Donnerstag, 8. Dezember 2016

Charlie Voltaire

... und die Kakerlaken des Obskurantismus


Über die Toleranz


Voltaire - hört man rühmen - habe nahezu nichts gesagt, was nicht vor ihm schon von jemandem gesagt worden sei, habe aber alles so gesagt, wie es vor ihm noch von niemandem gesagt worden sei. Er war ein Aufklärer im besten Sinn des Wortes, der sein Publikum nicht nur mit dem Verstand, sondern auch mit dem Herzen erreichte, und verdient bis heute, gelesen zu werden. Et voilá! Voltaire wird wieder gelesen, Voltaire ist brandaktuell. Über die Toleranz und der vorangestellte Eintrag über Fanatismus im Philosophischen Wörterbuch sind "Der Bestseller aus Frankreich" - damit zumindest wirbt Suhrkamp für die deutschsprachige Taschenbuchausgabe.


Woher dieses plötzlich neu erwachte Interesse verrät der auf dem Cover abgebildete Bleistift: ein Emblem der Je-suis-Charlie-Kampagne anfang 2015. Das erklärt auch, warum es bei der Herausgeberei offenbar so schnell gehen mußte. dass keine Zeit blieb, den Text der neuen Rechtschreibung anzupassen oder mit Anmerkungen zu versehen - heutzutage weiss ja schließlich nicht jeder immer gleich, wer zum Beispiel mit "Banianen" oder "Dositheanern" gemeint sein könnte. Stattdessen aber findet der Leser eine Vorrede von Laurent Joffrin, die - nunmehr im schlechtesten Sinn des Wortes - wahrhaft 'richtungsweisend' ist: eine ideologische Direktive.



Voltaires glänzendes Plädoyer für Menschlichkeit und Toleranz entstand aus dem Bemühen um die nachträgliche Rehabilitierung des Protestanten Jean Calas, den blindwütiger Glaubenseifer - wegen eines angeblich religiös motivierten Mordes am eigenen Sohn - unschuldig verurteilt und grausam hingerichtet hatte. Es wendet sich mit viel Witz und Spott, doch stets ohne Zorn oder Hass) gegen die Rückständigkeit und den Fanatismus seiner Zeit - und ist Ausdruck der (damaligen) Überzeugung, allein durch Philosophie, weise Obrigkeiten, fortschreitende Verfeinerung der Sitten würden diese Übel allmählich verschwinden.


Von solch einer philanthropisch-moderaten Geisteshaltung lässt indes der martialische Metaphernsenf, den unser Prologschreiber dazu gibt, wenig erahnen. Anders als Voltaire zeichnet ihn eine deutliche Affinität zu Sprachbildern des Draufhauens, Losballerns, Vernichtens aus. Dessen Abhandlung - erklärt er - sei "ein Gift gegen Vorurteile" oder peinlicher noch "ein literarischer Rammbock, der mit wuchtigen Hieben die Tore des religiösen Dogmatismus einschlägt." Deshalb sei es heute - und hier kommen Schusswaffen ins Spiel - "der politische Islam mit seiner Tendenz, Religion in Tyrannei zu verwandeln, der zur aktuellen Zielscheibe der Voltair'schen Prosa wird."


So nimmt das Unheil seinen Lauf - und Voltaire findet sich zuletzt (als Exempel gelungener Integration) nebst Merkel und Hollande an vorderster Front auf derselben Massendemo wieder: "Ob nun Voltaire Charlie gewesen wäre?" - fragt Msr. Schreibfink und antwortet: "sein Stil und die Klarheit seiner Argumente zerstreuen alle Vorbehalte. Die Sprache ist eine Waffe. Voltaire wendet sie gegen die Borniertheit von Dogmen, die Dummheit offenbarter Wahrheiten, törichte Tyrannei, die Einfältigkeit der Fanatiker. (...) Darin liegt die unendliche Kraft dieser leuchtenden Prosa, deren Schein noch immer die Kakerlaken des Obskurantismus in die Flucht schlägt."


Quatsch freilich kann man zuweilen daran erkennen, dass er klingt wie Quatsch. Voltaire wäre Voltaire geblieben und hätte sich kaum so leicht auf die Straße schicken lassen. Menschlichkeit und Toleranz sind aus seiner Sicht keine Weltanschauung, die im Kampf gegen eine andere als "Gift" oder "Rammbock" oder "Waffe" benutzt werden darf, sondern praktische Voraussetzung für das gedeihliche Zusammenleben verschiedener Weltanschauungen. Und dann noch dies: Voltaire wurde seinem Anspruch oft zwar selbst nicht gerecht. Aber zumindest hat er Menschen an keiner Stelle mit Ungeziefer wie Kakerlaken verglichen - das haben andere getan.

1 Kommentar:

  1. Es ist schon verrückt. Politisch rutscht Europa und Amerika immer weiter nach rechts. Das Klima wird immer fremdenfeindlicher und menschenfeindlicher. Aber ständig reden dabei alle von Freiheit, Toleranz und Menschenrechten. Deshalb muss man daran erinnern, dass diese Wörter keine hohlen Kulturkampfparolen sind, die jeder jedem beliebig um die Ohren hauen kann, sondern etwas bedeuten, nämlich genau das Gegenteil.

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