Der Urlaubsanspruch fiel nicht vom Himmel, sondern wurde von Gewerkschaften erkämpft
Wer arbeitet, muss sich auch erholen. Sonst versiegen allmählich die Kräfte von Körper, Geist und Seele. Im Gegensatz zu den Fabrikherren anno 1850 und manchem Sklaventreiber des 21. Jahrhunderts wussten das schon die Steinzeitmenschen vor 20.000 Jahren. Wenn die erschöpft von den Anstrengungen der Jagd aus der Wildnis zurückkamen, haben sie sich erst einmal gründlich ausgeruht, um sich zu stärken und den Kopf wieder klar zu kriegen für die nächste Safari. In der Antike, zum Beispiel bei den alten Griechen und im Rom der Zeitenwende vor 2000 Jahren, war selbst vielen Sklavenhaltern klar, dass sie ihre Zwangsarbeiter nur dann auf Dauer ausbeuten konnten, wenn sie ihnen hinreichend freie Tage und Ruhepausen zur Erholung gönnten. Nur so konnten die Aristokraten selber dem Müßiggang frönen und sich der Politik und den schönen Künsten widmen.
Sechs-Tage-Woche nach der Bibel
Im Alten Testament heißt es: „Sechs Tage sollst Du arbeiten, am siebten Tag aber sollst Du ruhen.“ Mit der Ausbreitung des Christentums in Europa prägte dieser frühe Grundsatz einer Sechs-Tage-Arbeitswoche zunehmend das Leben der Menschen. Allerdings wurden sie an ihren freien Sonntagen und zu etlichen Feiertagen von der Priesterschaft regelmäßig zu allerlei religiösen Zeremonien einbestellt. Weil sie aber auch mal ihr eigenes Ding machen und ihre Angelegenheiten unter sich besprechen wollten, forderten in deutschen Landen die Handwerksgesellen im Mittelalter von ihren Meistern den Blauen Montag („blau“ bedeutete: gut) als arbeitsfreien Tag. Oft konnten sie nur den halben Montag als „Zeit des Müßiggangs“ durchsetzen, und auch der blieb umkämpft bis ins 19. Jahrhundert hinein.
16 Stunden am Tag, Kinder 12 Stunden, 52 Wochen im Jahr
Mit der Industrialisierung, der Einführung der Fabrikarbeit, sahen sich die Menschen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gezwungen, immer mehr und immer länger zu arbeiten, 16 Stunden am Tag (Kinder zwölf Stunden), 52 Wochen im Jahr. Die Unternehmer gierten geradezu nach der Ware Arbeitskraft. Viele Feiertage wurden abgeschafft, allmählich wurde auch der Sonntag zum Arbeitstag. Erst 1895 wurden 24 Stunden Sonntagsruhe gesetzlich angeordnet. Mit der bürgerlichen Revolution in Deutschland 1848 hatten auch viele Arbeiter (und alsbald auch Angestellte) unterschiedlicher Branchen begonnen, ihre Interessen gemeinsam zu vertreten, also: sich in Gewerkschaften zu organisieren. Im Vordergrund stand aber noch viele Jahrzehnte die Lohnfrage. Es ging darum, so viel Einkommen aus dem Verkauf der Arbeitskraft zu erzielen, dass das eigene Überleben und das der Familie gesichert war. Und es galt, die unmenschlich langen täglichen Arbeitszeiten zu reduzieren. Das Ziel war der Acht-Stunden-Tag.
„Erholungsurlaub für Arbeiter!“
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts gewährten einzelne Arbeitgeber einzelnen Arbeitern, Angestellten und Beamten zwei, drei, maximal sechs Tage Urlaub – im Jahr! Der Begriff „Urlaub“ kommt übrigens aus dem hochherrschaftlichen und militärischen Sprachgebrauch („urloup“) und bedeutet zum Beispiel: die „Erlaubnis“ des Fürsten, sich „von Hofe“ oder „von der Truppe entfernen zu dürfen“ – eine Art Gnadenakt. Von einem verbrieften Recht auf arbeitsfreie Tage wagte noch kaum jemand zu träumen. Die erste tarifvertragliche Urlaubsregelung erstreitet dann aber doch – im Jahre 1903 in Stuttgart und in Thüringen – der Zentralverband deutscher Brauereiarbeiter: drei freie Tage im Jahr. Bewegung in Richtung Tarifurlaub gab es auch bei den Gemeinde- und den Staatsarbeitern, den Buchdruckern, den Transportarbeitern, den Eisenbahnern. Und 1907 forderte der Buchdrucker Ludwig Rexhäuser erstmals an prominenter Stelle, nämlich im „Correspondenzblatt“ der Gewerkschaften: „Erholungsurlaub für Arbeiter!“
„Man darf heute das Wort aussprechen, das vor Jahrzehnten noch mit einem Hohngelächter aufgenommen worden ist: Wir verlangen, dass die Arbeiter Ferien bekommen, Urlaub mit voller Zahlung des Lohns.“
(Emanuel Wurm, SPD-Abgeordneter, im Reichstag 1912)
Wie utopisch dieses Verlangen zu Beginn des vorigen Jahrhunderts, vor gerade einmal 100 Jahren aber noch erschien, macht eine Bemerkung des SPD-Abgeordneten Emanuel Wurm am 28. Februar 1912 im Reichstag deutlich: „Man darf heute das Wort aussprechen, das vor Jahrzehnten noch mit einem Hohngelächter aufgenommen worden ist: Wir verlangen, dass die Arbeiter Ferien bekommen, Urlaub mit voller Zahlung des Lohns.“ Auch für die abhängig Beschäftigten war Urlaub etwas Unvorstellbares: Ein Vorarbeiter, der 1916 bei der AEG in Berlin nach zwanzigjähriger Tätigkeit erstmals vier Tage Urlaub erhielt, kam argwöhnisch jeden Tag mittags in den Betrieb und prüfte nach, ob jemand anderes seinen Arbeitsplatz übernommen hatte. Ludwig Rexhäuser und Emanuel Wurm bleiben aber bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs Stimmen einer absoluten Minderheit. Umso stärkeren Aufschwung nimmt die gewerkschaftliche Forderung, nachdem Deutschland den Krieg verloren und die Kräfteverhältnisse zwischen Kapital und Arbeit sich verschoben hatten. 1929 gibt es schon 8.000 Tarifverträge, in denen bezahlter Erholungsurlaub geregelt wird, wenn es oft auch nur wenige Tage sind.
Endlich: Recht auf Urlaub
Nach der Befreiung vom Faschismus 1945 nehmen die meisten westdeutschen Länder den Anspruch auf zwei Wochen Mindesturlaub in ihre Verfassungen auf. 1951 wird in der DDR durch eine Urlaubsverordnung das in der Verfassung festgeschriebene Recht auf Urlaub umgesetzt. In der Bundesrepublik Deutschland gilt von 1963 ein einheitliches Bundesurlaubsgesetz, das allen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern einen Mindesturlaub von drei Wochen zusichert. In den sechziger und siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts gelingt es den bundesdeutschen Gewerkschaften in fast allen Branchen, den gesetzlichen Mindesturlaub durch tarifrechtliche Regelungen auszudehnen; 1975 haben fast die Hälfte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Anspruch auf vier Wochen Tarifurlaub. 1977 beträgt der durchschnittliche Anspruch auf Tarifurlaub 24 Tage.
Und Urlaubsgeld dazu
In der Druckindustrie kann die Industriegewerkschaft Druck und Papier 1966 erstmals – über die Fortzahlung des üblichen Lohns hinaus – ein zusätzliches Urlaubsgeld durchsetzen. In der Folge gelingt das den Gewerkschaften auch für viele andere Branchen, 1977 zum Beispiel für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst. 2012 erhalten 59 Prozent aller Beschäftigten mit Tarifbindung Urlaubsgeld. Ein entscheidender Durchbruch in Richtung sechs Wochen Tarifurlaub gelingt 1979 den Beschäftigten der westdeutschen Eisen- und Stahlindustrie. Eigentlich wollte die Industriegewerkschaft in dieser Branche die Tür aufstoßen zum Einstieg in die Verkürzung der Wochenarbeitszeit von 40 auf 35 Stunden. Trotz eines wochenlangen Streiks blieben die Unternehmer aber hartnäckig, mussten aber einen für die Streikenden attraktiven Kompromiss eingehen: sechs Wochen Tarifurlaub in der Stahlindustrie – heutzutage Standard in fast allen tarifgebundenen Branchen und Betrieben. Der gesetzliche Urlaubsanspruch hinkt – trotz seiner Verlängerung auf vier Wochen – dauerhaft hinterher. Und kürzere Wochenarbeitszeiten konnten später dennoch erkämpft werden.
Ein unverwechselbarer Erfolg der Gewerkschaften
Sechs Wochen Tarifurlaub als Rechtsanspruch der Gewerkschaftsmitglieder – für viele die „kostbarste Zeit des Jahres“ – bleiben ein unverwechselbarer Erfolg konsequenter Tarifpolitik der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) und der anderen DGB-Gewerkschaften. Und sie sind der Beweis dafür, dass sehr wohl Wirklichkeit werden kann, was lange als Utopie gilt.
Text: Henrik Müller/ver.di
Quelle: https://www.verdi.de/themen/arbeit/aktionswoche-urlaub-2013/++co++0b790800-c84e-11e2-9c0c-52540059119e
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