Zu einem Gleichnis unserer Gegenwart
Die Nachricht von der Zerstörung des antiken Palmyra durch fanatische IS-Rebellen hat Menschen in aller Welt fassungslos gemacht - und fällt schwer, das Entsetzen über eine derartige Barbarei auszusprechen, wenn Morden und Sterben den Alltag so vieler bestimmen. Dem Buch des französischen Althistorikers Paul Veyne "Palmyra. Requiem für eine Stadt" merkt man das an. Deutlich unter dem Eindruck der schrecklichen Ereignisse entstanden, ist es dem ermordeten Archäologen und ehemaligen Generaldirektor der Altertümer von Palmyra Khaled al Asaad gewidmet.
Diesem aktuellen Bezug verdankt Paul Veynes historische Darstellung ihre besondere Bedeutung und Botschaft. Er erzählt die Geschichte einer antiken Metropole, wie sie war, jedoch so, dass sie zu einem Gleichnis unserer Gegenwart wird - und mehr noch: zu einem Spiegel, in dem sich keineswegs jeder gefallen darf. Modern gesagt: Palmyra ist bunt. Seine Lage an der Seidenstraße - weit bis ins Mittelalter wichtigste Fernhandelsroute zwischen Ost und West - ermöglichte dort nicht nur die Anhäufung sagenhafter Reichtümer, sondern auch ein fortwährendes Zusammentreffen vielfältiger und verschiedener kultureller, religiöser, politischer Einflüsse, das zur Ausprägung hybrider Formen führte.
Seit ca. 200 n. Chr. gehörte die Stadt zum Römischen Reich, was gleichzusetzen war mit Hellenisierung. Sie behielt dabei orientalischen Charakter. Das zeigte sich in der Sprache ihrer Bewohner, an deren Kleidung, am Baustil ihres Baaltempels. "Wenn in dieser Kaufmannsrepublik ein fremder Reisender eintraf" - schreibt Paul Veyne - "so erkannte der Ankömmling auf den ersten Blick, dass er in einer anderen Welt angekommen war." Dennoch besaß Palmyra wohl schon früher eine Verfassung nach hellenistischem Muster. Und die Oberschicht entwickelte eine Art multi-level-identity. Man konnte selbstbewußter Palmyrener und ebenso stolzer Römer sein - wie später das Schicksal der Königin Zenobia zeigt, die für ihren Sohn den Kaisertitel beanspruchte.
Um diese Eigentümlichkeit und Einzigartigkeit der palmyrenischen Verhältnisse zu begreifen, betrachtet Paul Veyne sie in einem weiteren Horizont. Er richtet den Blick auf das Kulturkonzept, die Natur der Kultur überhaupt - und läßt wenig Zweifel daran, dass die momentan angesagte Sichtweise hier einer entscheidenden Korrektur bedarf: "Wenn in unserer Zeit viel von Identitäts- oder Kulturimperialismus gesprochen wird, vergessen wir leicht, dass Modernisierung durch Übernahme fremder Gebräuche in der Geschichte eine weit größere Rolle spielt als der Nationalismus. (...) Kulturen kennen kein Heimatland und haben schon immer politische religiöse oder kulturelle Grenzen ignoriert, die die Menschen voneinander trennen."
Ob "wir" dabei wirklich nur etwas falsch sehen oder auch falsch machen, bleibt offen. Eine solche Aussage - sei sie noch so zutreffend - kann in unterschiedliche und gegensätzliche Richtungen gedeutet werden. Doch wesentlich ist Kultur, wie wir ihr durch Paul Veynes Buch begegnen, lebendiger Austausch und Inbegriff all dessen, was Menschen füreinander tun und voneinander lernen können. Seine Geschichte Palmyras hat daher eine Moral, die sich weder mit dem Fanatismus und der Intoleranz religiöser Sektierer noch mit dem albernen Kulturgefasel besorgter Bürger und sorgloser Politiker verträgt: "Wer nur eine einzige Kultur, nämlich seine eigene, kennt und auch kennen will, verdammt sich selbst, unter einer Käseglocke zu leben."
Den Epilog zu Paul Veynes Requiem aber schrieben die späteren Ereignisse: nach der Rückeroberung Palmyras durch die Syrische Armee stellten sich die Schäden an der archäologischen Stätte als keineswegs so gravierend heraus, dass ihre Wiederherstellung nicht möglich wäre - vielleicht ein kleines Zeichen künftiger Hoffnung, das Gute und Schöne, das Menschen schaffen, werde am Ende das sein, was bleibt.
Ein sehr interessanter Artikel. Wenn ich daran denke, was jetzt beim CDU-Parteitag wieder alles abgesondert wurde, kann ich nur zustimmen. Übrigens fällt mir auf, dass die Leute in der Oberschicht von Palmyra offenbar eine doppelte Staatsbürgerschaft hatten. Da sag noch mal einer, aus der Geschichte kann man nichts lernen!!
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