Zur Kritik des bedingungslosen Grundeinkommens
Wie hieß es in der "Deutschen Ideologie" von Karl Marx: In der kommunistischen Gemeinschaft regelt die Gesellschaft die allgemeine Produktion und ermöglicht es, "heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden." Wenn künftig intelligente Maschinen die notwendige Arbeit erledigen und ein Grundeinkommen für die Existenzsicherung sorgt, kann sich der Mensch dann nicht endlich selbst verwirklichen?
Grundeinkommen führt nicht zu mehr sozialer Gerechtigkeit
Es scheint geradezu, als wollten die Anhänger des bedingungslosen Grundeinkommens den Kommunismus im Kapitalismus verwirklichen. Das ist allerdings ein Widerspruch in sich, denn die Eigentumsverhältnisse bestünden ja fort. Und so führt auch das Grundeinkommen nicht zu mehr sozialer Gerechtigkeit, sondern eher zu weniger. Mit einer Sozialpolitik nach dem Gießkannenprinzip würde der Staat die unterschiedliche finanzielle Leistungsfähigkeit der einzelnen Gesellschaftsmitglieder ignorieren. Wäre es wirklich fair, wenn der Milliardär dieselbe Summe ausgezahlt bekäme wie der Müllwerker? Nein. Gleiches sollte gleich und Ungleiches ungleich behandelt werden!
Denkt man die Grundeinkommenslogik zu Ende, könnten alle übrigen Sozialleistungen abgeschafft und alle sozialpolitisch motivierten Regulierungen des Arbeitsmarktes gestrichen werden. Es gäbe womöglich keinen Schutz vor Kündigungen mehr, sondern bloß noch betriebliche Abfindungsregelungen. Flächentarifverträge wären genauso entbehrlich wie Mindestlöhne. Schließlich müsste kein Beschäftigter mehr geschützt werden, sofern der Staat sein Existenzminimum garantieren würde. Kurzum: Was vielen Erwerbslosen als "Schlaraffenland ohne Arbeitszwang" erscheint, wäre in Wirklichkeit ein Paradies für Unternehmer. Arbeitnehmer hätten dagegen weniger Rechte als bisher und Gewerkschaften keine Macht mehr.
Wertschöpfungsabgabe statt Grundeinkommen
Wer mehr Verteilungsgerechtigkeit anstrebt, darf deshalb nicht aufs Grundeinkommen setzen. Vielmehr wären ganz andere Maßnahmen nötig, wenn Arbeitsplätze massenhaft wegrationalisiert würden. Durch eine Wertschöpfungsabgabe, oft Maschinensteuer genannt, ließe sich das Kapital stärker zur Entrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen heranziehen. Beiträge müssten im Rahmen einer solidarischen Bürgerversicherung nicht bloß auf Löhne und Gehälter, sondern auf sämtliche Einkunftsarten erhoben werden: auch auf Zinsen, Dividenden, Tantiemen sowie Miet- und Pachterlöse. Statt den bestehenden Sozialstaat zu zerstören, sollte man ihn auf ein solides Fundament stellen.
Der Text dieses Artikels stammt von dem Soziologen Christoph Butterwege, der von der Partei Die Linke für die Wahl zum Bundespräsidenten im Februar 2017 nominiert worden ist.
Der Beitrag wurde erstmals veröffentlicht in der Sendereihe "Sein und Streit" im Deutschlandradio am 8. Januar 2017
Quelle: http://www.deutschlandradiokultur.de/armutsdebatte-das-bedingungslose-grundeinkommen-ist.2162.de.html?dram:article_id=375838
Das ist ein ausgezeichneter Beitrag. Gerade heute erst hat mich mein Sohn gefragt, ob ich aufhören würde, Bücher zu verkaufen, wenn ich zwanzig Millionen Euro hätte. Ich habe zu seiner und meiner eigenen Überraschung spontan geantwortet: Nein, weil das meine Arbeit ist. Dabei habe ich selber erst richtig verstanden, was es bedeutet, zu arbeiten. Ich möchte gar nicht wissen, wie in einer kapitalistischen Grundeinkommens-Gesellschaft die Wenigen, die ihren Reichtum angeblich durch Fleiß verdient haben, mit dem - wie es dann sicherlich heissen würde - "sozialschmarotzenden" Rest umspringen würden. Das wäre das Ende jeder Menschlichkeit und Selbstachtung.
AntwortenLöschenMan könnte es vielleicht auch so sagen: wir haben - zumindest in den reichen Ländern Westeuropas und Nordamerikas nicht unbedingt ein Problem mit absoluter Armut, sondern mit wachsender sozialer und politischer Ungleichheit - sowie den daraus resultierenden Konfliktpotentialen. Zur Reduzierung der Ungleichheit würde ein Grundeinkommen unter den oben dargestellten Bedingungen nicht das geringste beitragen, sondern sie vermehren, weil die Einkommenskluft im Verhältnis zum Grundeinkommen und die damit verbundene Unzufriedenheit vermutlich schnell zunehmen würde und immer mehr Menschen davon betroffen wären. Außerdem ist die Betrachtung auch darin ein bißchen engstirnig, dass sie nicht über die nationalen Grenzen hinausgeht und die globale Ungleichheit (sowie den daraus resultierenden Migrationsdruck) vermutlich gar nicht erst auf dem Schirm hat. Ich weiss nicht, wie es anderen geht - ich jedenfalls möchte in keinem fest ummauerten und minenfeldgesichertem Seniorenparadies der Grundversorgten leben!
AntwortenLöschenPanem et circenses auf der einen Seite und das Ende der politischen Partizipation auf der anderen. Kennen wir! Neuauflage nicht erwünscht!
LöschenButterwegge hat Recht, allerdings gibt es in der Linkspartei eine starke Strömung um K.Kipping, die für eine Grundsicherung ist.
AntwortenLöschenEs ist aber zu befürchten, dass nach der Linkspartei und ihren Zielen im "Seniorenparadies der Grundversorgten", wie es oben so schön genannt wurde, kaum noch ein Hahn krähen würde. So wie Deutschland und ganz Europa momentan von vielen gedacht wird, hätten die Grundversorgten sehr bald nur noch das eine Thema: ob ihnen ihre Grundversorgung nicht von Asylanten und Immigranten streitig gemacht werden könnte. Diese Debatte würde meiner Meinung nach dann wahrscheinlich innerhalb kürzester Zeit zu einem Zwei- oder Einparteiensystem führen: eine nativistische Ausgrenzungspartei der Grundversorgten gegen die neoliberalistsche Globalisierungspartei einer privilegierten "Arbeiteraristokratie" oder beides aus einer Hand - womöglich unter dem Parteinamen AFD. Auch wenn das vielleicht überheblich von mir ist: ich kann nicht glauben, dass die Leute wirklich ahnen, was sie sich da aufhalsen würden.
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