Montag, 30. Juli 2018

Ein Gegengift für Streikende


Seid solidarisch!

Unsere Chefs lieben es nicht, wenn ihre Läden bestreikt werden. Das kann man verstehen. Doch zeugt es schon von einer geradezu erstaunlichen Unverfrorenheit, Beschäftigten mitten in Tarifauseinandersetzungen allen Ernstes einreden zu wollen, sie hätten keinen Grund zu streiken und wüssten daher auch gar nicht, wofür sie streiken. Dies sei nur dem schädlichen Einfluss ihrer Gewerkschaft geschuldet, die ein rein wirtschaftliches Interesse daran hätte, im Betrieb Unruhe zu stiften.
 
Als Begründung für die angebliche Überflüssigkeit von Tarifverträgen muss dabei meist die Behauptung herhalten, nachwirkende Tarifverträge und dynamische Bezugnahmeklauseln in Arbeitsverträgen würden doch völlig ausreichen. Leider fällt vielen Kolleginnen und Kollegen nicht immer gleich ein, was sie auf solche vergifteten Argumente erwidern sollen. Deshalb hier ein Gegengift für Streikende.


Wenn Tarifverträge in Kraft sind, gelten sie – wie es im Gesetz heißt – „zwingend und unmittelbar“ nur für Gewerkschaftsmitglieder: d.h. in deren Arbeitsverträgen kann nichts Abweichendes vereinbart werden. Wenn Tarifverträge ausgelaufen oder gekündigt sind, wirken sie nach: d.h. sie werden weiter angewandt, bis neue abgeschlossen sind – und zwar ebenfalls nur für Gewerkschaftsmitglieder.

Um in ihren Betrieben die Mitgliederzahl und Durchsetzungskraft der Gewerkschaften gering zu halten, zahlen Arbeitgeber aber meist alle Beschäftigten nach Tarif. Die Arbeitsverträge enthalten dann sogenannte Bezugnahmeklauseln. Sie besagen, dass auf die Arbeitsverhältnisse die Tarifverträge in der jeweils gültigen Form angewandt werden.

Wenn der Arbeitgeber jedoch mit Nachwirkungsregelung und Bezugnahmeklauseln argumentiert, um uns weiszumachen, ob es Tarifabschlüsse gebe und ob man Gewerkschaftsmitglied sei oder nicht, spiele keine Rolle, beißt sich die Katze in den Schwanz. Denn Nachwirkungsregelung und Bezugnahmeklauseln basieren letztlich auf geltenden Tarifverträgen, aber können sie nicht ersetzen.

Es ist daher ein Unterschied, ob Tarifverträge gelten oder nur nachwirken. Unser Arbeitgeber hat den Tarifvertrag ja nicht gekündigt, damit alles beim Alten bleibt. Er kann uns wegen der Nachwirkungsregelung und der Bezugnahmeklauseln das Weihnachts- und Urlaubsgeld, die Spätzuschläge und den erweiterten Kündigungsschutz zwar vorerst noch nicht streichen. Aber mit der Kündigung des Manteltarifvertrags und der Weigerung, ihn wieder in Kraft zu setzen, kommt er diesem Ziel näher.

Erfahrungsgemäß finden Arbeitgeber über kurz oder lang Mittel und Wege, nachwirkende Tarifverträge durch schlechtere Regelungen zu ersetzen oder Beschäftigte von der Nachwirkung auszuschließen. Außerhalb Bayerns hat (sich) auch Hugendubel diesbezüglich einiges geleistet. Arbeitsverträge sind dann schnell geändert und Bezugnahmeklauseln schnell verschwunden. Denn bald wird der Arbeitgeber wie jetzt schon bei Spätzuschlägen argumentieren, sie seien nicht mehr zeitgemäß.

Außerdem bedeutet dynamische Bezugnahme ja Anpassung der Gehälter an tariflich vereinbarte Entgelte. Die können aber nur steigen, wenn sie durch Abschluss neuer Entgelttarifverträge erhöht werden. Dasselbe gilt für Leistungen aus dem Manteltarifvertrag, die an die Höhe des im Entgelttarif geregelten monatlichen Arbeitslohnes geknüpft sind: also Weihnachts- und Urlaubsgeld oder Spätzuschläge.

Werden also keine Tarifverträge mehr abgeschlossen, arbeitest du ewig für dasselbe Gehalt, obwohl du dir immer weniger dafür kaufen kannst. Von „dynamisch“ kann hier keine Rede sein; „stagnierend“ wäre der treffendere Ausdruck. Legt man dabei die aktuelle Inflationsrate zugrunde, würde jeder Euro, den man heute verdient, in fünf Jahren weniger als 90 Cent und in zehn Jahren weniger 80 Cent wert sein.

Deshalb ist es auch ein Unterschied, ob wir Gewerkschaftsmitglieder sind oder nicht, Gewerkschaften sind Allianzen zur Durchsetzung der wirtschaftlichen Interessen abhängig Beschäftigter – und daher sehr wichtig. Sie funktionieren nach dem Prinzip: gemeinsam sind wir stärker. Tarifverträge lassen sich daher nur mit ihnen durchsetzen. Ohne sie gäbe es erst gar nichts und würde bald auch nichts mehr geben, worauf Klauseln Bezug nehmen könnten oder was nachwirken könnte.

8 Kommentare:

  1. Guter Kommentar.
    Wir brauchen einen geschlossenen Manteltarifvertrag und mehr Geld.
    Und ohne VERDI, Verdimitglieder und streikende Kollegen wird das NIX. Also streikt! Auch wenn es noch einigermassen geht in Bayern. Ausserhalb Bayerns zahlt Hugendubel schlechter, weil die Firma es dort kann...
    Streikt für Euch!!! Lasst Euch nicht einlullen von Prämien undsoweiter. Und lasst Euch nicht verunsichern von geplanten Umstrukturierungen

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  2. Sehr guter Beitrag! Wer glaubt, er käme ohne Tarifverträge klar, soll sich einfach ein Fünftel seines Monatsgehalts wegdenken. Dann weiß er wie er in zehn Jahren im allerbesten Fall dastehen wird.

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  3. Streiken!!!Streiken!Jetzt erst recht!

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  4. Besonders fies ist es, wenn Kollegen, die am Streik teilgenommen haben, dann ins Büro zitiert werden und darauf hingewiesen werden, dass befristete Verträge auch auslaufen können, wenn man Zweifel an der Loyalität zur Firma hat. Das ist das letzte.

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    1. Das muss man sich aber nicht gefallen lassen. Wenn das mit mir einer versucht, geht es ihm schlecht. Das verspreche ich euch!

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    2. So ein Schmarrn! Wenn unsere Bosse Personal abbauen, fragen sie nicht lang, ob du loyal warst oder nicht. Dann werden die einen vor die Tür gesetzt, weil sie nicht loyal waren, und die anderen, obwohl sie loyal waren. Aber weg bist du in jedem Fall. So schaut's aus!

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