Montag, 7. Oktober 2013

Little machines

Buchmesse-Special Kleinverlage: Laika, Kulturmaschinen, Liebeskind, Belleville

"Ökonomische Krisen führen nicht automatisch zu politischen Krisen. (...)  Es ist dennoch immer wieder schwer zu begreifen, wie das kapitalistische System sich aus diesen Krisen heraus erneuert. Es verwundert auch, wie das politische System diesen Herausforderungen trotzt und stabil bleiben kann."


Diese Sätze stehen in dem von Christian Gaedt im März 2013 herausgegebenen Band "Krise der Ökonomie - Krise der Hegemonie". Der Titel ist im Laika-Verlag erschienen und enthält - ausgehend von Ansätzen des italienischen Theoretikers Antonio Gramschi - Aufsätze und Essays zur aktuellen Lage.

Wir nehmen die in dieser Woche stattfindende Buchmesse in Frankfurt zum Anlaß, hier im Infoblog vier kleine Verlage vorzustellen: Laika-Verlag, Kulturmaschinen-Verlag, Liebeskind und Belleville.


Laika-Verlag
 
Der Laika-Verlag wurde 2009 in Hamburg gegründet. Wie das Verlagslogo zeigt, wurde er offensichtlich nach der 1957 mit dem Satelliten Sputnik als erstes Lebewesen ins All beförderten Hündin Laika benannt. Schwerpunkte sind Politik und Zeitgeschichte. Sehr interessant ist das Konzept der Verlagsreihe Bibliothek des Widerstands, die jeweils ein Buch mit einer DVD verbindet und auch im Abonnement erhältlich ist. Das Themenspektrum der mittlerweile 29 Bände ist äußerst vielseitig: Anti-Atomkraft-Bewegung, Black Panther Party in den USA oder auch die historische Entwicklung in Chile nach dem Putsch von Pinochet:


 
 


Bemerkenswert aus dieser Reihe ist auch das Medienset, in dem der Kampf gegen die WAA in Wackersdorf geschildert wird. Hautnah läßt sich im beigefügten spannenden Dokumentarfilm die Veränderung von konservativ-katholischen oberpfälzer Bürgern und treuen CSU-Wählern zu erbitterten Kritikern des von Franz-Josef Strauß installierten Polizeistaats zur Durchsetzung der Interessen der Atomindustrie beobachten. Sehenswert!



Kulturmaschinen-Verlag

Nur ein Jahr älter als der Laika-Verlag ist der in Berlin-Kreuzberg residierende Kulturmaschinen-Verlag. Neben Sachbüchern bringt er vor allem Belletristik und Lyrik.So wird das Gesamtwerk des 2011  verstorbenen Lyrikers, Liedermachers und Schriftstellers Franz Josef Degenhardt herausgegeben. Sein Werk umfasst sieben Romane, ein Jugendbuch und zwei Liederbücher, darunter der 1973 erschienene Roman "Zündschnüre".
 
Degenhardt erzählt in seinem Buch, das starke autobiografische Züge trägt, die Geschichte proletarischer Jugendlicher. Kriegskinder sind sie, aufwachsend in einer Welt ohne Väter. Die Normalität der Zeit will ihnen nicht normal erscheinen und so schließen sie sich 1944 einer antifaschistischen Widerstandsgruppe an.
 
 
 
 
 
 
 
Liebeskind-Verlag
 
 
Mitten in München, zwischen Marienplatz und Isartor, hat der aus einer Buchhandlung hervorgegangene Liebeskind-Verlag seinen Sitz. Verlagsschwerpunkt ist internationale zeitgenössische Literatur und Essayistik. Eines der ambitionierten Buchprojekte des Verlages ist die Neuübersetzung von Proust durch Michael Kleeberg (mittlerweile zwei Bände) oder die in den siebziger und achtziger  Jahren in Nordengland spielenden literarischen Krimis von David Peace.
 




 
 
 
 
Belleville-Verlag
 
Wenn ein in München ansässiger Verlag eine "Chronik des Polizeipräsidiums München 1294 - 1973" veröffentlicht, dann denkt man sich als Buchhändler dabei nichts besonderes, sondern ist höchstens darüber verwundert, daß die Chronik bereits 1294 (!) beginnt.Außerhalb Bayerns lebende Menschen könnten dies freilich als weiteren Beweis für kursierende anti-bajuwarische Vorurteile hernehmen.
 
 
Chronik des Polizeipräsidiums München I
 
 
Wenn dann der Verlag einen Autor publiziert, in dessen Werk folgende Sätze zu lesen sind, dann könnte man fast auf die Idee kommen, daß sich der Verlag einer gewissen CSU-Nähe erfreut, was in Bayern pekuniär ja kein Nachteil sein muß:
 
»Der Kommunismus ist noch nicht geboren. Und er wird vielleicht niemals kommen, da es sich um eine imaginäre Utopie handelt, deren Voraussetzung die Existenz eines kommunistischen Menschen ist: eine unmögliche Voraussetzung.«
 
Aber weit gefehlt! Der Name dieses Autors des Belleville-Verlags ist nämlich:
Muammar al-Gaddafi.
 
 
 
Illegale Publikation
 
 
Enthalten sind diese Sätze, bei der jeder antikommunistische CSU-Wähler sofort Beifall klatschen würde, in dem bei Belleville erschienenen Band "Illegale Publikation", der vier Essays von Gaddafi enthält. Das Buch erschien auf deutsch 2009, zwei Jahre, bevor Gaddafi in den Bürgerkriegswirren in Libyen von Aufständischen umgebracht worden ist.

Und wenn man dann noch erfährt, daß der Verlag Werke von Aleister Crowley und Leopold Sacher-Masoch veröffentlicht, dann sind wohl wieder etliche Vorurteile implodiert.
Aber damit nicht genug. Das Verlagsprogramm ist wie ein fantastisches Kaleidoskop:

Lyrik von Helmut Krausser und frühen Dadaisten, eine monumentale Biographie des Horror-Stummfilm-Darstellers (Nomen est Omen!) Max Schreck, Hör-CDs mit experimentellen Hörspielen, undsoweiterundsofort.

So verwundert es auch zu guter Letzt nicht, daß der Verlag einen eigenen Schwerpunkt "Sahara" (!) mit diversen Titeln hat, darunter:

Werner Nöther:
Die Erschließung der Sahara durch Motorfahrzeuge 1901–1936
Chronik einer Pionierepoche

832 Seiten, Gebunden,  zahlreiche Fotos und Abb., ca. 40 Karten.

Der Titel ist leider vergriffen, soll aber, wie der umtriebige Verleger Klaus Farin auf seiner Verlags-Homepage angekündigt hat,  2020 (!) wieder erscheinen.


Ein kleiner Verlag, der in großen Dimensionen denkt.

Aber das gilt in gewisser Weise für alle der vier hier vorgestellten Verlage.
Büchermacher, die ihren Beruf aus Berufung machen.
Verlegerunternehmer, die etwas unternehmen.
Und die Bücher herstellen, die ihren Verlegern, den Buchhändlern und den Lesern wichtig sind und/oder Spaß machen.

So kann es also auch gehen. Wie es anders geht, erzählen die Profitmaximierer von McKinsey &Co. oder manche Eigentümer von Buchhandelsketten, die die Verlage auffordern, nur noch verkäufliche Titel zu produzieren. Aber das ist eine andere Geschichte.

Bleibt zum Schluß nur, der Aufforderung Gottes an den heiligen Augustinus Folge zu leisten:

Tolle, lege!

Nimm und lies!

 


 
 
 
 
 
 
 
 


1 Kommentar:

  1. Sehr interessant, aber schreibt lieber mal was über die tollen Aktionen der KollegInnen beim Weltbild-Kundendienst. Da könnten sich die BuchhändlerInnen in den Filialen mal eine Scheibe abschneiden, wenn sie auch nach dem Weihnachtsgeschäft noch ihren Arbeitsplatz haben wollen: http://weltbild-verdi.blogspot.de/2013/10/ccc-beschaftigte-appellieren-carel.html

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