Mittwoch, 20. Juni 2012

"Die Technokraten haben das Ruder übernommen"

Rationalisierung und Zentralisierung sowie Kompetenzverluste und Dequalifizierung der Mitarbeiter in den Filialen sind nicht nur in der Buchbranche zu finden. Ähnliche Prozesse lassen sich auch im Bankensektor beobachten. Die Süddeutsche Zeitung  sprach darüber mit Max Otte, Professor für quantitative und qualitative Unternehmensanalyse. Wir bringen einige Kernaussagen, die eine frappierende Übereinstimmung zur Situation bei Hugendubel aufweisen.


"SZ:   Hat der Kundenberater, der eine gute Lösung für beide Seiten anstrebt, in der Bank der Zukunft noch einen Platz?

Otte:   Nein. Der angelsächsisch geprägte Finanzkapitalismus ist auch in Deutschland auf dem Vormarsch. In der Konsequenz werden eigenständig entscheidende Banker mit breitem Urteilsvermögen und Kundenkenntnis in der Fläche, also in den Filialen, zunehmend durch eine Art Bank-Ingenieure in der Zentrale ersetzt und von diesen ferngesteuert. Die Technokraten haben das Ruder übernommen.


SZ:   Die attraktiven, einflussreichen Jobs werden also künftig nahe dem Vorstand angesiedelt sein?

Otte:   Das ist schon heute so. (...) Die Entscheidungsbefugnisse der Kreditsachbearbeiter am Ort werden gegen null gefahren. (...).


SZ:   Werden die Banken in Zukunft mit weniger Mitarbeitern auskommen?

Otte:   Ohne Zweifel wird die Anzahl der Stellen deutlich zurückgehen. Die Banken schrauben ja schon jetzt die Leistungserwartungen ihrer Kunden immer weiter nach unten, um in Zukunft noch mehr automatisieren zu können. (...)


SZ:   Was raten Sie Ihren Studenten, die von einer selbstbestimmten Karriere in der Bank träumen? Hände weg?

Otte:   Da steht man auf verlorenem Posten. Man sieht die Trends, kann aber nichts dagegen ausrichten. (...)."



***

Vollständiges Interview unter:
www.sueddeutsche.de/c5Q38z/665596/Technokraten-am-Ruder.html







13 Kommentare:

  1. Ja, ziemlich ähnlich bei Hugendubel. Aber bei uns ist alles noch mehr "hilfsarbeitermäßig" geworden (nicht nur die Gehälter!)

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  2. Interessanter Artikel, beunruhigende Parallelen, düstere Prognose. Bleibt die Frage: Was tun?

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  3. "zunehmend durch eine Art Bank-Ingenieure in der Zentrale ersetzt und von diesen ferngesteuert":

    Wer bei der letzten Betriebsversammlung in München den Auftritt der Sortimentsmanagerin verfolgt hat, kann jeden Satz in diesem Interview nur unterstreichen.

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  4. Jedes Buch bekommt von der Zentale seinen 'Stellplatz'. Nichts wird mehr dem Buchhändler im Laden überlassen. Wir dürfen noch noch einräumen, aufräumen und bitte ja an die richtige Stelle.
    Bald werden wir von einer externen Billigfirma ersetzt. Denn wer braucht denn noch Buchhändler als Regaleinräumer?

    Für Nachwuchs wird auch nicht mehr gesorgt.
    Die Zahl der Azubis wurde drastisch gekürzt.
    Was heißt AzubiS, besser gesagt Azubi

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  5. Es ist aber wieder typisch für einen grossen Teil der Hugendubel-Belegschaft, wenn dann auf dieser vorhin angesprochenen Betriebsversammlung sich ein Mitarbeiter zu Wort meldet und besorgt fragt, ob ein bestimmter Reiseführer vom Format her auch in Pyramide reinpasst.

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  6. Also das ist mir auch aufgefallen!
    Nitz erklärt fröhlich, dass er, selbst wenn er Geld übrig hätte, keine Mitarbeiter in den Filialen einstellen würde, "weil das nichts bringt".
    Anschliessend dann die Horrorvision vom Sortimentsmanagement. Und alles, was interessiert, ist, ob die Milimeterzahl ausreichend ist.
    Die GL lacht sich tot.

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  7. Den Schlusssatz von Otte möchte ich nicht unkommentiert stehen lassen. Er als Professor ist wahrscheinlich Beamter auf Lebenszeit und kann das ganze Untergangsszenario gemütlich beobachten. Wir aber sind in diesem Prozess mittendrin. Derzeit sind wir eher Objekt der GL-Pläne, die glaubt, mit uns machen zu können was sie will. Und diese Einschätzung ist ja auch nicht völlig falsch: geringes Interesse an Betriebsversammlungen und Demos, schwacher gewerkschaftlicher Organisationsgrad.

    Wir müssen aber zu Akteuren werden.
    Mag sein, dass der Prozess sich nicht aufhalten lässt, aber w i e dieser Prozess abläuft, das ist noch lange nicht entschieden. Der STV wäre ein wichtiges Element dabei. Es wird immer deutlicher, dass für die Belegschaft eine immer miesere Perspektive vorgesehen ist, sofern man aussortiert und gefeuert wird.

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  8. "Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren." Brecht und immer noch brandaktuell.

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  9. Der Gipfel des Zynismus ist die Formulierung, mit dem Sortimentsmanagement sollten die Filialen "entlastet" werden. Das klingt zwar etwas gönnerhaft, aber so, als ginge es darum, uns Buchhändlern in den Läden etwas Gutes zu tun. Tatsächlich geht es nur darum, unsere Jobs wegzurationalisieren und einen Führungsstil durchzusetzen, der sich auf die Kurzformel bringen lässt, dass am besten alles zentral festgelegt wird! Offensichtlich hält man uns für so blöd, auf die abgedroschensten Managementphrasen hereinzufallen. Was vor einigen Jahren undenkbar schien, ist heute Realität: Wertschätzung für die Mitarbeiter existiert nur noch als rhetorische Floskel.

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  10. Die zunehmende Zentralisierung/Standardisierung ist einer der Gründe für das Scheitern der Firma Hugendubel, für das schwindende Interesse beim Kunden. Eine Filiale ist wie die andere, Entdeckungen kaum möglich, Unvorhergesehenes kaum zu finden: Langeweile pur. So etwas versteht man unter Event-Buchhandel. Diese Firmenstrategie ist selbstzerstörerisch.

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  11. Leider sind Kreativität und Individualität schon lange unerwünscht, Uniformität gilt als "Marken-Strategie".

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  12. Sie können es halt nicht besser. Kompetenz und Kreativität könnte man durchaus an der Basis abschöpfen, wenn man wüßte wie das geht. Das hat - neben gutem Mangement - die Firma einmal groß gemacht. Stattdessen wird in der Verwaltung ein immer größerer Wasserkopf aufgebläht. Wie lange der ohne Rumpf wohl überleben wird?

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  13. zitat einer kollegin heute, nach lesen eines briefes von der gl: "die halten uns für total bescheuert"
    meine oma sagte immer, wenn man von sich auf andere schließt kann das alles nix werden
    recht hatte sie
    und wegen den millimetern: was nicht passt wird passend gemacht!
    die kunden kommen übrigens gerne zu uns, wenn wir genug titel haben...
    wer von euch ist jetzt überrascht?

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