Kardinal Marx und die Gewerkschaften
Vor fast drei Jahren, am 1. Oktober 2010, absolvierte Kardinal Marx nach seiner Ernennung zum Erzbischof von München-Freising seinen Antrittsbesuch bei der Gewerkschaft. Im Münchener DGB-Haus sprach er über wirtschaftsethische Perspektiven und rügte gleich die Politik: „Die Wirtschaft soll dem Menschen dienen, nicht umgekehrt. Doch die Tendenz in den letzten Jahren war zu fragen, wie sich die Menschen noch stärker an die Bedürfnisse der globalisierten Wirtschaft anpassen könnten.“ Glaubte man dem Bericht der Katholischen Arbeitnehmerbewegung, dann beeindruckte Marx damals die "anwesenden Gewerkschaftsvertreter mit profunden Fachkenntnissen in komplexen ökonomischen und sozialpolitischen Fragen."
Letzte Woche referierte Marx wieder zum Thema vor Gewerkschaftsfunktionären, diesmal im Bildungshaus des Klosters der Missions-Benediktinerinnen, wo IG Metall und die Katholische Arbeitnehmerbewegung KAB zum Workshop "Neue Wege denken" eingeladen hatten. Zuerst erzählte Marx von seinem Vater, einem aktiven Gewerkschafter, und behauptete, daß "die Kirche der Freund der Arbeiter" sei.
Dann nahm er die Zuhörer mit der These, daß 'die Zukunft der sozialen Marktwirtschaft ohne starke Gewerkschaften nicht denkbar (sei) ' für sich ein. "Am Ende hätte nicht viel gefehlt", so die Süddeutsche Zeitung in ihrem Resumee, "und sie hätten sich womöglich gegenseitig auf die Schulter geklopft".
Also alles in bester Ordnung?
Die Veranstaltung wirft in mehrfacher Hinsicht Fragen auf.
Der SZ-Artikel erweckt den Eindruck, daß von Gewerkschaftsseite hauptsächlich IG-Metall-Funktionäre anwesend gewesen sind. In der Tat könnte man beim Führungspersonal des Erzbischöflichen Ordinariats eine gewisse Affinität zu dieser Gewerkschaft vermuten, eilte doch der mittlerweile emeritierte Weihbischof Siebler letztes Jahr sofort zur offenen IG-Metall-Mitgliederversammlung der von Massenentlassung bedrohten Nokia-Siemens-Beschäftigten. Auf der Hugendubel-Betriebsversammlung, die nur einen Steinwurf vom Erzbischöflichen Palais im Literaturhaus abgehalten wurde, ließ sich von den Herrschaften trotz mehrfacher Einladung niemand blicken.
Man kann Marx gut verstehen, daß er sich lieber mit Vertretern der IG Metall unterhält, als - sagen wir -
mit Hauptamtlichen von ver.di. Dann wäre der Kardinal nämlich außer der gemeinsamen Allianz gegen Sonntagsarbeit auch mit unangenehmen Fragen konfrontiert, z.B. der nach gerechter Bezahlung, regulären Tarifverhandlungen, dem Streikrecht sowie nach gleichen Mitbestimmungsrechten wie für Betriebsräte in weltlichen Einrichtungen. Oder der Frage, was die "Argumentationshilfe" des Deutschen Caritasverbands gegen Gewerkschaftsaktivitäten in kirchlichen Einrichtungen soll, nachzulesen im verdienstvollen Caritas-Verdi-Blog.
"Riecht nach Klassenkampf!"
Wird es wirklich konkret, dann entzaubert sich die soziale Rhetorik des Kardinals recht schnell:
Umverteilung? - Nein, danke. Eine Reichensteuer? - "Riecht nach Klassenkampf!" (Zitat Marx).
Mindestlohn? - "Lohnvorschriften zu machen, ist in einer freien Gesellschaft ein Problem. Da bin ich marktwirtschaftlich orientiert", sagte der Münchner Erzbischof. Dass dem Kardinal das Hemd des kapitalistischen Eigentümers näher als der Rock des Sozialethikers ist, konnten die lohnabhängig Beschäftigten bei Hugendubel, Weltbildplus und Jokers zur Genüge feststellen.
Den Pontius-Pilatus-Preis, der ihm am Karfreitag 2013 von der Infoblog-Redaktion verliehen wurde, hat er sich redlich verdient. Aber bevor er mit Beschäftigten der Firma, die zur Hälfte der Kirche gehört, spricht, geschweige denn dafür sorgt, daß sie einen Sozialtarifvertrag bekommen, kauft er sich lieber eine Villa. In Rom legte er, Spitzname "Großer Kurfürst", sich als Basis für seine weiteren Karriere-Ambitionen im Vatikan für 10 Millionen einen Palazzo zu. Und zwar passenderweise in der Viale delle Medaglie d’Oro,
der Straße der Goldmedaillen. Drunter macht´s der Kardinal nicht.
Oho! Da ist wohl neben dem Pontius-Pilatus-Preis auch der Paulus-Saulus-Orden fällig!
AntwortenLöschenWie immer: Klasse Recherche und Schreibe-Kompliment!
Georg Wäsler, ver.di-Sekretär und Teilnehmer der Tagung in Bernried
AntwortenLöschen"Hoch lebe die Tarifautonomie"
-Für die Tarifbindung haben die Proleten und ihre Gewerkschaften selbst zu sorgen-
Nicht anders als die Regierungsmächtigen beurteilt der Chef der Katholiken in Bayern die Lagen zynisch, aber doch auch richtig.
"Tarifgebundene Arbeit ist besser als Mindestlohnregelungen (€ 8,50)."
Das gilt auch in kirchlichen Einrichtungen oder von den Kirchen beherrschten Unternehmen, also auch bei Weltbild/Hugendubel.
Das Kapitalisten, mit oder ohne Kirchengewand, dazu nicht nur moralisch (Soziallehre) überzeugt werden können, ist Ergebnis des Interessensgegensatz zwischen Kapital und Arbeit.
Ausgezeichneter Kommentar und Materialzusammenstellung im Caritas-Verdi-Blog:
AntwortenLöschenhttp://caritas-verdi.blogspot.de/2013/08/die-zukunft-der-sozialen.html#more