialschließung
auslaufen zu lassen. Das Gesicht bleibt gewahrt - und verlieren Kolleginnen und
Kollegen den Arbeitsplatz.
Seien wir
ehrlich: vermutlich genau dieselben müßten jetzt auch gehen, wären sie
unbefristet beschäftigt. Aber - und das ist ein Unterschied: mit einem
Rückkehrrecht und nicht ohne Abfindungen! Die entstehenden Mehrkosten hielten
sich in Grenzen. Denn ihre vierzig Abfindungen dürften summa summarum kaum
die vier höchsten aus dem Freiwilligenprogramm übersteigen: dessen
nachträgliche Aufstockung die Firma - nebenbei bemerkt - ja offensichtlich
nicht in den Ruin geführt hat.
Wenn
Hugendubel in München ein Zukunft hat - und davon ist auszugehen, wird der
zunächst verringerte Bedarf an Arbeitskräften wieder ansteigen. Deshalb ist
jetzt die Zeit, zu sagen: Schluß mit dem Befristungswahn! Denn kann es, falls
es jemals sinnvoll war, dann noch sinnvoll sein, weiterhin den Tumpf einer
geräuscharm und kostenlos abbaubaren Reservearmee im Ärmel zu behalten? Diese
Diskussion müssen Belegschaft und Betriebsrat endlich anstoßen - d.h. vom
Arbeitgeber mit Nachdruck eine Rückkehrregelung für Befristungsopfer sowie eine
Revision seiner Personalpolitik fordern. Das käme allen zugute - und wäre nach
außen das richtige Signal.
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