Freitag, 8. Februar 2019

Theadornismus


- und wie er funktioniert

Durch Deutschland müsse ein Ruck gehen, sprach Ex-Bundespräsident

Herzog. Jetzt haben wir ihn: es ist ein Rechtsruck. Und was tun unsere

bildungsbürgerlichen Intellektuellen, sobald sie merken, wohin die Reise

geht? Statt demagogisches Gefasel von kultureller Identität als

Ablenkungsmanöver zu entlarven, das über soziale und politische

Probleme hinwegtäuscht, springen sie mal wieder auf den Zug – und reden

sich und uns ein, dass sie dort in der ersten Klasse säßen und mit dem

doofen Pöbel auf den billigen Plätzen null gemein hätten: vor allem nicht

die Fahrtrichtung.


Um einer Autorin, welche für die anspruchsvollste Variante der jüngsten

Renaissance rechter Deutschtümelei steht, die gebührende Ehre anzutun,

wollen wir diesen geistigen Haltungsschaden – hoffend, dass niemand

denke, es handle sich um eine Anspielung auf Theodor W. Adorno – kurz

Theadornismus nennen. 

Wie er funktioniert, lässt sich anhand eines Interviews (Thea Dorn et al., 
„Lieber ‚Faust‘ als Flüchtlingsperformance“ ersehen, mit dem die Befragte
 nicht nur ihr Publikum, sondern vermutlich auch gleich sich selbst an der 
Nase herumführte.


Erste Regel: suche keine politischen Lösungen für politische

Probleme, sondern mache aus ihnen eine Frage der persönlichen

Einstellung und Gesinnung. Scheue dich auch nicht Themen zu

verknüpfen, die nichts miteinander zu tun haben.


So stellt für unsere Autorin zwar ein „Verfassungspatriotismus, der

letztlich ein gesamtwestlicher ist, das Fundament dar“ – von was das

Fundament, wird gar nicht erst verraten: einfach das Fundament halt! Weil

aber „Europa für die meisten Bürger ein lästiges Abstraktum ist, muss das

Europäertum mit nationalen Patriotismen verschränkt bleiben.“ – Man darf

sich das ungefähr so vorstellen: teutonische Provinzratte schnuppert

angebräunten Speck und tappt prompt in gesamtwestlich-europäisch-

buxtehudesche Demokratie- und Menschenrechtsfalle.


Dass ein Mangel an überzeugtem Europäertum vielleicht auch mit

fehlender politischer Partizipation und Transparenz in der EU zu tun haben

könnte, wie das Beispiel der TTIP-Verhandlungen deutlich gezeigt hat,

kommt hier gar nicht erst vor. Stattdessen sind die dummen Neureichen

schuld, die nicht kapieren, „dass das Individuum in freien Gesellschaften

für mehr als die Planung seiner Wellnesswochenenden verantwortlich ist.“


Denen ist folglich nur auf einem Weg zu helfen. Sie brauchen etwas, wofür

sie sich so richtig begeistern können: einen deutschen Kulturpatriotismus.

Weil der Interviewer nun intuitiv bereits erfasst haben dürfte, dass es hier

ebenso wenig um deutsche wie um europäische Tugenden geht, sondern

um die Verlustängste bildungsbürgerlicher Kulturseitenschreiber, in denen

die des westlichen Mittelstandes sich widerspiegeln, wirft er – wohl

unbewusst – einen Köder aus, der verlockender kaum sein könnte: „in den

Schulen nicht Tschick von Herrndorff lesen, sondern dieOdyssee ?“ 

Und die biedere Feuilletonistin schnappt zu – und entscheidet sich

erwartungsgemäß für den, der vielleicht nicht mal Grieche, aber gewiss

kein Deutscher war.


Zweite Regel: vermeide eindeutige Aussagen - und begründe dies

damit, dass man komplexe Dinge differenziert sehe müsse. Nimm

es mit der Logik dabei nicht allzu genau.


Deshalb veranstaltet unsere homerische Heldin eine Gedankenreise,

neben der sich Odyssee als relativ geradlinige Angelegenheit ausnimmt.

Etwa wie der kleine Tiger und Bär, die nach Panama aufbrechen, aber um

drei Ecken herum unbemerkt wieder bei sich zuhause ankommen! 

Ihr Panama – verkündet sie – sei es, „die Idee eines mündigen, gebildeten,

freien, emanzipierten Individuums“ zu verteidigen. Ergo müsse man

wieder „stolz“ sein – auf so urgermanische Errungenschaften „wie

Arbeitsethos, Forstwirtschaft, Elbsandsteingebirge“ etc. –O wie schön ist

Panama!


Besagte Auflistung freilich sollte selbst der dämlichsten Intellektuellen

eher spanisch vorkommen. Als ihr Befrager nicht locker lässt und weiter

bohrt, was an alledem typisch deutsch sein soll, bleibt nur noch, die

Notbremse zu ziehen und das Thema zu mystifizieren: „Das Schöne an der

deutschen Kultur ist doch, dass sich auf keinen einfachen Nenner bringen

lässt.“ 

Und um der Ratio den Rest zu geben, wird diese Narretei sogleich in

den Stand eines Glaubensbekenntnisses erhoben: „Mein kulturpatriotisches
 Credo lautet: Weder borniert noch beliebig!“ – Credo quia absurdum!


Immerhin konzediert die deutsche Bildungsbürgerin, die um die

Problematik solcher Wortblasen unbestimmten Inhalts ja aus dem

Faust wissen dürfte, dass von diesen extrem vorsichtiger Gebrauch zu machen

sei: „Deshalb gehe ich mit dem Begriff ‚Leitkultur‘ äußerst behutsam und

skeptisch um.“ Aber ohne Glauben an Märchen geht halt die Chose nicht –

und wenn schon Märchen, dann bitte deutsch und im Superlativ: „Weil die

deutsche Kulturnation der wertvollste deutsche Mythos ist, den es jemals

gab.“ – Da können sogar Sigi und seine Nibelungen einpacken, diese

Loser!


Dritte Regel: betone, während du sagst, was Leute mit denen du

nicht in Verbindung gebracht werden willst, auch sagen, dass du

es ganz anders meinst. Wiederholst du Fehler der Vergangenheit,

lenke von dir ab, indem du jene, die sie begangen haben, schwer

verurteilst.


Hier schreitet unsere brave Literatin und Philosophin mit erhobenem

Zeigerfinger so wacker voran, dass es schier unmöglich scheint, sie

überhaupt noch zu orten – und im rechten Lager schon gleich gar nicht. Ihr

sind nicht nur jene Kollegen und Politiker zuwider, die auf dem

vaterländischen Pfad, den sie mit feenhafter Leichtigkeit entlangschwebt,

ein derart tölpelhaftes Getrampel und Gepolter veranstalten, dass selbst

der geneigteste Leser ihn besehen und sich fragen könnte, wo er hinführen

mag. 

Nein – sie gibt auch frei heraus zu, dass alle anderen Mist gebaut

haben: „Ich gehe [...] mit dem deutschen Bildungsbürgertum des 20.

Jahrhunderts hart ins Gericht, denn es hat gleich doppelt versagt: Erst hat

es mit den Nazi-Barbaren paktiert [...] Später hat es seinen Fehler nicht

klar genug bekannt.“


Ein Schelm, wer logisch denkt, wenn sie, nachdem dies pflichtschuldig

gesagt wäre, ohne jedes weitere argumentative Vorspiel mit der

Konklusion aufwartet: „Deutschland hat sich mit seiner braunen

Vergangenheit glaubhaft auseinandergesetzt.“ Der Subtext ist ebenso

durchschaubar wie primitiv: über „deutsche Schuld“ wollten und wollen wir

nichts hören. Denn jetzt wird zum Angriff geblasen – und da ist Kampfgeist

statt Reflexion gefragt: „Wir können nicht sagen, Europa und Deutschland

müssen politisch wieder in den Ring steigen, und gleichzeitig derart

defensiv auftreten.“


Deshalb beklagt sie auch die fehlende „Bereitschaft der Deutschen, für

ihre Werte zu sterben“ – und tischt uns neuesten Tratsch aus der

Selbsterfahrungsgruppe auf: „Mein Leben ist deutlich fokussierter, seit ich

mir klar gemacht habe, ja, es gibt Werte, für die ich im Extremfall zu

sterben bereit bin.“ Dennoch gehen Vaterland plus „Arbeitsethos,

Forstwirtschaft, Elbsandsteingebirge“ bei der Frage, was „die höhere

Sache“ sei, für die wir uns „opfern“ sollten, leer aus. Da muss „das

abendländische Humanum“ herhalten – während das morgenländische

gerade im Mittelmeer ersäuft.


Um keinen Zweifel aufkommen zu lassen, auf welchen Leim sie den Leser

locken will – es ist der uralte, hochtoxische Mix aus Martyrium und

Heiligem Krieg – fügt unsere todesmutige Amazone gleich hinzu: „Das

dämmerte mir nach 9/11.“ Jeder terroristische Dschihadist oder

dschihadistische Terrorist könnte diesen geistigen Wertedämmerzustand

nur begrüßen: bist gutes Mädchen, hast angebissen! 

Wäre sie freilich die aufgeklärte Humanistin, die sie sein möchte, würde 
sie sich stattdessen kritisch fragen, ob es nicht ein paar Nummern kleiner ginge.
– Und vielleicht ja doch mal ein nettes Wellnesswochenende ins Auge fassen?


Wer hingegen solchen Heroismus predigt, dem darf man zwar nur selten

glauben, dass er dafür sein eigenes Leben gäbe, immer aber, dass ihm das

der anderen wenig bedeutet. Und so pflegt auch unsere Autorin in der

Flüchtlingsfrage eine äußerst exklusive Willkommenskultur: „Aufmüpfige

aller Herren Länder, kommt zu uns! Unbegrenzte Zuwanderung für alle

Anhänger des westlichen Menschenrechtsgedankens!“ 

Für den Asylantrag reicht es also nicht mehr, verfolgt zu werden: du musst sauber

gewestet und aufgemüpft sein – wie es bürgerliche Intellektuelle halt so sind!




5 Kommentare:

  1. Gehts noch boshafter und arroganter? Für mich ist das Vernichtungsrhetorik, die mit einer sachlichen Kritik nicht das geringste zu tun hat. Am meisten ärgert mich diese Islamisten-Macho-Parodie in gebrochenem Deutsch: "bist braves Mädchen". Warum gibt der Autor dieses Machwerks nicht einfach gleich zu, dass er eine Frau, die eine politische Meinung äußert, von vornherein nicht für voll nimmt?

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Was soll hier bösartig, arrogant oder gar Vernichtungsrhetorik sein?
      Der Artikel kritisiert in stringenter Argumentation die neokonservativen Positionen der Frau Dorn. Im Gegenteil. der Artikel nimmt die Äußerungen der Frau Dorn verdammt ernst, weil man an ihnen nämlich die Rechtsdrift des selbsternannten Bildungsbürgertums sehr gut sehen kann.

      Löschen
  2. Ich finde, Debatten über Politik gehören nicht hierher.
    Hier gehts um Tarifpolitik.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Selbstverständlich gehören Debatten über Politik in einen Gewerkschaftsblog. Hier geht's um Tarifpolitik, hier geht es um Sozial- und Wirtschaftspolitik. Hier geht´s um rechte und faschistoide Strömungen in der Gesellschaft. All das gehört in den Blog. Außerdem entscheidet die Blog-Redaktion, was hier reinkommt.

      Löschen