- und wie er funktioniert
Durch
Deutschland müsse ein Ruck gehen, sprach Ex-Bundespräsident
Herzog. Jetzt
haben wir ihn: es ist ein Rechtsruck. Und was tun unsere
bildungsbürgerlichen
Intellektuellen, sobald sie merken, wohin die Reise
geht? Statt
demagogisches Gefasel von kultureller Identität als
Ablenkungsmanöver
zu entlarven, das über soziale und politische
Probleme
hinwegtäuscht, springen sie mal wieder auf den Zug – und reden
sich und uns
ein, dass sie dort in der ersten Klasse säßen und mit dem
doofen Pöbel
auf den billigen Plätzen null gemein hätten: vor allem nicht
die
Fahrtrichtung.
Um einer
Autorin, welche für die anspruchsvollste Variante der jüngsten
Renaissance
rechter Deutschtümelei steht, die gebührende Ehre anzutun,
wollen wir
diesen geistigen Haltungsschaden – hoffend, dass niemand
denke, es
handle sich um eine Anspielung auf Theodor W. Adorno – kurz
Theadornismus nennen.
Wie er
funktioniert, lässt sich anhand eines Interviews
(Thea Dorn et al.,
„Lieber ‚Faust‘ als Flüchtlingsperformance“ ersehen, mit
dem die Befragte
nicht nur ihr Publikum, sondern vermutlich auch gleich
sich selbst an der
Nase herumführte.
Erste Regel:
suche keine politischen Lösungen für politische
Probleme,
sondern mache aus ihnen eine Frage der persönlichen
Einstellung und
Gesinnung. Scheue dich auch nicht Themen zu
verknüpfen, die
nichts miteinander zu tun haben.
So stellt für
unsere Autorin zwar ein „Verfassungspatriotismus, der
letztlich ein
gesamtwestlicher ist, das Fundament dar“ – von was das
Fundament, wird
gar nicht erst verraten: einfach das Fundament halt! Weil
aber „Europa
für die meisten Bürger ein lästiges Abstraktum ist, muss das
Europäertum mit
nationalen Patriotismen verschränkt bleiben.“ – Man darf
sich das
ungefähr so vorstellen: teutonische Provinzratte schnuppert
angebräunten
Speck und tappt prompt in gesamtwestlich-europäisch-
buxtehudesche
Demokratie- und Menschenrechtsfalle.
Dass ein Mangel
an überzeugtem Europäertum vielleicht auch mit
fehlender
politischer Partizipation und Transparenz in der EU zu tun haben
könnte, wie das
Beispiel der TTIP-Verhandlungen deutlich gezeigt hat,
kommt hier gar
nicht erst vor. Stattdessen sind die dummen Neureichen
schuld, die nicht
kapieren, „dass das Individuum in freien Gesellschaften
für mehr als
die Planung seiner Wellnesswochenenden verantwortlich ist.“
Denen ist
folglich nur auf einem Weg zu helfen. Sie brauchen etwas, wofür
sie sich so
richtig begeistern können: einen deutschen Kulturpatriotismus.
Weil der
Interviewer nun intuitiv bereits erfasst haben dürfte, dass es hier
ebenso wenig um
deutsche wie um europäische Tugenden geht, sondern
um die
Verlustängste bildungsbürgerlicher Kulturseitenschreiber, in denen
die des westlichen
Mittelstandes sich widerspiegeln, wirft er – wohl
unbewusst –
einen Köder aus, der verlockender kaum sein könnte: „in den
Schulen nicht Tschick von Herrndorff
lesen, sondern dieOdyssee ?“
Und die biedere
Feuilletonistin schnappt zu – und entscheidet sich
erwartungsgemäß
für den, der vielleicht nicht mal Grieche, aber gewiss
kein Deutscher
war.
Zweite Regel:
vermeide eindeutige Aussagen - und begründe dies
damit, dass man
komplexe Dinge differenziert sehe müsse. Nimm
es mit der
Logik dabei nicht allzu genau.
Deshalb
veranstaltet unsere homerische Heldin eine Gedankenreise,
neben der sich
Odyssee als relativ geradlinige Angelegenheit ausnimmt.
Etwa wie der
kleine Tiger und Bär, die nach Panama aufbrechen, aber um
drei Ecken
herum unbemerkt wieder bei sich zuhause ankommen!
Ihr Panama –
verkündet sie – sei es, „die Idee eines mündigen, gebildeten,
freien,
emanzipierten Individuums“ zu verteidigen. Ergo müsse man
wieder „stolz“
sein – auf so urgermanische Errungenschaften „wie
Arbeitsethos,
Forstwirtschaft, Elbsandsteingebirge“ etc. –O wie schön ist
Panama!
Besagte
Auflistung freilich sollte selbst der dämlichsten Intellektuellen
eher spanisch
vorkommen. Als ihr Befrager nicht locker lässt und weiter
bohrt, was an
alledem typisch deutsch sein soll, bleibt nur noch, die
Notbremse zu
ziehen und das Thema zu mystifizieren: „Das Schöne an der
deutschen
Kultur ist doch, dass sich auf keinen einfachen Nenner bringen
lässt.“
Und um
der Ratio den Rest zu geben, wird diese Narretei sogleich in
den Stand eines
Glaubensbekenntnisses erhoben: „Mein kulturpatriotisches
Credo lautet: Weder borniert noch beliebig!“ – Credo quia absurdum!
Immerhin
konzediert die deutsche Bildungsbürgerin, die um die
Problematik
solcher Wortblasen unbestimmten Inhalts ja aus dem
Faust wissen dürfte,
dass von diesen extrem vorsichtiger Gebrauch zu machen
sei: „Deshalb
gehe ich mit dem Begriff ‚Leitkultur‘ äußerst behutsam und
skeptisch um.“
Aber ohne Glauben an Märchen geht halt die Chose nicht –
und wenn schon
Märchen, dann bitte deutsch und im Superlativ: „Weil die
deutsche
Kulturnation der wertvollste deutsche Mythos ist, den es jemals
gab.“ – Da
können sogar Sigi und seine Nibelungen einpacken, diese
Loser!
Dritte Regel:
betone, während du sagst, was Leute mit denen du
nicht in
Verbindung gebracht werden willst, auch sagen, dass du
es ganz anders
meinst. Wiederholst du Fehler der Vergangenheit,
lenke von dir
ab, indem du jene, die sie begangen haben, schwer
verurteilst.
Hier schreitet
unsere brave Literatin und Philosophin mit erhobenem
Zeigerfinger so
wacker voran, dass es schier unmöglich scheint, sie
überhaupt noch
zu orten – und im rechten Lager schon gleich gar nicht. Ihr
sind nicht nur
jene Kollegen und Politiker zuwider, die auf dem
vaterländischen
Pfad, den sie mit feenhafter Leichtigkeit entlangschwebt,
ein derart
tölpelhaftes Getrampel und Gepolter veranstalten, dass selbst
der geneigteste
Leser ihn besehen und sich fragen könnte, wo er hinführen
mag.
Nein – sie
gibt auch frei heraus zu, dass alle anderen Mist gebaut
haben: „Ich
gehe [...] mit dem deutschen Bildungsbürgertum des 20.
Jahrhunderts
hart ins Gericht, denn es hat gleich doppelt versagt: Erst hat
es mit den
Nazi-Barbaren paktiert [...] Später hat es seinen Fehler nicht
klar genug
bekannt.“
Ein Schelm, wer
logisch denkt, wenn sie, nachdem dies pflichtschuldig
gesagt wäre,
ohne jedes weitere argumentative Vorspiel mit der
Konklusion
aufwartet: „Deutschland hat sich mit seiner braunen
Vergangenheit
glaubhaft auseinandergesetzt.“ Der Subtext ist ebenso
durchschaubar
wie primitiv: über „deutsche Schuld“ wollten und wollen wir
nichts hören.
Denn jetzt wird zum Angriff geblasen – und da ist Kampfgeist
statt Reflexion
gefragt: „Wir können nicht sagen, Europa und Deutschland
müssen politisch
wieder in den Ring steigen, und gleichzeitig derart
defensiv
auftreten.“
Deshalb beklagt
sie auch die fehlende „Bereitschaft der Deutschen, für
ihre Werte zu
sterben“ – und tischt uns neuesten Tratsch aus der
Selbsterfahrungsgruppe
auf: „Mein Leben ist deutlich fokussierter, seit ich
mir klar
gemacht habe, ja, es gibt Werte, für die ich im Extremfall zu
sterben bereit
bin.“ Dennoch gehen Vaterland plus „Arbeitsethos,
Forstwirtschaft,
Elbsandsteingebirge“ bei der Frage, was „die höhere
Sache“ sei, für
die wir uns „opfern“ sollten, leer aus. Da muss „das
abendländische
Humanum“ herhalten – während das morgenländische
gerade im
Mittelmeer ersäuft.
Um keinen
Zweifel aufkommen zu lassen, auf welchen Leim sie den Leser
locken will –
es ist der uralte, hochtoxische Mix aus Martyrium und
Heiligem Krieg
– fügt unsere todesmutige Amazone gleich hinzu: „Das
dämmerte mir
nach 9/11.“ Jeder terroristische Dschihadist oder
dschihadistische
Terrorist könnte diesen geistigen Wertedämmerzustand
nur begrüßen:
bist gutes Mädchen, hast angebissen!
Wäre sie freilich die aufgeklärte
Humanistin, die sie sein möchte, würde
sie sich stattdessen kritisch
fragen, ob es nicht ein paar Nummern kleiner ginge.
– Und vielleicht ja
doch mal ein nettes Wellnesswochenende ins Auge fassen?
Wer hingegen
solchen Heroismus predigt, dem darf man zwar nur selten
glauben, dass
er dafür sein eigenes Leben gäbe, immer aber, dass ihm das
der anderen
wenig bedeutet. Und so pflegt auch unsere Autorin in der
Flüchtlingsfrage
eine äußerst exklusive Willkommenskultur: „Aufmüpfige
aller Herren
Länder, kommt zu uns! Unbegrenzte Zuwanderung für alle
Anhänger des
westlichen Menschenrechtsgedankens!“
Für den Asylantrag reicht es also
nicht mehr, verfolgt zu werden: du musst sauber
gewestet und aufgemüpft
sein – wie es bürgerliche Intellektuelle halt so sind!
Geht die Schrift noch kleiner ?
AntwortenLöschenGehts noch boshafter und arroganter? Für mich ist das Vernichtungsrhetorik, die mit einer sachlichen Kritik nicht das geringste zu tun hat. Am meisten ärgert mich diese Islamisten-Macho-Parodie in gebrochenem Deutsch: "bist braves Mädchen". Warum gibt der Autor dieses Machwerks nicht einfach gleich zu, dass er eine Frau, die eine politische Meinung äußert, von vornherein nicht für voll nimmt?
AntwortenLöschenWas soll hier bösartig, arrogant oder gar Vernichtungsrhetorik sein?
LöschenDer Artikel kritisiert in stringenter Argumentation die neokonservativen Positionen der Frau Dorn. Im Gegenteil. der Artikel nimmt die Äußerungen der Frau Dorn verdammt ernst, weil man an ihnen nämlich die Rechtsdrift des selbsternannten Bildungsbürgertums sehr gut sehen kann.
Ich finde, Debatten über Politik gehören nicht hierher.
AntwortenLöschenHier gehts um Tarifpolitik.
Selbstverständlich gehören Debatten über Politik in einen Gewerkschaftsblog. Hier geht's um Tarifpolitik, hier geht es um Sozial- und Wirtschaftspolitik. Hier geht´s um rechte und faschistoide Strömungen in der Gesellschaft. All das gehört in den Blog. Außerdem entscheidet die Blog-Redaktion, was hier reinkommt.
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