Interview mit Orhan Akman
Ohne diese Streiks mit regelmäßig sehr hohen Teilnehmerzahlen hätte sich die Arbeitgeberseite kein Stück bewegt. Es gibt zwar noch keinen Tarifvertrag, aber Amazon hat inzwischen mehrfach die Entgelte erhöht, zuletzt im September 2019 analog zu unseren Tarifabschlüssen im Einzel- und Versandhandel.
Auch bei den Arbeitsbedingungen konnten wir Verbesserungen durchsetzen, wobei hier nach wie vor viel zu tun ist, damit die Beschäftigten von Amazon den Rahmen für gute und gesunde Arbeitsbedingungen bekommen. Der Umgang mit den Betriebsräten ist mittlerweile respektvoller als zu Beginn der Streiks 2013. Die Amazon-Beschäftigten ziehen ihre Motivation zur Teilnahme an den regelmäßigen Arbeitsniederlegungen aus diesen konkreten Ergebnissen und Verbesserungen.
Aber der Abschluss von Tarifverträgen bleibt das Ziel?
Auf jeden Fall. Auch bei Amazon müssen wir unsere gewerkschaftliche Arbeit fortsetzen und aufbauen. Die Betriebsräte haben den nötigen langen Atem, ebenso die Vertrauensleute und andere Verdi-Aktive an den Standorten. Wir als hauptamtliche Gewerkschafter sehen unsere Verantwortung in der Organisation und Koordination dieser regelmäßigen Aktionen für Tarifverträge und bessere Arbeitsbedingungen.
Letztlich wollen wir die Deutungshoheit darüber behalten, was gute Arbeitsbedingungen ausmacht – und sie nicht dem Arbeitgeber überlassen. Wir lassen es nicht zu, dass Entgelte und andere Konditionen nach Gutsherrenart durch Unternehmen festgelegt werden. Auch gesellschaftspolitisch gilt es, diesen Monopolkapitalisten in die Schranken zu weisen.
Amazon behauptet, dass die Streiks das Unternehmen wirtschaftlich nicht treffen. Was ist davon zu halten?
Das stimmt nicht, denn Amazon stellt während der aktuellen Streikwochen, die Ende November begonnen haben und bis kurz vor Weihnachten dauern, verstärkt und massenhaft Saisonkräfte ein. Ein weiteres Indiz dafür, dass das Unternehmen sich sehr wohl durch die Streiks getroffen fühlt und extra Geld ausgibt, ist die derzeit laufende Werbekampagne, in der sich Amazon als guter Arbeitgeber präsentieren will. Offenkundig sieht sich das Unternehmen genötigt, damit auf die hierzulande größer werdenden Imageprobleme zu reagieren.
Ende April hat in Berlin ein internationales Gewerkschaftstreffen zu Amazon stattgefunden. Was ist aus der dort begonnenen Vernetzung bisher geworden?
Die internationale Zusammenarbeit von Gewerkschaften bei Amazon läuft seit einigen Jahren. 2019 haben wir zusammen mit unserem internationalen Dachverband UNI Global Union zwei gewerkschaftliche Vernetzungstreffen organisiert. Ende April kamen Gewerkschafter aus 16 Ländern in Berlin zusammen. Und Ende Oktober haben wir uns in Dublin getroffen, um uns auszutauschen, unsere Arbeit kontinuierlich auszubauen und die künftige Strategie zu besprechen.
Zudem gab es Anfang Dezember in Brüssel auf Einladung des Internationalen Gewerkschaftsbundes und der UNI Global Union ein Symposium über die »Unkontrollierte Macht von Amazon in der heutigen Wirtschaft und Gesellschaft«, an dem rund 100 Interessierte teilnahmen.
Inzwischen haben sich bereits 23 Gewerkschaften aus 19 Ländern zum Amazon-Bündnis zusammengeschlossen. Wir wollen vermitteln, dass das Unternehmen nicht zum übergroßen Gegner stilisiert werden darf, dem wir nichts entgegensetzen können.
Nein, wir können uns wehren! Amazon ist ein kapitalistischer Konzern wie andere auch, nur besonders groß und mächtig. Und es wird höchste Zeit, dass er seiner sozialen Verantwortung gerecht wird."
Orhan Akman ist Leiter der Bundesfachgruppe Einzelhandel bei ver.di
Interview: Gudrun Giese,
Quelle: junge Welt, 19.12.2019
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