oder die Wurzeln der Torheit
Wer nach den Wurzeln dessen fragt, was wir Abendland nennen, wird zunächst an das antike Rom oder Athen denken. Er wird aber auch auf zwei Orte der Erinnerung außerhalb Europas stoßen: Jerusalem und Damaskus. Es gilt das Dichterwort des Horaz: "ex oriente lux" - und besagt ungleich mehr, als nur dass im Osten die Sonne aufgeht.
Das mag vielleicht mit ein Grund sein, wenn heute - in Zeiten des Kulturalismus und Kulturrassismus - gerade dort, wo die geistige Tradition des Westens vermutlich noch am lebendigsten ist, die Furcht vor der vielbeschworenen >Überfremdung< durch Muslime und Ausländer kaum eine Rolle spielt: in den Kirchen. Vorbei die dunklen Tage, da Priester von der Kanzel herab zum Kreuzzug aufriefen; stattdessen wird vom Ambo aus Menschlichkeit und Toleranz gepredigt. Europas letzte Christen scheinen die letzten Aufklärer zu sein. Fehlte nur noch, dass Devisen wie trinité egalité fraternité Bischofswappen zierten - Voltaire hätte seine helle Freude!
Woraus um Himmels Willen resultiert aber dann jene Xenophobie und (vornehmer) Islamophobie, die mit Nationalisten und Rechtspopulisten aller Art die wundersamsten und gefährlichsten Bündnisse schließt? Der besorgte Bürger kommt weder unter dem Banner des Christentums noch im Namen der Aufklärung besonders glaubwürdig daher: er ist - frei nach Emmanuel Todd gesprochen - ein Zombie. Ihn treiben bestenfalls irrationale Ängste, deren ein vernunftbegabter und zivilisierter Mensch gefälligst Herr zu werden hat. Und es braucht nicht viel Scharfsinn, sein Credo an westliche Werte und Kultur als bloßes Instrument ihrer Perversion zu entlarven.
Des Pudels Kern - so versucht Huffington-Chefin Sabrina Hoffmann mit ihrem Buch Die neuen Asozialen zu zeigen - liege in der >Dummheit< einer geistig zurückgebliebenen Unterschicht: einer "Gruppe von Menschen, die wir nicht in die Moderne mitgenommen haben." Wie jedoch passt diese Deutung zum Minister, der um die 0,1 Promill vollverschleierter Frauen zum nationalen Sicherheitsrisiko erklärt? Zur Redakteurin, die hinter jedem Niqab eine islamistische Verschwörung gegen Demokratie und Menschenrechte wittert? Zur Frauenrechtlerin, die ein intellektuell verbrämtes und feministisch aufgehübschtes Muselmanenhasser-Lesebüchlein herausgibt?
Unvernunft war nie Privileg der Minderprivilegierten - und Grausamkeit noch weniger. Sie allein hätten - auch angesichts der sogenannten "Flüchtlingskrise" - schwerlich geschafft, in unserer Wirschaffensnicht-Gesellschaft unter dem Titel des Bürgersinns einen offen fremdenfeindlichen Diskurs zu etablieren und salonfähig zu machen, der zwischen den Lagern kaum viel mehr strittig hält als das Quantum der auszuübenden Repression und Restriktion. Dies war wesentlich das Werk alteingesessener Eliten in Regierung und Opposition - und eigentlich liegt sogar ein Hauch poetischer Gerechtigkeit darin, dass es ihnen seither bei jeder Wahl auf die Füße fällt.
Ob Sabrina Hoffmanns Diagnose dem neuen und weithin überparteilichen Idiotismus und Obskurantismus, der augenblicklich im gesamten Westen zunehmend um sich greift, substantiell gerecht wird, scheint demgemäß zweifelhaft. Seine Verortung am Rand der Gesellschaft marginalisiert zugleich mit den Akteuren das Problem selbst. Ähnlich wie es bei Emmanuel Todd durch die Reduktion auf ein konfessionell geprägtes Wiedergängertum quasi - als Fossil und Relikt vergangener Epochen - höflich unserer Gegenwart verwiesen ist: "ita sunt altae stirpes stultitiae" - so tief reichen die Wurzeln der Torheit.
Was wir jedoch aktuell beobachten, deutet eher auf eine historische, soziale und politische Negativentwicklung hin, die nicht nur Mainstream ist, sondern leider durchaus auch zeitgemäß und vorwärts gerichtet. Es könnte sich - kurz gesagt - um genau das handeln, für das man es am allerwenigsten halten soll: einen Schritt auf dem Weg des globalen Kapitalismus, der sich anschickt, seinen Überbau - die zivilisatorischen Voraussetzungen seines Entstehens und Bestehens - zu liquidieren, in Chaos und Barbarei. Der vom westlichen Sorgenbürger beklagte Kontrollverlust wäre folglich real, die vorgeschobenen Ursachen und Lösungen mythologisch.
Zu einfach? - Mag sein! Aber so ließe sich zumindest erklären, warum unsere desillusionierten Möchtegern-Herrenvölker - diametral zum ureigensten Individualismus - plötzlich vehement auf kollektive Identität pochen. Sie waren nicht nur Profiteure der von ihnen ausgehenden Expansionsprozesse, sondern durften sich dabei auch als Vorkämpfer für Freiheit und Fortschritt gefallen. Wen wundert, dass sie jetzt - im Katzenjammer der Globalisierung - unter dem schönen Schein desselben idealischen Selbstbildes ihre kleinkarierten bis symbolischen Verteilungs- und Abwehrkämpfe inszenieren? Große Geschichte wiederholt sich eben - und wie Marx schrieb: als Farce.
Mit Kultur jedenfalls hat all diese narzisstische Wehleidigkeit und Feindseligkeit gegen Ärmere und Schwächere rein gar nichts zu tun. Mit Aufklärung oder Toleranz natürlich auch nicht! Und mit Demokratie oder Humanität erst recht nicht!
Das ist wieder mal das typische linksintellektuelle Kochrezept. Man werfe alles in einen Topf, rühre kräftig durch, und heraus kommt, dass der Kapitalismus an allem Schuld ist. Ich möchte bitte mal wissen, was irgendeine globale Firma dafür kann, wenn bei uns plötzlich eine halbe Million Flüchtlinge vor der Tür stehen, die aus einem anderen Kulturkreis stammen und nicht wissen können, wie es bei uns läuft. Und dann auch noch den etablierten Parteien die Schuld zu geben, wenn deshalb ein paar ausgeflippte Halbnazis durchdrehen, das ist wirklich der Gipfel. Irgendjemand muss sich ja schließlich Gedanken machen, wie man diese ganze Menschenflut kanalisieren kann. Deshalb ist man doch wohl noch längst kein Rassist.
AntwortenLöschenDoch: man ist einer! Denn von "plötzlich vor der Tür stehen" kann gar keine Rede sein. Und dass unsere Regierung darauf nicht vorbereitet war, liegt unter anderem daran, dass sie lieber den Reichen Steuergeschenke gemacht hat, als die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen. Stattdessen würgt man Asylanten durch Integrationsgesetze, die eigentlich Ausgrenzungsgesetze sind, unter dem Beifall eines Großteils der Bevölkerung jetzt eins rein, wo man nur kann.
LöschenUnd dass das Gefühl dieser Bevölkerungsteile, dass Staaten die Kontrolle verlieren, nicht ganz unberechtigt ist, sieht man am besten an den Geheimverhandlungen der EU über internationale Freihandelsabkommen. Das Problem ist nur, dass sie sich den falschen Schuldigen suchen, nämlich Flüchtlinge und Migranten, und dass daran die wahren Schuldigen ein Interesse haben.
Wenn ein Großteil der Bevölkerung solche Integrationsgesetze will, ist es dann nicht Aufgabe der Regierung, solche Gesetze zu verfassen und zu beschließen?
LöschenNatürlich können Politiker von Parteien, die nicht regieren, und viele Menschen, die nix zu entscheiden haben, wohlfeil behaupten, daß kein Mensch illegal und jeder willkommen sei. Leider ist dieses unser Land weder reich noch groß genug, um diesen Anspruch umzusetzen. Wir können einer großen Zahl von Neubürgern eine neue Zukunft bieten, sicherlich nicht einer unbegrenzten. Daß diese Fakten auch von Gabriel und Wagenknecht gegen eine "christlich-demokratische" Kanzlerin vorgebracht werden, sollte doch zu denken geben.
Um zum Artikel was zu schreiben. Überfremdung kann bei den Kirchen kaum ein Thema sein. Bei dem Anteil von Kirchgängern an den Kirchenangehörigen (oder gar an der Gesamtbevölkerung) sind sie selber fremd. Wohingegen die Moscheen, in denen zum Teil mit Geldern aus der Türkei und den kapitalistisch-religiösen Ölstaaten seltsame Dinge gepredigt werden, immer gut besucht sind. Ist das nicht be-fremd-lich? Fast so befremdlich wie die gerade angekündigte gendergerechte Neuübersetzung einer katholischen Bibelausgabe. Früher waren Bibel und Liturgie lateinisch und gut war.
Wenn ein Großteil der Bevölkerung will, dass man Hexen verbrennt, ist es da nicht die Aufgabe der Regierung, Hexen zu verbrennen? Natürlich nicht!
LöschenDer Demokratiebegriff der hier vorausgesetzt wird, entspricht etwa dem der griechischen Polis zur Zeit, als Sokrates sterben musste, oder dem heutigen der Muslimbrüder. Eine moderne westliche Demokratie funktioniert ein bisschen anders - und man weiss das auch schon seit den Tagen, als J. Mill On Liberty schrieb. Unsere Demokratien haben Verfassungen. Sie sind keine Mehrheitsdiktaturen, sondern Rechsstaaten, die auch die Minderheiten vor der Mehrheit schützen. Unsere Verfassung sieht übrigens sogar ein Recht auf Widerstand vor - und zwar nicht für den Fall, dass eine Regierung nicht dem Mehrheitswillen folgt, sondern für den Fall, dass sie gegen diese rechtsstaatlichen Prinzipien verstösst.
Unsere Demokratien? Wie viele genau hast Du denn? Oder willst Du etwa das deutsche System mit Frankreich vergleichen oder anderen Gebilden, durch die wir mit der Zwangs_EG verbunden sind. Genau genommen ist unser Staat eine Minderheitsdiktatur, eine abgehobene politische Klasse deifiniert unbrauchbare Mindestlöhne, verwehrt sich gegen Zuwanderungsregeln, läuft CETA und TTIP hinterher und vermag es nicht, Mini-Diktatoren wie Erdogan die Stirn zu bieten. Das alles ginge besser, wenn sich die großen udn viele kleine Parteien nicht in diesen Pumkten einig wären.
LöschenWenn du was gegen die EU und die Mindestlohnpolitik hast, sei dir das unbenommen. Ich habe aber gar nicht gesagt, dass ich das alles gut finde. Ich habe auch nicht gesagt, dass es nicht verschiedene Verfassungen gäbe, oder dass unsere Gesellschaften besonders gerecht und egalitär wären - und erst recht nicht, dass man daran, dass sie es nicht sind, nichts ändern solle. Und ich habe nicht gesagt, dass eine reiche Minderheit über eine ärmere Mehrheit herrschen darf. Ich habe nur gesagt, was man heute in unseren Breiten im allgemeinen unter Demokratie versteht - und dass sich das ganz deutlich von dem unterscheidet, was die Leute darunter verstehen, die meinen, sie bräuchten bloß laut genug schreien, Wir sind das Volk, und alle Albträume müßten wahr werden. Außerdem verstehe ich nicht, was an Erdogan überhaupt zu kritisieren wäre, wenn es in der Demokratie nur um Mehrheiten ginge. Denn die hat er ja. Also kommt es offensichtlich noch auf ein paar andere Dinge an. Du kannst es auch so sehen: Freiheit ist immer die des Andersdenkenden. Daran ist meines Wissens weder etwas Unsozial(istisch)es noch etwas Undemokratisches!- PS: das nächste mal bitte ein bißchen genauer lesen und dann erst kritisieren! Ich finde es nämlich verdammt anstrengend, alles aufzulisten, was ich nicht gesagt habe. Es wäre andersherum wesentlich ökonomischer!
LöschenAlso wir glauben auch nicht, dass es Demokratie ist, wenn die Regierung rassistische Ressentiments bedient - EU oder Mindestlohn hin oder her. Uns zieht es die Socken aus, wenn wir im Zusammenhang mit Flüchtlingen und Asylrecht Sätze lesen wie: "Leider ist unser Land weder reich noch groß genug, um dies umzusetzen." Deutschland ist das reichste und das größte Land in Europa. Das Problem ist doch wohl eher, dass ein paar Prozent der Bevölkerung so viel gehört wie allen übrigen zusammen - und dass das auch so gewollt ist.
Löschen(Dass es nicht für alle reicht, wenn einer alles nimmt, ist natürlich klar. Hier läge in einer Demokratie, wenn sie langfristig funktionieren soll, die wirkliche Aufgabe der Politik: das abzustellen, statt den Ärmsten der Armen auch noch das Leben schwer zu machen.)
Aber selbst die immer größere Ungleichheit ist noch für nichts eine Entschuldigung. Denn es ist überall in Europa so, dass Gleichheit nur noch auf dem Papier steht. In anderen europäischen Ländern wurden aber trotzdem im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung wesentlich mehr Flüchtlinge aufgenommen als bei uns: z.B. in Malta oder auch in Ungarn.
Bei uns waren die ersten kaum angekommen, da haben die ersten Bierdimpfl schon nach der Obergrenze geschrien. Der Autor des Artikels hat völlig Recht, wenn er von einer total egoistischen "Wirschaffensnicht-Gesellschaft" spricht. Der größte Witz dabei ist dann auch noch der, dass unsere Politiker zugleich überlegen, wie sie überschüssige Steuermilliarden an den sogenannten Mittelstand verteilen sollen. Vielleicht sollte man die beiden Seiten der Medaille (zu viel Geld hier und zu wenig Geld da) mal irgendwie miteinander in Verbindung bringen.
Wenn ich mir das ganze Traktätchen mit seinen lateinischen Einsprengseln und der Lobeshymne auf die Kirchen so ansehe, kann ich mir ungefähr vorstellen, welcher von unseren Jungs mit Hornbrille dahinter steckt, und ich verspüre eine gewisse Genugtuung darüber, dass er diesmal sogar indirekt zugibt, dass seine heiss und innig geliebte Ecclesia Catholica Et Apostolica wieder mal den Entwicklungen hinterher hinkt. Damit dass es keine erfreulichen Entwicklungen sind, hat er allerdings Recht.
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