Mittwoch, 18. Januar 2017

Was hat die Schuldenbremse mit der Privatisierung der Autobahnen zu tun?

Interview mit Holger Mühlenkamp



Vor gut einer Woche hat das Bundeskabinett den Beschluss zur Schaffung einer zentralen Infrastrukturgesellschaft in Bundeshoheit nebst der dafür notwendigen Änderungen des Grundgesetzes gefasst. Die geplante Autobahn-GmbH soll künftig für Bau, Erhalt und Betrieb von Deutschlands Fernstraßen zuständig sein. Wenn es so kommt, wem gehören dann ab 2021 die Autobahnen?

Die sogenannte Autobahngesellschaft wird zu 100 Prozent in Bundesbesitz sein. Damit bleiben auch die Autobahnen de jure im Eigentum der öffentlichen Hand und gehören weiterhin den Bürgerinnen und Bürgern. Allerdings: Zwar werden Privatinvestoren nicht direkt an der Konstruktion beteiligt sein. Gleichwohl ist zu erwarten, dass diese Gesellschaft öffentlich-private Partnerschaften eingeht und damit Private mehr als in der Vergangenheit einbezogen werden bei Planung, Bau und Betrieb der Fernstraßen. Wenn man so will, läuft die Sache auf eine Privatisierung unter der Oberfläche hinaus.


Derzeit werden öffentlich-private Partnerschaften, ÖPP, auf Länderebene im Straßenbau praktiziert. Worin bestünde die neue Qualität einer Projektierung in Bundeshoheit?



Es ist erkennbar, dass der Bund ziemlich klare Präferenzen für das ÖPP-Modell hat. Durch die künftige Alleinzuständigkeit wird er freier schalten und walten können. Ich vermute deshalb, dass die ÖPP stärker gefördert werden sollen als bisher. Dafür spricht, dass diese Gesellschaft, obwohl komplett in Bundeshand, ohne Staatsgarantien auskommen soll. Die Fratzscher-Kommission, welche die konzeptionelle Vorarbeit für das Vorhaben leistete, hält in ihrem 2015 vorgelegten Bericht fest, dass für die Autobahn-GmbH nicht die Regelungen der Schuldenbremse gelten dürften. Sie soll sich also verschulden können, ohne dass dies unter dem Label »Staatsverschuldung« läuft. Genau dasselbe gilt auch für ÖPP-Projekte.


Was folgt daraus für die öffentlichen Haushalte?


Mit einer Gesellschaft ohne Staatsgarantien werden die Kosten der Kapitalbeschaffung in die Höhe getrieben. Nimmt der Bund unmittelbar Kredite auf, dann hat er wegen der exzellenten Bonität Deutschlands unschlagbar günstige Konditionen. Aktuell verdient die Bundesrepublik sogar an den Negativzinsen, wenn er Kredite aufnimmt. Ohne Staatsgarantien aber werden bei entsprechend schlechterer Bonität höhere Zinsen fällig, wodurch private Kapitalgeber wiederum höhere Renditen erzielen können. Ziel ist es offenbar, institutionelle Anleger zu fördern.


Zum Mitschreiben: Der Staat hält sich vielleicht schon bald eine privatrechtliche Gesellschaft mit dem Ziel, Infrastrukturprojekte teurer als nötig zu machen, um so die Gewinne von Investoren zu steigern.


So sieht es aus.


Wie bewerten Sie das?


Man muss vermuten, dass sich hier gewisse Interessengruppen durchgesetzt haben, also Banken und Versicherungen und andere institutionelle Anleger.







Der sozialdemokratische Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel rühmt sich damit, eine Privatisierung verhindert zu haben. Er habe dem Ansinnen von CDU-Finanzminister Wolfgang Schäuble widerstanden, der die Autobahngesellschaft zu knapp 50 Prozent für Privatanleger öffnen wollte. Vor zwei Jahren hatte der SPD-Chef zudem erklärt: »Es geht nicht um eine Neuauflage von ÖPP-Projekten.« Würden auch Sie sich von den Politikern mehr Ehrlichkeit wünschen?


Herr Gabriel lügt ja nicht, wenn er sagt, es liegt keine materielle Privatisierung vor. Aber es ist zu erwarten, dass Private verstärkt in die Finanzierung und Organisation öffentlicher Aufgaben einbezogen werden. Das wäre dann eine sogenannte Aufgabenprivatisierung. Nur wird das nicht gerade mit allergrößter Offenheit kommuniziert.


Welche Ausmaße könnte eine ÖPP-Vermarktung im Bereich der Autobahnen annehmen?


Mich würde es nicht überraschen, wenn größere Teilnetzbereiche oder sogar das Gesamtnetz in nicht allzu ferner Zukunft in Gestalt von ÖPP bewirtschaftet werden.


Welche Rolle könnten dabei Mautgebühren spielen?


An der Maut kommt man nicht vorbei, wenn es darum geht, Privatinvestoren für die Sache zu gewinnen. Aber natürlich bleibt am Ende immer auch der Steuerzahler in der Haftung, sollte die Gesellschaft einmal in die Insolvenz gehen. In Spanien ist genau dies gerade passiert. Dort muss die Regierung mehrere Milliarden Euro in die Hand nehmen, um nichtrentable private Autobahnen zu übernehmen.


In Frankreich bescheren die Privatautobahnen den Betreibern Umsatzrenditen von über 20 Prozent. Dafür steigen aber die Mautgebühren seit Jahren ungebremst. Ein Modell für Deutschland?


Ich rechne fest damit, dass es auch hierzulande über kurz oder lang eine allgemeine Maut geben wird.


Die »Ausländermaut« von Verkehrsminister Alexander ­Dobrindt, CSU, wäre demnach nur ein Vorspiel?


Vermutlich. Ich habe als Wirtschaftswissenschaftler gar nichts gegen eine allgemeine Maut, wenn diese vernünftig ausgestaltet wäre. Was mich stört, ist die Konstruktion der Autobahngesellschaft ohne Staatsgarantien und außerhalb der Regelungen zur Schuldenbremse.


Der Verein »Gemeingut in BürgerInnenhand« gibt zu bedenken, dass sich künftig auch Schulen und andere öffentliche Einrichtungen mit dem ÖPP-Modell vermarkten ließen. Stimmen Sie dieser Einschätzung zu?


Teil des Kabinettsbeschlusses vom 14. Dezember war es, mehrere Milliarden Euro an Bundesmitteln für die Sanierung maroder Schulen in den Kommunen zu mobilisieren. Wenn Regierungsvertreter obendrein öffentlich kundtun, frisches privates Kapital für den Ausbau und die Instandsetzung der öffentlichen Infrastruktur einsetzen zu wollen, dann gilt das sicher auch für die Schulen. Die Regularien der Schuldenbremse sind offenbar zu rigide, um öffentliche Infrastruktur im notwendigen Umfang finanzieren zu können. Deshalb ist der Umweg über eine sogenannte private Finanzierung politisch so attraktiv.










Es gibt Kritiker, die meinen, die »Schuldenbremse« wurde genau zu diesem Zweck erfunden.


Seinerzeit, als die Schuldenbremse beschlossen wurde, habe ich mir tatsächlich überlegt, ob es sich dabei nicht um ein Förderprogramm für ÖPP und andere private Finanzierungsvarianten handelt. Ob das damals so intendiert war, weiß ich nicht. Heute wirkt das Instrument genau in diese Richtung.


Würden Sie folgendem zustimmen: Der Staat verbietet sich selbst mit der »Schuldenbremse«, öffentliche Aufgaben zu erledigen, will es jetzt aber privaten Investoren ermöglichen, diese Aufgaben zu viel höheren Kosten, weil mit saftigen Renditen versehen, zu erledigen.


So kann man das runterbrechen. Es gibt freilich eine Alternative: Man gestaltet die Schuldenbremse nach der »goldenen Regel«, die lautet, der Staat darf sich für Investitionen verschulden. Das steht allerdings aktuell nicht auf der politischen Agenda. Statt dessen wird weiter behauptet, mit den ÖPP stelle sich der Staat besser. Dabei beruft man sich auf sogenannte Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen, die angeblich vor unrentablen Unternehmungen schützen würden. Häufig sind diese Prüfungen methodisch fehlerhaft, basieren auf abenteuerlichen Annahmen und werden außerdem von privaten Beratern durchgeführt, die selbst von den Projekten profitieren. Dazu kommt noch eine weitere offene Flanke: das sogenannte Lebenszykluskonzept.


Was besagt das?


Nach dem Lebenszykluskonzept ist ein und derselbe Investor von der Planung über Bau und Betrieb bis zum Rückbau bzw. zur Verwertung für ein Objekt zuständig. Tatsächlich sind ÖPP-Verträge auf 20 bis 30 Jahre befristet. Dann geht das Objekt an die öffentliche Hand über. Private haben am Ende der Vertragslaufzeit wenige Anreize zur ordentlichen Unterhaltung der Infrastruktur. Da lauern also noch erhebliche Risiken für den Steuerzahler.


Halten Sie es für möglich, dass künftig die gesamte öffentliche Infrastruktur unter Einbeziehung von Privatkapital gebaut, saniert und unterhalten wird?


Darüber kann man nur spekulieren. Ich denke aber, dass dies auf erhebliche Teile zutreffen wird.



***




Holger Mühlenkamp ist Professor für Öffentliche Betriebswirtschaftslehre an der Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer. Das Gespräch führte Ralf Wurzbacher für die Tageszeitung junge Welt vom 22.12.2016,  https://www.jungewelt.de/2016/12-22/012.php






Die Infoblog-Redaktion empfiehlt nachdrücklich die Lektüre der antikapitalistischen, antifaschistischen und antirassistischen Tageszeitung junge Welt, hinter der kein Konzern, keine Partei und keine Organisation steht, sondern die von einer Genossenschaft mit fast 2000 GenossInnen getragen wird. Lese-Tip: jeden Dienstag gibt es die Rubrik Betrieb & Gewerkschaft.


https://www.jungewelt.de/abo/3wochenabo.php


Weiterführende Dossiers zum Thema unter:  https://www.gemeingut.org/


1 Kommentar:

  1. Jahrzehntelange neoliberale Propaganda pries die PPP-Projekte an, weil die Privaten ja angeblich billiger und besser seien. Der obige Artikel zeigt den wahren Grund: Profite fürs Kapital. Diverse Dossiers verschiedener Rechnungshöfe bestätigen dies.Schlimm, dass die Privatisierung von Gewinnen und die Sozialisierung von Verlusten anscheinend so weiter gehen soll.

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