Dienstag, 29. Mai 2012

Bei Anruf: Auskunft!



Guten Tag, Buchhandlung Hugendubel, mein Name ist...

mit diesem freundlichen Satz werden alle Hugendubel-Kunden begrüßt, die in unserem Service Center anrufen. Damit ihr einen Einblick in die Arbeit der Service Center MitarbeiterInnen bzw. "Agenten" bekommt, haben wir ein Interview mit zwei KollegInnen geführt, die dort tätig sind:


Infoblog: Wie können sich KollegInnen aus anderen Bereichen eure Arbeit genau vorstellen. Wie sieht der Arbeitsalltag bei euch aus?


Kollege 1: Die meisten der Anfragen, die uns hier erreichen, kommen per Telefon rein. Fragen zum Bestand in der Filiale oder Bestellwünsche machen hier den Großteil aus. Aber auch E-Mails, Briefe und Faxe werden von uns bearbeitet.

Agent 007: Wir nehmen Anrufe entgegen, reservieren Titel vor Ort oder bestellen für Kunden in die Filiale oder zum Versand. Dann gibt es auch noch so genannte „Spezialisten“ bei uns, die Titel recherchieren, die nicht sofort zu ermitteln sind. Außerdem werden bei uns Geschäftskundenbestellungen bearbeitet und Kunden vom „Outbound“ über Bestellungen oder nichtlieferbare Titel informiert.


Infoblog: Für welche Buchhandlungen telefoniert ihr?

Kollege 1: Für alle Filialen von Hugendubel, Schmorl und von Seefeld (die ja auch bald in Hugendubel umbenannt werden), Karstadt und Habel. Alles in allem sind das momentan 52 Filialen, die von uns betreut werden.

Agent 007: Ja, allerdings sollen in naher Zukunft auch noch Filialen von Weiland dazu kommen.


Infoblog: Wie viele KollegInnen arbeiten im Service Center und wie sind die Arbeitsplätze gestaltet?

Agent 007: Bei uns arbeiten ca. 30 Kollegen. Davon auch recht viele in Teilzeit. Allerdings ist die Anzahl der Kollegen, die Vollzeit arbeiten bei uns höher, als in anderen Call Centern. Wahrscheinlich weil wir kein reines Call Center sind.
Wir arbeiten in einem Großraumbüro. Jeder von uns sitzt zusammen mit 5 Kollegen an sogenannten "Inseln"; d.h man sitzt nicht alleine in abgeschotteten Bürozimmern, sondern kann sich mit Kolleginnen und Kollegen besprechen. Das finde ich persönlich wirklich gut. Ich brauche diesen Austausch. Das ist zum Beispiel sehr hilfreich, wenn man problematische Gespräche hatte oder einfach so, um mal etwas loszuwerden.


Infoblog: Was macht euch an eurer Arbeit besonders Spaß und was weniger?

Agent 007: Ich bearbeite gerne E-Mails und Faxe und auch mit Kunden habe ich gerne zu tun. Allerdings ist es schon so, dass das Telefonieren von morgens bis abends sehr anstrengend ist und großer Konzentration bedarf. Gerade in Zeiten wie Weihnachten oder auch im Schulbuchgeschäft, kann man zwischen den einzelnen Gesprächen kaum verschnaufen, da Kunden im Wartefeld hängen. Der Stress hat in den letzten Jahren einfach zugenommen, das muß man so sagen. Es gibt selten Zeiten, in denen es ruhiger ist. Fast hätte ich es vergessen: ich habe hier lauter nette Kollegen und das ist für mich sehr wichtig.


Infoblog: Die Arbeitsverdichtung und die Arbeitsbelastung wird überall mehr und immer größer. Wie sieht es damit im Service Center aus?

Kollege 1: Das ist hier nicht anders als in den Filialen. Immer weniger Mitarbeiter haben immer mehr Dinge zu erledigen. Wenn bei uns zusätzliche Filialen mit ins Boot genommen werden, bekommen wir dadurch nicht automatisch mehr Kollegen zur Seite gestellt. Mitarbeiter, die kündigen, in Rente gehen oder wegen Schwangerschaft pausieren, werden nicht ersetzt. Die Arbeitsbelastung hat gerade die letzten zwei Jahre deutlich zugenommen. Das merkt man auch am Arbeitsklima. Viele Kollegen sind einfach erschöpft.

Agent 007: Ja, ich merke es an mir selber. Diese Dauerbelastung ist wirklich anstrengend. Man bekommt immer mehr Arbeit und muß sich immer mehr merken.


Infoblog: Wie viele Kundengespräche nehmt ihr im Durchschnitt an?

Kollege 1: Im Durchschnitt kommt jeder Kollege auf bis zu 1500 Gespräche im Monat. Das ist schon eine ganze Menge.

Agent 007: Täglich sind es so etwa 80 Gespräche für jeden. Mal mehr, mal weniger.


Infoblog: Wir haben gehört, dass es bei euch auch Leistungskontrollen gibt. Wie können wir uns das vorstellen?

Kollege 1: Dadurch, dass wir mit einer Telefonanlage arbeiten, kann alles schriftlich festgehalten werden. Wie lange telefoniert jeder einzelne Mitarbeiter durchschnittlich mit Kunden, wie lange benötigt er in der Nachbearbeitungszeit (also die Zeit nach dem Gespräch, bevor man sich für den nächsten Kunden frei schaltet), wie viel Pause hat der Mitarbeiter genommen, einfach alles. Diese Statistik bekommt man in regelmäßigen Abständen vorgelegt. Natürlich nur seine eigene und den Durchschnittswert. So weiß man also immer, wo man steht. Über dem Durchschnitt oder darunter. Dass dadurch ein ständiger Druck herrscht, kann wohl keiner abstreiten. Wer ist schon gerne schlechter als der Durchschnitt? Auf der anderen Seite ist unsere Technik noch nicht wirklich ausgereift. So kommt es vor, dass manche Kollegen öfter Gespräche annehmen müssen als andere, weil unsere Telefonanlage die Anrufe nicht an alle gleichmäßig verteilt. Die Statistik ist also nicht immer Leistungsmesser. Wenn mir kein Gespräch durchgestellt wird, kann ich natürlich auch keines annehmen. Das ist schlecht für meine Statistik, aber ich kann es nicht ändern, weil ich ja garnicht die Chance dazu habe. Eine ungleichmäßige Verteilung der Anrufe ist natürlich auch unfair den Kollegen gegenüber, die dadurch ständig telefonieren müssen, während andere auf einen Anruf warten.

Agent 007: Ja, das ist nicht so einfach. Ständig im Kopf zu haben, dass alles kontrolliert werden kann. Man muss versuchen das zu ignorieren, ansonsten kommt man sich wie ein Teilnehmer von Big Brother vor. Ich habe das mittlerweile ganz gut im Griff. Bei den Jahresgesprächen mit den Vorgesetzten werden die Statistiken dann analysiert. Man wird auf gute und weniger gute Zahlen hingewiesen. Das verursacht natürlich Druck, keine Frage. Manchmal beneide ich die Kollegen in den Filialen. Da steht keiner mit der Stoppuhr neben dem Info und überprüft die Zeit, die sie für Kunden aufwenden.


Infoblog: Sicher gibt es bei euch auch schwierige Gespräche und auch Beschwerden. Wie geht ihr am Telefon damit um? 

Agent 007: Gott sei Dank, halten sich solche Gespräche in Grenzen. Ich z.B. höre den verärgerten Kunden zu und versuche eine Lösung zu finden. Wenn ich merke, ich komme nicht weiter oder es droht zu eskalieren, gebe ich das Gespräch an die Teamleiter ab.


Infoblog: Mal so ins Blaue hineingedacht: Weltbild hat um ein vielfach größeres Call Center und die Hugendubel-Internetseite wird auch von den MitarbeiterInnen in Augsburg betreut. Macht ihr euch über eure Zukunft und die Zukunft des Service Centers Gedanken?

Kollege 1: Natürlich. Das hat man immer im Hinterkopf. Herr Hugendubel hat zwar bei einer der letzten Betriebsversammlungen gesagt, wie wichtig im das Service Center und unsere Beratungsqualität ist, aber man ist sich nie sicher, wie es morgen aussieht. Ein Outsourcing nach Augsburg ist jederzeit möglich, zumindest in technischer Hinsicht. Für viele hier käme ein Wechseln nach Augsburg wohl nicht in Frage, weswegen das Outsourcing auch den Jobverlust für viele Mitarbeiter hier in München bedeuten würde.

Agent 007: Natürlich ist mir klar, dass es irgendwann sein kann, dass wir nach Augsburg müssen. Vielleicht ist das „irgendwann“ auch schon näher als wir alle denken. Ich bin Realist und mache mir keine Illusionen. Ich arbeite hier und jetzt so gut es geht und hoffe, dass ich diesen Job noch lange tun kann. Außerdem machen wir im Service Center alle einen guten Job und ich hoffe, dass das auch von der Geschäftsleitung registriert wird. Aber bei Outsourcing geht es ja meist nicht um Qualität, sondern es zählen alleine die Kosten.


Infoblog: Würdet ihr gerne einmal in die Filiale wechseln und die Arbeit dort kennen lernen?

Kollege 1: Ich würde sehr gerne mal wieder in der Filiale arbeiten. Nachdem ich schon ein paar Jahre hier im Service Center verbracht habe, wäre ein Wechsel mal wieder ganz interessant. Leider ist die momentane Stellensituation bei Hugendubel nicht so berauschend, viele freie Plätze werden "unter der Hand" in der Filiale neu vergeben oder erst gar nicht neu besetzt, wenn ein Kollege wechselt oder aufhört. Das ist schade. Insgesamt habe ich eh den Eindruck, daß es für Mitarbeiter hier im Service Center sehr schwer ist, wieder in die Filiale zu wechseln. Es gab nur wenige, die das gemacht haben, der Wunsch wäre aber wohl bei vielen da. Wahrscheinlich gelten wir als Fachidioten, die nichts anderes als das Telefonieren können. Dabei haben wir ein sehr umfangreiches Wissen in allen Bereichen, wissen über Bestellabläufe, Auslandslieferanten, etc. oft besser bescheid, als Kollegen vor Ort in der Filiale. Nicht etwa, weil wir klüger sind, sondern weil wir viel öfter damit zu tun haben.

Agent 007: Ich könnte mir vorstellen, einen Teil in der Filiale und einen Teil im Service Center zu arbeiten. Das wäre ideal. Leider ist das so nicht machbar und die Situation in den Filialen wird ja auch nicht besser. Wie mein Kollege schon sagte, es ist sehr schwer in die Filiale zu wechseln, wenn man vom HSC kommt, obwohl hier die meisten eine Ausbildung als Buchhändler haben.


Infoblog: Zum Schluß noch eine ganz andere Frage: welche lustige Begebenheit am Telefon fällt euch spontan ein?

Kollege 1: Eine Kollegin erhielt einmal einen Anruf aus dem "Quiztaxi", das war so eine Quizsendung auf Kabel 1, in der Kandidaten Fragen beantworten mussten und einen Telefonjoker haben. Der Kandidat hat sich für seine Frage wohl Hugendubel als Telefonjoker ausgesucht, hatte aber leider kein Glück. Die Kollegin konnte nicht beantworten, in welchem Buch der Charakter "Argus Filch" auftritt. Die Kollegin hatte Harry Potter nie gelesen. Pech für den Kandidaten.

Agent 007: Ah, da gibt es viele. Versprecher von Kunden, Verhörer von uns, verdrehte Titelangaben, unsere Service Nummer die Kunden als ISBN durchgeben und und und. Es gibt auf jeden Fall auch viel zu lachen und Dinge, über die man sich nur wundern kann.




6 Kommentare:

  1. Muss man ununterbrochen telefonieren? Den ganzen Tag nur reden? Das wäre nichts für mich

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  2. War wichtig, dass da mal so ein Artikel erscheint. Es ist echt das letzte! Die Vorgesetzten WISSEN, dass die Telefonanlage nicht richtig funktioniert und die Anrufe nicht gleichmäßig verteilt, trotzdem werden weiter munter Statistiken mit Vergleichszahlen verschickt, um Druck aufzubauen. Da ist der Betriebsrat gefragt, das Thema mal anzugehen.

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  3. Wie man an den zahlreichen Kommentaren sehen kann, ist das ein Bereich, für den sich wahnsinnig viele Kollegen interessieren.
    Wie immer und überall bei uns - wenn ich nicht persönlich betroffen bin, ist mir alles andere egal.
    Ich kann diese Einstellung langsam nicht mehr ab.

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  4. Also nur weil ich nicht schreibe "Ach, wie schlimm ist das alles" heißt das nicht, dass es mich nicht interessiert.
    Ich habe das Interview mit Interesse gelesen, weil ich vom HSC nicht viel mitbekomme (außer, wenn ich jemandem am Telefon habe, der ein Buch reservieren möchte)

    Ich verstehe ehrlich gesagt nicht, warum nicht schön längst von den HSC-Mitarbeitern was dagegen unternommen wird, dass Ihr mit Statistiken "belästigt" werdet, wenn sie denn nicht stimmen können.

    Man muß mir als Filial-Kollege verzeihen, dass ich das nicht übernehme, das muß das HSC, bzw. die Kollegen dort schon selbst übernehmen. Das hat nichts damit zu tun, dass ich mich gemütlich zurücklehnen möchte, sondern dass der erste Schritt grundsätzlich immer von den Betroffenen kommen muß (und sei es nur, sich beim Betriebsrat zu melden)

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  5. Der Mischkonzern braucht einen einheitlichen Auftritt, oder wenigstens eine vernünftige Erreichbarkeit für den Kunden. Vielleicht sollte man die Telefone doch wieder zurück in die Läden geben.

    Der Service-aus-einer-Hand, das war urspünglich ja mal eine gute Idee. Aktuell ist dieses essentielle Konzept aber gefährdet durch Kompetenzgerangel und Kommunikationsprobleme zwischen den Hotline-Abteilungen. Die Einheitlichkeit wird zunehmend zersplittert.

    Das spiegelt nun offenbar die Machtverhältnisse in der Geschäftsführung wieder, die den Kunden ja eigentlich nicht betreffen sollten.
    Der muß so aber den Eindruck gewinnen, daß er und seine Bedürfnisse, die ja im Zentrum des buchhändlerischen Strebens stehen müßten, zweitrangig sind. Untergeordnet den Vorstellungen der Oberen, was er, der Kunde gutzufinden habe.

    Ein Wohlfühlerlebnis wird so von vornherein vereitelt. Das schmeckt nach Mehdorn, das schmeckt nach Schlecker; das schmeckt ein bißchen nach DDR. Schade.

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  6. Spätrömische Dekadenz offensichtlich. Da fehlt das Konzept, und das Charisma, Leute davon zu überzeugen, was das beste für die Firma UND für sie selbst ist. Oben schachert man sich die Pöstchen zu und "die da unten" halten den Laden noch irgendwie am Laufen. Kleinere Einheiten sind da schlagkräftiger und für den Kunden noch irgendwie glaubwürdiger. Es ist wohl nur noch eine Frage der Zeit. Es sei denn, jemand hätte eine wirklich originelle Idee und würde es auch verstehen, Mitarbeiter und Kunden dafür zu begeistern. Schlecker ist weg, aber dm beispielsweise macht doch irgendwas richtig...

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