Freitag, 21. August 2020

Bericht aus einem Krankenhaus


 Gewerkschaften



Die ausschließlich auf Profit abzielende patienten- und beschäftigtenfeindliche Ökonomisierung des Gesundheitswesens läßt sich nicht nur beim Asklepios-Konzern beobachten, sondern ist auch gängige Praxis beim Helios-Krankenhauskonzern. Was das in der Corona-Krise bedeutet, läßt sich auch beim Helios-Klinikum in Dachau bei München feststellen. Aktivisten haben dies in einem erschütternden Bericht über ihren Krankenhausalltag der letzten Monate geschildert:

"Wir Beschäftigte der Helios Amper Klinken kämpfen seit Jahren gegen Personalmangel und dadurch bedingte hohe Arbeitsverdichtung. Die Corona-Pandemie brachte das Fass zum überlaufen. Mangelnde Schutzausrüstung und zu spät abgesagte Operationen wurden bereits im März und April in Statements kritisiert. Wir wollten kein Kanonenfutter sein! 

Anfang April wurde das Klinikum Dachau unter Quarantäne gestellt, es stellte sich heraus, dass sich etliche Kolleg*innen infiziert hatten. In einem am Vortag veröffentlichten Zeitungsartikel ließ Helios verlauten, man habe ausreichend Schutzmaterial geboten, Bonuszahlungen seien nicht geplant und überhaupt sehe man keinerlei Handlungsbedarf, denn jetzt nach der Hochphase der Pandemie seien die Arbeitsbedingungen „genauso gut“, „wie sie vorher gewesen sind.“

Das kann man wohl sagen. Im Redebeitrag der Unabhängigen Betriebsgruppe wurde bestätigt, dass diese wirklich wie zuvor sind – man versucht jetzt möglichst viele Patient*innen durch zu schleusen, was zum einen zu enormer, aber altbekannter Arbeitsbelastung führt, zum anderen hatten wir keinerlei Verschnaufpause, nachdem im März und April trotz mentalen Drucks alle solidarisch die Klinik am Laufen hielten, indem sie sich gegenseitig unterstützten.

Arbeiten in Krankenhäusern war bundesweit schon vor der Pandemie eine Krise. Damit das nicht so bleibt, wurden konkrete Forderungen aufgestellt. Unmittelbar braucht es einen verbindlichen Personalschlüssel bemessen am tatsächlichen Bedarf,ausreichend Schutzausrüstung und regelmäßige Tests für alle, sowie als ersten Schritt 500 Euro mehr Lohn monatlich.

Davon würden v.a. unsere prekär beschäftigten Kolleg*innen in Reinigung, Bettenaufbereitung und Service profitieren, die von ihrem Lohn so fast nicht über die Runden kommen. Die Pandemie hat die existenziellen Mängel des Gesundheitssystems offengelegt. Denn ein Gesundheitssystem, das auf Profit und Wettbewerb ausgerichtet ist, hat nicht das erste Ziel Gesundheit für alle zu gewährleisten – es muss sich rentieren. Insbesondere die großen Klinikkonzerne sind die Nutznießer. Einsparungen, Outsourcings, Lohndumping machen die Konzerne reich und uns Beschäftigte krank.

Daher muss langfristig eine flächendeckende Entprivatisierung der Krankenhäuser stattfinden, die Fallpauschalen müssen umgehend abgeschafft werden. Das schafft man nicht mit Appellen an die Politik, sondern dadurch, dass alle systemrelevant Beschäftigten ihre Geduld verlieren, für ihre Belange selbst eintreten und Veränderung durchsetzen. Der Weg ist lang, aber wir haben uns in Bewegung gesetzt.






Ein Blick zurück: März 2020

Italien:  das allein genügt, um auszudrücken was Anfang März in unseren Köpfen vorging. 
Wir wollen eine Rückbetrachtung in Stichpunkten versuchen. Ohne etwas aufzubauschen, aber Tatsachen schonungslos benennen. Hier klopfen sich gerade zu viele, die in diesem Haus was zu sagen haben, gegenseitig auf die Schultern. Dabei wäre es angebracht etwas leisere Töne anzuschlagen, denn astrein lief es hier ganz und gar nicht. Es waren wir Kolleg*innen, die den Dingen ins Auge gesehen haben. Hat man uns eigentlich schon gedankt dafür? 

Und damit sind nichtnette Worte über die Medien gemeint - die eher einen selber gut da stehen lassen – oder eine Helios-Blechbüchse zum Tag der Pflege. „Dachau belegt den 14. Platz im Vergleich der höchsten Infektionsraten aller Landkreise und kreisfreien Städte in Deutschland.“https://www.corona-in-zahlen.de/landkreise/lk%20dachau/(Stand Ende Juli)MärzErste positive Fälle von SARS CoV2 Anfang März, Einrichtung einer Isoabteilung auf C1-01, erst auf wenige Zimmer begrenzt, später auf der kompletten Station.


Im Zuge des Katastrophenfalls in Bayern Aufweichung des Arbeitszeitgesetzes am 16.3.2020: 

Höchstarbeitszeit auf 20 Std., Kürzung von Pausen von 30 min. auf 15 min., Kürzung der Ruhezeit von 10 auf 9 Std. möglich. Im gleichen Zeitraum bundesweite Aussetzung der Pflegepersonaluntergrenzenverordnung PpUGV.Mangel an Schutzausrüstung, v.a. FFP2 Masken, Schutzkittel, z.T. Mundnasenschutz. Anweisung Mundnasenschutz und FFP2 pro Person eine ganze Schicht für alle Pat. zu tragen. 

Einrichtung einer zweiten Isostation für Verdachtsfälle auf C1-00. Dazu wurde von allen Normalstationen Material wie Thermometer und Hülsen, Stethoskope und RR-Manschetten, Abwurftonnen eingesammelt. Trotz zweier Isostationen wurden Pat. der Normalstationen mit V.a. COVID-19 weiter dort isoliert, obwohl dort die nahezu gesamte Schutzausrüstung abgezogen wurde. 

Da keine Abwurftonnen mehr vorhanden waren, wurden Mülltüten (wenn überhaupt) an Kleiderhaken gehängt. FFP2 Masken wurden dort nur begrenzt und nach langer Diskussion ausgegeben oder eben gar nicht mehr! Das hatte zur Folge, dass eine Kollegin bspw. mit einem nicht vor Infektion schützenden Mundnasenschutz zu einem COVID-19 Verdachtsfall ging, dort Vitalparameter maß, dann die Materialien mit Desinfektionsmittel abwischte und anschließend damit und mit dem selben Mundnasenschutz zum nächsten nicht isolierten Pat. ging usw. Offizielle schriftliche Anweisungen gab es nicht! 

Es blieb uns einfach nichts anderes übrig. Der Unmut darüber wuchs und wuchs. Die Fälle von Infektionen im Landkreis stiegen rasant an. Vor der Notaufnahme wurde ein Zelt zur Triage eingerichtet und prophylaktisch ein Hotel in Dachau Ost als Behelfsklinik für nicht beatmungspflichtige Pat. umgerüstet. 

Für uns Kolleg*innen gab es weniger Maßnahmen, genauer gesagt keine. Es wurden nicht einmal OPs abgesagt als dies schon in anderen Kliniken geschah. Es tauchten kleine Plakate im Haus auf, auf denen unsere Systemrelevanz betont wurde. Zu diesem Zeitpunkt hörte man abends schon kein Klatschen mehr von Dachaus Balkonen. Am 18.3.2020 veröffentlichte die Unabhängige Betriebsgruppe ein Statement, in dem die Absage aller nicht notwendigen Eingriffe gefordert, aufden Mangel an Schutzausrüstung hingewiesen und unser Recht auf Gesundheitsschutzeingefordert wurde.

 Am 19.3.2020 wurden alle nicht notfallmäßigen OPs eingestellt.Ende März eskalierte der Mangel. Die Stimmung brodelte einerseits, andererseits kam aller Umstände zum Trotz eine solidarische Stimmung untereinander auf. Man half sich gegenseitig auf den Stationen aus. Das muss betont werden, dass es wir alle waren, die alles am Laufen hielten. Kolleg*innen der Anästhesie sollten auf den ausgeweiteten Beatmungsplätzen der IMC aushelfen. 











Situation im April

Antritt des neuen Klinikgeschäftsführers Aschbrenner am 1.4.2020. Solidaritätsaktion am 2.4.2020: Selbst genähte Mundnasenschutz Masken als symbolische Geste an alle Kolleg*innen. 

Dazu ein weiteres Statement der Unabhängigen Betriebsgruppe am selben Tag, in dem erneut auf den eskalierenden Mangel an Schutzausrüstung hingewiesen wurde, verbunden mit der Forderung uns ausreichend Materialien zur Verfügung zu stellen. Das Statement endete mit einer Aussage, die vielfach wortwörtlich von Kolleg*innen geäußert wurde: „Wir sind kein Kanonenfutter!“(nachzulesen auf www.betriebsgruppen.de/bgak ).


Unter Quarantäne

Am 3.4.2020 machte das Gesundheitsamt die Klinik dicht, da es nicht mehr nachvollziehbare Infektionen bei Pat. wie Personal gab. Alle Kolleg*innen standen für 14 Tage unter häuslicher Quarantäne. Wir durften nur noch zum Arbeiten gehen. Anfangs wurde uns mündlich untersagt öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen. Mundschutzpflicht auf dem Weg in die Arbeit. Es wurden keine Pat. entlassen und neu aufgenommen. 

Alle Kolleg*innen wurden getestet. Jetzt endlich! Dazu wurden wir angewiesen am Abend des 3.4. oder am Vormittag des 4.4. anzutreten. Später musste man für die Anerkennung als Arbeitszeit kämpfen. Die Reihentestung ergab, dass in fast allen stationären Bereichen und quer durch die Berufsgruppen Kolleg*innen positiv waren. Wer positiv war musste ab diesem Zeitpunkt 14 Tage in Quarantäne und danach erneut zum Test.
  

Überdurchschnittlich infiziert
 
Insgesamt haben sich in diesem Zeitraum mehr Kolleg*innen infiziert als in anderen,zum Teil größeren, Klinken. Das erscheint angesichts der oben geschilderten Zustände an mangelnder Schutzausrüstungund nicht vorhandenen offiziellen Hygieneanweisungen, wie mit dem Mangel umzugehen sei, wenig verwunderlich. Ab jetzt wurden regelmäßige Tests vorgenommen, Frequenz je nach Bereich. Aber auch jetzt traten Vorfälle auf, die einfach unbegreiflich sind. Auf der IMC wurden innerhalb von wenigen Tagen immer mehr Kolleg*innen positiv getestet. 

Statt aber alle, die mit dem fraglichen Pat. und mit den in diesem Zeitraum eingesetzten Kolleg*innen in Kontakt waren, bis zum Testergebnis zu Hause zu lassen, sollten sie alle weiter arbeiten. Und so war es letztendlich eine zweistellige Zahl positiver Mitarbeiter*innen, die z.T. mit Fieber flach lagen. Man könnte behaupten, dass das an Verantwortungslosigkeit schwer zu überbieten ist. 

Nach und nach wurde das Haus wieder geöffnet, Pat. wurden alle einzeln isoliert, in der Notaufnahme getestet und nach negativem Befund auf die Normalstationen verlegt. Ab 8.4.2020 lief die Klinik wieder im Vollbetrieb. Mitte April hing ein großes Banner vom Parkhaus mit der Aufschrift „Gesundheit statt Profit“. 


Beschwichtigung und Einschüchterung

Erst mit der Schließung durch das Gesundheitsamt wurden FFP2 Masken flächendeckend verteilt, da man die negativen, aber dennoch isolierten Pat. nur mit FFP2 versorgen sollte. Natürlich immer noch eine Maske pro Kolleg*in für die gesamte Schicht. FFP3 Masken gab es so gut wie gar keine. Die benötigt man v.a. auf Intensiv für COVID-19 Pat. bei Intubation, offener Absaugung oder Bronchoskopie. Die FFP3 Masken wurden bis zu 10 Tage am Stück getragen. Zwischenzeitlich waren alle 16 Beatmungsplätze belegt. Die Belastung war enorm. Gegenüber der Presse wurde beschwichtigt. 

Nur durch die Statements im März und April kam der tatsächliche Mangel ans Licht. Was allerdings für Ärger sorgte, denn Ende April bekamen drei Kolleg*innen einen Schrieb aus der Personalabteilung wegen der Solidaritätsaktion am 2.4.2020, in dem sie aufgefordert wurden innerhalb einer Frist etliche Fragen zur Aktion und der etwaigen eigenen Beteiligung zu beantworten. Man habe die drei auf dem auf Facebook veröffentlichten Foto trotz Mundnasenschutz erkannt. 

Ein klarer Einschüchterungsversuch. Die Betroffenen wandten sich mit einer Beschwerde an den Betriebsrat, im weiteren Verlauf hieß es man sehe von weiteren Maßnahmen ab. Aber man erkennt schon klar, welche Prioritäten hier gesetzt werden. Es wurden in der Hochphase auch Teams sprichwörtlich zerschlagen, wie die 1B. Ab 3.4.2020 war die 1B als Palliativstation für COVID-19 Pat. gedacht, glücklicherweise aber nur gering ausgelastet.


Mai: Wertschätzung?  Unbekannt!

Die Kolleg*innen halfen auf IMC oder im COVID-19 Bereich der C1-01 aus, die zum Hochrisikogebiet zählten. Dafür bekamen sie nicht einmal den TVöD Zuschlag von 40 Euro Brutto,da man diesen erst ab durchgehend 4 Wochen erhält. Hätte man z.B. ein Auge zudrücken und ein Zeichen von Wertschätzung setzen können. Aber das war bekanntlich nicht der Fall. Auch auf C1-01 bekamen nicht alle Kolleg*innen den Zuschlag. 

Es wurde bei allen einzeln geprüft, so dass ihn manche eben nicht erhielten. Wertschöpfung ist die Maxime. Wertschätzung ist bei Helios ein unbekanntes Wort. Die Bereiche wurden nach und nach wieder geöffnet, sprich für zwei Pat. pro Zimmer. Es wurden wieder einbestellte Eingriffe vorgenommen, es wurde Druck gemacht mehr OP Säle zu öffnen. Mit der Stabilisation der Situation durch rückläufige Infektionszahlen im Landkreis wurde nun wieder zum Normalbetrieb übergegangen. 

Was das bedeutet wissen wir ja alle. So viele Pat. aufnehmen wie nur möglich. Eine Besetzung spielte ohnehin und trotz PpUGV nie eine Rolle und letztere istja noch ausgesetzt. Es wurden die Bereiche „rot“ (COVID-19 positiv/hochgradiger Verdacht), „gelb“ (Abstrich ausstehend) und „grün“ (negativ) verkündet. Wobei in den „grünen“ Bereichen auch Pat. von IMC oder ITS übernommen wurden, wo das Abstrichergebnis noch aus stand. 

Auch kardiologische Telemetrie Pat. kamen direkt von der Notaufnahme auf die Station A3-05, natürlich zur Isolation. Von einem „grünen“ Bereich kann dennoch nicht gesprochen werden. Hört sich aber in der Presse gut an. Was man dabei nicht erwähnt ist, dass in einer Mitteilung von 18.5.2020 alle Kolleg*innen im „grünen“ Bereich von den Abstrichen ausgenommen werden sollten. Anfang Juni hieß es, dass wir nur noch getestet würden, wenn man Symptomatik aufweist. 


Juni: Profitmaschine läuft wieder

Gleichzeitig läuft das Haus wieder auf Hochtouren. Sprich, der Zeitraum der Hochphase, der eine enorme mentale Belastung darstellte, ging nahtlos über in den zuvor gekannten Zustand aus Überbelegung und Überlastung. Eine Verschnaufpause gab es nicht! Nach der auf Seite 1 berichteten Aktion in der Altstadt am 19.6.2020 bekamen zwei Kolleg*innen eine Vorladung vom Klinikgeschäftsführer, was als erneuter Einschüchterungsversuch gewertet werden kann. 

Ende Juni wurden etliche Fachbereiche neu im Haus aufgeteilt. Die C1-01 musste auf die 1B ziehen und bekam den „roten“ Bereich dazu. Die 1B zog auf die C1-01 und bekam die Viszeralchirurgie und Urologie dazu. HNO und Gefäßchirurgie zogen auf die A3-05. Fachliche Einweisung oder nur kurze Schulung Fehlanzeige.


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Was bleibt?

Es scheint als hätte die Helios Führung die Pandemie genutzt, um mit einem Schlag das ganze Hausnach wirtschaftlichen Gesichtspunkten neu zu strukturieren. Hinzu kommt, dass das kurzfristig verkündet wurde und innerhalb weniger Tage umgesetzt werden sollte. Was das für ein Chaos verursacht liegt auf der Hand, war aber wieder einmal völlig egal. 

Wir Beschäftigte sind reiner Spielball und Kostenfaktor. Es zeichnet sich ein deutlich rauerer Wind ab, der uns in Zukunft ins Gesicht bläst. Wir können diesen Gegenwind nicht ignorieren, wir müssen in und zwischen unseren Teams zusammenstehen. Meldet Euch, wenn man Euch Druck machen will, sprecht im Team darüber! Einzeln können sie uns klein kriegen, geballt zusammen können sie uns nicht ignorieren."




Quelle.  Bündnis Systemrelevant & Ungeduldig

 https://www.facebook.com/mehrpflegepersonaldachau




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