Ernährungs-Tipps für Arme
Sarrazin war wohl der erste, der damit anfing: Menschen am Existenzminimum zu erklären, wie man von Hartz-IV leben kann. Demnach können sich Arbeitslose schon für 3,76 Euro "völlig gesund, wertstoffreich und vollständig ernähren", erklärte 2008 der Rassist und Antisemit, der trotz vollmundiger Ankündigung des Parteivorsitzenden Gabriel bis heute nicht aus der SPD ausgeschlossen worden ist. Damit ließe sich "sogar etwas sparen, da der Regelsatz von 4,25 Euro pro Tag sogar noch unterboten wird", faselte er, der den Hartz-IV-Monatssatz am Tag zur Verfügung hat. Gegen hohe Heizkosten helfe es, die Zimmertemperatur zu drosseln und einen Pullover anzuziehen.
Sarrazin ist aber nicht der einzige, der an Arme und Arbeitslose Koch-Ratschläge gratis erteilt.
Kürzlich nahm das Jobcenter Kreis Pinneberg seinen Ball wieder auf, und zwar in Form eines comicartig gestalteten Ratgebers für ALG-II-Bezieher. Das rund 100 Seiten starke Heft liefert »ein umfassendes Informationsangebot« und zeigt am Beispiel einer fiktiven Familie nicht nur, wie man die karge Stütze vom Amt erhält, sondern auch, wie man mit ihr über die Runden kommt.
Mobiliar und andere Haushaltsgegenstände liessen sich für gutes Geld versteigern. Und das Beste dabei: Der Erlös der Auktion ist »unschädlich«, d.h. er wird nicht einmal auf die Bezüge angerechnet. Die Lücken im Wohnzimmer kann man dann mit Trödel aus einem Sozialkaufhaus auffüllen. Leitungswasser als Getränk und Fleischverzicht sind ebenfalls kein Problem: "Ich wollte ja schon immer Vegetarierin werden!", sagt die fiktive Tochter der fiktiven Hartz-IV-Famillie.
Eat the rich!
In Großbritannien war man nach einem Jahrzehnt Thatcherismus schon erheblich weiter, auch was den Widerstand gegen das neoliberale Zwangssystem anging. In seinem 1987 produzierten satirischen Film
"Eat the rich" erzählte Regisseur Peter Richardson von prekär Beschäftigten eines gleichnamigen Nobelrestaurants, die die dort dinierenden Reichen anschließend zu Steaks verarbeiteten.
Über den Soundtrack, der von Motörhead stammte, schrieb das Lexikon des internationalen Films:
"Selbst Freunde des krudesten britischen Humors dürften nur beschränkt auf ihre Kosten kommen, zumal die lärmende Musik die Nerven zusätzlich strapaziert.“ Die Infoblog-Redaktion überläßt das Urteil ihren Leserinnen und Lesern:
Menschen die kein Geld haben, Ratschläge zu erteilen, wie sie mit weniger als dem Hartz-Regelsatz auskommen können, ist natürlich zynisch.
AntwortenLöschenDie Ratschläge selber sollten hier nicht ins Lächerliche gezogen werden.
Ökologisch gesehen macht Fleischverzicht Sinn und wieviel Plastik, Benzin und was weiß ich noch verschwenden wird, weil die Deutschen auf quer durch Europa gekarrtes Tafelwasser stehen, ist ein Unding. Schließlich leben wir in einem der wenigen Länder, in denen Leitungswasser fast ausnahmslos trink- und genießbar ist.
Es ist absolut zynisch, Menschen die am Existenzminimum leben, solche "Ernährungstipps" zu geben. Nur zur Erinnerung: wer früher arbeitslos wurde, bekam Arbeitslosengeld in Höhe von 60% des Nettogehalts, anschließend Arbeitslosenhilfe in Höhe von 55%. Auch diese Jobcenter-Schikanen gab es in diesem Ausmaß nicht. Seit ca 30 jahren steigt trotz aller Statistik-Tricks die Sockelarbeitslosigkeit. Die Kollateralschäden des Kapitalismus werden jetzt auf die Opfer abgewälzt.
AntwortenLöschenRückblickend war es nur Anstoß für eine ganze Reihe weiterer verbaler Entgleisungen gegenüber Hartz IV Empfängern. Man erinnere sich nur an die Studie zweier Wissenschaftler der TU Chemnitz, die errechnet haben wollen, dass 132 Euro monatlich und pro Person zur Existenzsicherung ausreichend sein sollen.
AntwortenLöschen132 Euro! Für einen Monat!
In einigen südeuropäischen Ländern bekommen viele Arbeitslose nach einiger Zeit überhaupt keine Unterstützung mehr und sind auf Suppenküchen angewiesen. Was ist das für eine Ökonomie, die gleichzeitig Banken und Kapitalbesitzer mit Billionen unterstützt und immer mehr Menschen hungern läßt?
Die ganzen "Ernährungs-Tipps" sind schlimm. Es geht aber immer noch schlimmer, wenn sich ein deutscher Volkswirtschaftsprofessor der sache annimmt.
AntwortenLöschenProfessor Oberender, der als VWL-Professor und Gesundheitsexperte bei verschiedenen Veranstaltungen der arbeitgeberfinanzierten Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft aufgetreten ist, sieht den Organhandel als eine Handelsmöglichkeit wie jede andere, die insofern auch völlig legal sein sollte: ""Ein Lebender muss die Chance haben, sein Organ zu verkaufen. (...) Es ist doch folgende Situation: Wenn jemand existenziell bedroht ist, weil er nicht genug Geld hat, um den Lebensunterhalt seiner Familie zu finanzieren, so muss er meiner Meinung nach die Möglichkeit haben, durch den Verkauf von Organen - und zwar geregelten Verkauf … ähnlich der Börse, dass man sagt, wer ist zugelassen zu dem Handeln. Es muss auch geprüft werden, wer darf das Organ entnehmen. Und dann wird praktisch das Organ versteigert."
Auch wenn hier nicht explizit die Transferleistungempfänger (wie z.B. Bezieher von ALGII) genannt werden, sind die Formulierungen "existenziell bedroht" und "nicht genug Geld hat, um den Lebensinhalt seiner Familie zu finanzieren" entlarvend.
Denn man sollte nicht vergessen, was im SGB von den Hartz-IV-Empfängern prinzipiell gefordert wird:
"Wenn Sie Leistungen erhalten wollen, gehört es zu Ihren Pflichten, dass Sie und alle erwerbsfähigen Mitglieder Ihrer Bedarfsgemeinschaft alle Möglichkeiten nutzen, Ihre Hilfebedürftigkeit zu verringern bzw. zu beenden und dass Sie aktiv an allen angebotenen Maßnahmen mitwirken."
Lemmy for President!
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