Montag, 25. Februar 2019

Burnout: Handlungs- und Behandlungsbedarf steigt

Interview mit Hans-Peter Unger




Immer mehr Fehltage werden durch psychische Erkrankungen verursacht. Wie erklären Sie diesen Trend?

Man muss zwischen der rasanten Entwicklung der AU-Zahlen und der tatsächlichen Prävalenz psychischer Krankheiten unterscheiden:  Es gibt heute nicht mehr psychisch kranke Menschen als vor zehn oder zwanzig Jahren, sie werden aber besser diagnostiziert und weniger stigmatisiert.
Fakt ist, dass der Handlungs- und Behandlungsbedarf weiter steigt. Epidemiologische Studien zeigen, dass rund 40 Prozent der Menschen in Deutschland mindestens einmal im Leben an einer behandlungsbedürftigen psychischen Krise erkranken. Viele Fälle bleiben also auch heute noch unerkannt.

Warum werden psychische Erkrankungen in Ballungszentren häufiger diagnostiziert als im ländlichen Raum?

Der Stresspegel ist in Großstädten höher. Untersuchungen belegen, dass Menschen, die auf dem Land aufwachsen, weniger auf Stress anspringen als Städter. Außerdem ist in der städtischen Community das Gesundheitsbewusstsein größer. Psychische Probleme werden deshalb schneller als solche benannt und diagnostiziert. Nicht zuletzt korreliert die Inanspruchnahme von Behandlungen auch mit der Dichte des Angebots – und die ist in Städten naturgemäß höher als in ländlichen Gegenden.

Sind psychische Erkrankungen heute salonfähiger als vor zehn Jahren?

Es gibt in jedem Fall einen Shift zu Psychothemen und eine Abnahme der Stigmatisierung. Heute spielen körperliche Belastungen in der Arbeitswelt nicht mehr eine so große Rolle wie beispielsweise in der Produktionsgesellschaft der 70er-Jahre. Wir haben kaum noch Probleme mit Hygienemängeln, die Arbeitsplatzbedingungen sind deutlich besser geworden. Krankheit steht immer auch im gesellschaftlichen Kontext.

Früher wurde beispielsweise die Krankheit Neurasthenie mit der Industrialisierung und der Verdichtung des Verkehrswesens begründet, heute sind es Digitalisierung und globale Vernetzung, die wir mit unseren psychischen Beschwerden in Verbindung setzen. Für viele gehört der Satz „ich bin gestresst“ mittlerweile zum guten Ton, insofern kann man schon sagen, dass psychische Leiden ziemlich en vogue sind.

Das zeigt auch der vor einigen Jahren inflationär benutzte Begriff des Burnouts …

Die Burnout-Diskussion ist auch eine Folge der veränderten psychiatrischen Diagnostik. Zu Zeiten als die Diagnoseklassifikation noch nach dem Systems ICD 9 lief, wurde das jeweilige Modell des Krankheitsentstehens in die Diagnose mit einbezogen. Eine Depression konnte beispielsweise eine Reaktion auf ein belastendes Ereignis sein, eine biologische Ursache haben oder Ausdruck eines biografischen Konflikts sein.

Heute haben wir mit dem ICD 10 eine beschreibende Diagnostik ohne Berücksichtigung der Ursache. Deshalb wird beispielsweise im öffentlichen Diskurs ein „leerer“ Depressionsbegriff an ein gesellschaftlich wahrgenommenes Unbehagen geknüpft und so gefüllt: „Arbeit macht krank“scheint eine logische Schlussfolgerung zu sein – das erklärt auch die rege Burnout-Diskussion in den letzten Jahren.

Sie setzen sich aktiv für betriebliche Prävention ein. Wie kann man sich vor psychischen Krankheiten schützen?

Wichtig ist, dass körperliche und seelische Warnzeichen rechtzeitig erkannt werden und das innere Gleichgewicht zwischen Beanspruchung und Regeneration bewahrt bleibt. Es ist zunächst Sache des Einzelnen, hierauf zu achten. Doch auch die Unternehmen tragen Verantwortung für die psychische Gesundheit ihrer Mitarbeiter. Workshops mit Führungskräften sind deshalb wichtig, um an den entscheidenden Stellen zu sensibilisieren.

 Im besten Fall steuert der Chef aktiv gegen, bevor der Mitarbeiter ernsthaft krank wird. Vor allem, wenn Change-Prozesse anstehen, rücken die Emotionen in den Vordergrund. Die für das Anpacken der Veränderung notwendige Motivation kann schnell in negativen Gefühlen von Angst, Wut und Resignation steckenbleiben. Daran scheitern entscheidende Veränderungsprozesse in Unternehmen."
Hans-Peter Unger ist Psychiater und Psychotherapeut, Chefarzt der Abteilung Psychiatrie und Psychotherapie in der Asklepios-Klinik Hamburg-Harburg.



Quelle. www.dak.de

3 Kommentare:

  1. "Im besten Fall steuert der Chef aktiv gegen, bevor der Mitarbeiter ernsthaft krank wird." Da kann ich bei Hugendubel nur lachen. das Gegenteil ist der Fall. Die vom Management durchgedrückten methoden machen krank.

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  2. Sehr interessantes Interview. Da die GL diesen Blog intensiv liest, wäre hier doch mal ein Ansatz zum Nachdenken gegeben. Aber das dürfte hoffnungslos sein.

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