Das Glück der Solidarität
Von den Büchern, die dieses Jahr zum 70. Geburtstag
des Grundgesetzes erschienen sind, sollte man eines auf jeden Fall
lesen: Eigentum verpflichtet von Heribert Prantl.
Es ist keine der üblichen Festreden, die in verklärendem Rückblick
das Erreichte feiern. Es zeigt jedoch, dass das Grundgesetz eine
Antwort auf Probleme unserer Zeit und ein wichtiges Werkzeug bei der
Gestaltung einer besseren Zukunft nicht nur für Deutschland, sondern
auch für ein geeintes Europa sein könnte.
Was den gegenwärtigen Zustand unserer Gesellschaft angeht, zieht der Autor eine ernüchternde Bilanz.
Was den gegenwärtigen Zustand unserer Gesellschaft angeht, zieht der Autor eine ernüchternde Bilanz.
Sein erstes Thema ist die Armut in all ihren
Erscheinungsformen: Wohnungsnot, Niedriglöhne, Altersarmut. Folgen
einer fehlgeleiteten Politik, die seit dem Fall des Eisernen
Vorhanges unter Einfluss der neoliberalistischen Ideologie den Abbau
des Sozialstaates und die Deregulierung der Wirtschaft betrieben hat
und weiter betreibt.
Mit Recht werde daher jener fast vergessene Artikel des
Grundgesetzes, der sagt, dass Eigentum verpflichtet, wieder ins
Gespräch gebracht. Heribert Prantl betrachtet ihn als „Auftrag“
zur Einleitung einer politischen Wende: „Europa neu zu bauen,
Europa neu zu erfinden. Es geht darum, eine sozialökologisch
regulierte Marktwirtschaft zu etablieren, die kapitalistische
Gewinngier bändigt.
Es geht um den Ausbau der Mitbestimmung in den
Unternehmen, es geht um Wirtschaftsdemokratie.
Deshalb der provokante Appell: „Holen wir uns die
Revolution zurück.“ Denn die Deutschen haben vergessen, was am 7.
November 1918 geschah. Niemand gedenkt mehr der Frauen und Männer,
die damals Demokratie und Freiheitsrechte erkämpft haben, die heute
selbstverständlich sind – „Aber fast jeder kennt den Geist, der
diese Revolution in die deutsche Gesellschaft trug. Kaum einer weiß,
dass es der Geist der Revolution ist. Es ist ... der Geist des
deutschen Sozialstaats.“
Die von der Weimarer Verfassung vorgesehene
Demokratisierung der Wirtschaft scheiterte zwar an den
Machtverhältnissen und der Wirtschaftskrise. Sie wurde in der
Bundesrepublik nicht wieder aufgegriffen. Zumindest aber die
Forderung nach dem Sozialstaat fand Eingang ins Grundgesetz:
durch die Gemeinwohlbindung des Eigentums und die
Möglichkeit seiner Vergesellschaftung.
Das war die Lehre, die aus der Vergangenheit gezogen
wurde: ohne Sozialstaat keine Demokratie.
Wenn heute besonders FDP-Politiker fordern, diese
Artikel zu streichen, widerspricht das also der Intention und
Tradition des Grundgesetzes. Denn dieses schreibt der Politik zwar
keine Wirtschaftsordnung vor, aber verpflichtet sie, bei deren
Gestaltung auf die Grund- und Menschenrechte.
Dass einem etwas gehört, heißt daher nicht, dass man
damit alles tun kann, was man will. Je wichtiger es für die
Gesellschaft ist, desto stärker dürfen die Befugnisse des
Eigentümers gesetzlich beschränkt werden.
Deshalb sieht Heribert Prantl hier im Grundgesetz ein
notwendiges Korrektiv zu den politischen und sozialen
Fehlentwicklungen der Gegenwart.
Sollen Demokratie und Freiheitsrechte nicht rechten
Demagogen zum Opfer fallen, müssen wir mit Solidarität und
Sozialstaat wieder ernst machen. Das Ziel dabei ist nicht, dass
Menschen zu Almosenempfängern werden, sondern dass sie „Bürger“
bleiben – und nicht zuletzt auch, ein menschlicheres Europa zu
schaffen, das ihnen zur Heimat wird.
Heribert Prantl schließt sein Buch daher mit einem
politischen Bekenntnis, das uns aufrüttelnsoll:
„Wir lieben die Grundrechte, wir lieben das
respektvolle Zusammenleben der Menschen aller Religionen und
Kulturen, wir lieben Europa, wir lieben die Freiheitsrechte, wir
lieben einen fürsorglichen Sozialstaat. Glücklich ist, wer das, was
er liebt, auch wagt, mit Mut zu beschützen.
Gönnen wir uns dieses Glück.
Es ist das Glück der Solidarität.“
Das wäre ein guter Vorsatz für das nächste Jahr. Solidarisch sein für mehr soziale Gerechtigkeit kämpfen. Und zwar genau da, wo die Ungerechtigkeit produziert wird: in den Unternehmen und Betrieben! Auch bei Hugendubel!
AntwortenLöschenRichtig! Die Leute jammern immer nur, dass die Wirtschaftsbosse alles beherrschen und die Politiker nichts unternehmen. Aber auf den naheliegenden Gedanken, sich im eigenen Betrieb selbst für bessere und gerechte Verhältnisse einzusetzen, kommen die wenigsten. Deshalb ist es wichtig, dass wieder mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sich gewerkschaftlich organisieren und engagieren. Wir sind da bei Hugendubel auf einem guten Weg, aber noch lange nicht am Ziel.
AntwortenLöschenNach dem letzten Streik hat mich eine Kollegin, die sich noch nie an einem Streik beteiligt hat, gefragt, weshalb die Leute bei den Streikdemos immer so fröhlich aussähen, obwohl sie doch eigentlich wütend aussehen müßten. Ich vermute, sie wollte mit der Frage darauf hinaus, dass es uns gar nicht um die Sache gehe, sondern um drei arbeitsfrei Tage. Sie war nur höflich (oder vorsichtig) genug, es mir nicht zu sagen. Aber es stimmt nicht. Der wirkliche Grund ist, dass sie wahrscheinlich genau das empfinden: das Glück der Solidarität.
AntwortenLöschenDer Grund für die Fröhlichkeit besteht auch in der Überwindung der Angst, die es kostet an einem Streik teilzunehmen. Böse Blicke von einigen Chefs oder Kolleginnen, die nicht kapieren, dass man auch für IHRE Interessen streikt. Sich von der Angst befreien und , ja, das Glück der Solidarität zu spüren.
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