Am vergangenen Samstag demonstrierten 1300 Menschen in Berlin für das demokratische Recht auf Informationsfreiheit und gegen staatliche Masenüberwachung. Anlass war das Vorgehen des Generalbundesanwaltes gegen die Aktivisten des Internet-Blogs www.netzpolitk.org, die Pläne des Verfassungsschutzes zur Internet-Ausspähung öffentlich machten.
Während Bundesregierrung und Innenministerium kein Wort über die Totalüberwachung durch die NSA verlieren - geschweige denn, dagegen wirksam vorgehen - und der Verfassungsschutz anstatt die Verfassung zu schützen eher seine V-Leute in Nazistrukturen schützt, scheut man keine Mühen, gegen ein paar Internet-Aktivisten und ihren spendenfinanzierten Infoblog vorzugehen.
Genug Gründe also, um aus aktuellem Anlass hier in unserem ver.di-Infoblog nochmals auf einige
Buchtitel zum Thema Überwachungsstaat hinzuweisen:
Der wohl wichtigste Autor zum NSA-Komplex ist James Bamford. Seit drei Jahrzehnten publiziert er nun zum Thema. Sein Buch "NSA. Die Anatomie des mächtigsten Geheimdienstes der Welt" ist nur noch antiquarisch erhältlich. Gibt man den Namen des Autors auf der Hugendubel-Homepage ein, erhält man keinen Treffer, bei Thalia taucht ein halbes Dutzend Import-Titel auf. Nur auf Hugendubel-Marktplatz gibt es einige Gebraucht-Angebote. Zentrale These von Bamford: seit Nine-Eleven hat die NSA der CIA im Hinblick auf ihre Bedeutung im politischen System der USA den Rang abgelaufen. Der Medientheoretiker Friedrich Kittler wies bereits in den 90er Jahren unter expliziter Bezugnahme auf Bamford auf den Paradigmenwechsel durch diese "automatischen Diskursanalyse" hin.
Über die Methoden des Ministeriums für Staatssicherheit hätte James Bamford vermutlich nur milde gelächelt. Die Netzaktivistin und Piratenpartei-Politikerin Anke Domscheit-Berg, die in der Endphase der DDR selber mit dem MfS aneinandergeraten war, schätzte jüngst den Faktor des Datenvolumens, den die NSA im Vergleich zur Stasi mehr kontrolliert auf 1,6 Milliarden (!). Fußballfans von Schalke 04 und Union Berlin protestierten vor einigen Jahren gegen die zunehmende Überwachung in den Stadion mit einem Konterfei von Schäuble und dem Zusatz Stasi 2.0 auf Plakaten und T-Shirts, worauf der empörte Innenminister einzelne Fans durch polizeiliche Greiftrupps aus dem Fanblock herausholen ließ. Die anschließenden Gerichtsverhandlungen verliefen im Sande. Nachdem das Schlagwort "Stasi" zur Delegitimierung der DDR benutzt wird, stellt sich die Frage, wieweit es mit der Freiheit des Individuums in Westdeutschland bestellt war bzw. ist.
Einen Durchbruch für die geschichtswissenschaftliche Aufarbeitung dieser Frage stellt das grundsolide Werk "Überwachtes Deutschland" des Historikers Josef Foschepoth dar. Erschreckendes Resultat seiner brillanten Studie: Millionen und Abermillionen Postsendungen wurden Jahr für Jahr, Tag für Tag aufgebrochen, ausgewertet und teilweise vernichtet. Millionen und Abermillionen Telefonate wurden abgehört. Von und im Auftrag der ehemaligen Besatzungsmächte, aber auch von den Westdeutschen selbst. Nahezu alle eingehende Post aus der DDR und massenweise Briefe und Pakete aus anderen osteuropäischen und kommunistischen Staaten wurden angehalten und zensiert. Die Telefon- Fernschreib- und Telegraphenleitungen von und zur DDR, nach und von Berlin und in die übrigen osteuropäischen Staaten, aber auch innerhalb der Bundesrepublik, ins westliche Ausland und Durchgangsleitungen von Ost nach West wurden systematisch überwacht und abgehört. Foschepoths Fazit: Die alte Bundesrepublik zwischen 1949 und 1989 war ein großer, effizienter und effektiver Überwachungsstaat.
Wer einen Blick auf die grauenhafte Vorgeschichte dieser staatlichen Überwachung werfen möchte, dem sei das Buch "Die restlose Erfassung" empfohlen. Die beiden Historiker Karl Heinz Roth und Götz Aly, die Pionierarbeit auf dem Gebiet der Erforschung der NS- Sozial- und Gesundheitspolitik geleistet haben, befassten sich im Vorfeld der Anfang der 80er Jahre geplanten Volkszählung mit dem Thema. Sie wollten mit ihrem Buch den verschiedenen politischen und sozialen Gruppen, die zum Boykott der Volkszählung aufriefen, Argumente an die Hand geben. Entstanden ist so ein Klassiker der Sozialgeschichtsschreibung.
Interessantes Detail: 2004 erschien eine amerikanische Ausgabe des Buches unter dem Titel "Nazi Census: Identification and Control in the Third Reich", übersetzt und mit einem Vorwort versehen von Edwin Black, der eine bahnbrechende Arbeit über IBM und den Holocaust geschrieben hat.
Nun stellt sich dem geneigten Leser, der geneigten Leserin die Frage, was man aus der Geschichte für unsere Gegenwart lernen kann.Hinweise darauf finden sich vielleicht in dem Buch von Constanze Kurz und Frank Rieger aus dem Umfeld des Chaos Computer Clubs. Ihr praktisch angelegter Titel bietet konkretes Orientierungswissen, auf ihrer Homepage www.datenfresser.info findet sich weiteres nützliches Material.
Die politische Klasse der USA sieht in Edward Snowden einen Verräter, dabei hat niemand anderes als sie selber ihre eigene Verfassung, die Bill of Rights, verraten.
Der 4. Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten, das Fourth Amendment, gehört zur Bill of Rights, den ersten 10 Verfassungszusätzen. Er beinhaltet das verbriefte Recht des amerikanischen Bürgers, das ihn vor staatlichen Übergriffen schützen soll.
"The right of the people to be secure in their persons, houses, papers, and effects, against unreasonable searches and seizures, shall not be violated, and no Warrants shall issue, but upon probable cause, supported by Oath or affirmation, and particularly describing the place to be searched, and the persons or things to be seized."
("Das Recht des Volkes auf Sicherheit der Person und der Wohnung, der Urkunden und des Eigentums vor willkürlicher Durchsuchung, Festnahme und Beschlagnahme darf nicht verletzt werden, und Haussuchungs- und Haftbefehle dürfen nur bei Vorliegen eines eidlich oder eidesstattlich erhärteten Rechtsgrundes ausgestellt werden und müssen die zu durchsuchende Örtlichkeit und die in Gewahrsam zu nehmenden Personen oder Gegenstände genau bezeichnen.")
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