Montag, 30. Dezember 2019

Holen wir uns die Revolution zurück!

Das Glück der Solidarität




Von den Büchern, die dieses Jahr zum 70. Geburtstag des Grundgesetzes erschienen sind, sollte man eines auf jeden Fall lesen:  Eigentum verpflichtet  von Heribert Prantl. Es ist keine der üblichen Festreden, die in verklärendem Rückblick das Erreichte feiern. Es zeigt jedoch, dass das Grundgesetz eine Antwort auf Probleme unserer Zeit und ein wichtiges Werkzeug bei der Gestaltung einer besseren Zukunft nicht nur für Deutschland, sondern auch für ein geeintes Europa sein könnte.


Was den gegenwärtigen Zustand unserer Gesellschaft angeht, zieht der Autor eine ernüchternde Bilanz.

Sein erstes Thema ist die Armut in all ihren Erscheinungsformen: Wohnungsnot, Niedriglöhne, Altersarmut. Folgen einer fehlgeleiteten Politik, die seit dem Fall des Eisernen Vorhanges unter Einfluss der neoliberalistischen Ideologie den Abbau des Sozialstaates und die Deregulierung der Wirtschaft betrieben hat und weiter betreibt.


Mit Recht werde daher jener fast vergessene Artikel des Grundgesetzes, der sagt, dass Eigentum verpflichtet, wieder ins Gespräch gebracht. Heribert Prantl betrachtet ihn als „Auftrag“ zur Einleitung einer politischen Wende: „Europa neu zu bauen, Europa neu zu erfinden. Es geht darum, eine sozialökologisch regulierte Marktwirtschaft zu etablieren, die kapitalistische Gewinngier bändigt.


Es geht um den Ausbau der Mitbestimmung in den Unternehmen, es geht um Wirtschaftsdemokratie.

Deshalb der provokante Appell: „Holen wir uns die Revolution zurück.“ Denn die Deutschen haben vergessen, was am 7. November 1918 geschah. Niemand gedenkt mehr der Frauen und Männer, die damals Demokratie und Freiheitsrechte erkämpft haben, die heute selbstverständlich sind – „Aber fast jeder kennt den Geist, der diese Revolution in die deutsche Gesellschaft trug. Kaum einer weiß, dass es der Geist der Revolution ist. Es ist ... der Geist des deutschen Sozialstaats.“


Die von der Weimarer Verfassung vorgesehene Demokratisierung der Wirtschaft scheiterte zwar an den Machtverhältnissen und der Wirtschaftskrise. Sie wurde in der Bundesrepublik nicht wieder aufgegriffen. Zumindest aber die Forderung nach dem Sozialstaat fand Eingang ins Grundgesetz:

 durch die Gemeinwohlbindung des Eigentums und die Möglichkeit seiner Vergesellschaftung. 

Das war die Lehre, die aus der Vergangenheit gezogen wurde: ohne Sozialstaat keine Demokratie.


Wenn heute besonders FDP-Politiker fordern, diese Artikel zu streichen, widerspricht das also der Intention und Tradition des Grundgesetzes. Denn dieses schreibt der Politik zwar keine Wirtschaftsordnung vor, aber verpflichtet sie, bei deren Gestaltung auf die Grund- und Menschenrechte.


Dass einem etwas gehört, heißt daher nicht, dass man damit alles tun kann, was man will. Je wichtiger es für die Gesellschaft ist, desto stärker dürfen die Befugnisse des Eigentümers gesetzlich beschränkt werden.


Deshalb sieht Heribert Prantl hier im Grundgesetz ein notwendiges Korrektiv zu den politischen und sozialen Fehlentwicklungen der Gegenwart.


Sollen Demokratie und Freiheitsrechte nicht rechten Demagogen zum Opfer fallen, müssen wir mit Solidarität und Sozialstaat wieder ernst machen. Das Ziel dabei ist nicht, dass Menschen zu Almosenempfängern werden, sondern dass sie „Bürger“ bleiben – und nicht zuletzt auch, ein menschlicheres Europa zu schaffen, das ihnen zur Heimat wird.


Heribert Prantl schließt sein Buch daher mit einem politischen Bekenntnis, das uns aufrüttelnsoll: 

„Wir lieben die Grundrechte, wir lieben das respektvolle Zusammenleben der Menschen aller Religionen und Kulturen, wir lieben Europa, wir lieben die Freiheitsrechte, wir lieben einen fürsorglichen Sozialstaat. Glücklich ist, wer das, was er liebt, auch wagt, mit Mut zu beschützen.


Gönnen wir uns dieses Glück.


Es ist das Glück der Solidarität.“





4 Kommentare:

  1. Das wäre ein guter Vorsatz für das nächste Jahr. Solidarisch sein für mehr soziale Gerechtigkeit kämpfen. Und zwar genau da, wo die Ungerechtigkeit produziert wird: in den Unternehmen und Betrieben! Auch bei Hugendubel!

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  2. Richtig! Die Leute jammern immer nur, dass die Wirtschaftsbosse alles beherrschen und die Politiker nichts unternehmen. Aber auf den naheliegenden Gedanken, sich im eigenen Betrieb selbst für bessere und gerechte Verhältnisse einzusetzen, kommen die wenigsten. Deshalb ist es wichtig, dass wieder mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sich gewerkschaftlich organisieren und engagieren. Wir sind da bei Hugendubel auf einem guten Weg, aber noch lange nicht am Ziel.

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  3. Nach dem letzten Streik hat mich eine Kollegin, die sich noch nie an einem Streik beteiligt hat, gefragt, weshalb die Leute bei den Streikdemos immer so fröhlich aussähen, obwohl sie doch eigentlich wütend aussehen müßten. Ich vermute, sie wollte mit der Frage darauf hinaus, dass es uns gar nicht um die Sache gehe, sondern um drei arbeitsfrei Tage. Sie war nur höflich (oder vorsichtig) genug, es mir nicht zu sagen. Aber es stimmt nicht. Der wirkliche Grund ist, dass sie wahrscheinlich genau das empfinden: das Glück der Solidarität.

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    1. Der Grund für die Fröhlichkeit besteht auch in der Überwindung der Angst, die es kostet an einem Streik teilzunehmen. Böse Blicke von einigen Chefs oder Kolleginnen, die nicht kapieren, dass man auch für IHRE Interessen streikt. Sich von der Angst befreien und , ja, das Glück der Solidarität zu spüren.

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