Montag, 3. November 2014

Sicherung der Betriebsverfassung gegen marktradikale Angriffe

 Hans Böckler Stiftung: Mehr Rechte für Betriebsräte

Leiharbeit, Werkverträge, Leistungsverdichtung: Damit Betriebsräte besser agieren können, verlangen Betriebsverfassungsrechtler und Gewerkschafter eine Modernisierung der Mitbestimmung.

Der Schutzschirm der Mitbestimmung, sagt Dietmar Hexel, ist löchriger, als man denkt. Und die Löcher, warnt das DGB-Vorstandsmitglied, werden größer: Nach Angaben des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) wurden 2011 nur noch 44 Prozent der Beschäftigten in der westdeutschen Privatwirtschaft von einem Betriebsrat vertreten und 36 Prozent im Osten. Sechs Jahre zuvor hatten die Werte noch um jeweils drei Prozentpunkte höher gelegen. Und die Tendenz, so die Forscher, ist weiter fallend. "Äußerst bedenklich" findet das Hexel - und fordert den Gesetzgeber zum Gegensteuern auf. Nicht nur gestopft werden müsse der Schutzschirm, sondern ausgedehnt.

Seit der letzten Reform des Betriebsverfassungsgesetzes durch die rot-grüne Bundesregierung 2001 sind zwölf Jahre ins Land gegangen, in denen sich die Arbeitswelt massiv gewandelt hat - und das nur selten zum Wohle der Arbeitnehmer. Das Drängen der Arbeitgeber auf Flexibilisierung hat die Zahl der Leiharbeiter ebenso explodieren lassen wie den Anteil befristet Beschäftigter. Zudem beklagen die Gewerkschaften in jüngster Zeit einen Boom bei Werkverträgen: Immer mehr Betriebe würden einzelne Tätigkeiten - von Entwicklungsaufgaben in der Automobilindustrie bis zum Regal einräumen im Supermarkt - an Werkvertragsunternehmen oder Solo-Selbstständige auslagern, um Tarifverträge und Sozialstandards zu umgehen. "Durch die zunehmende Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse droht die betriebliche Mitbestimmung an ihren Rändern weiter auszufransen", sagt Hexel. Denn bislang würden diese Beschäftigungsformen von der Betriebsverfassung allenfalls unzureichend erfasst. Wenn überhaupt.


FREMDBESCHÄFTIGUNG UNTERGRÄBT MITBESTIMMUNG

Nach dem Willen des DGB und seiner Mitgliedsgewerkschaften soll sich das ändern. Im vergangenen Jahr zur Bundestagswahl haben sie deshalb eine Debatte über die Modernisierung der betrieblichen Mitbestimmung angestoßen. "Es ist unverändert die originäre Verantwortung des Gesetzgebers, die Voraussetzungen für faire Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt zu schaffen", erklärt Michael Vassiliadis, Vorsitzender der IG Bergbau, Chemie, Energie, die ihre Reformvorschläge im Dezember öffentlich präsentierte. Zentrale Forderung: Jegliche Form der Fremdbeschäftigung, ob per Leiharbeit oder Werkvertrag, soll zwingend mitbestimmungspflichtig werden. Folgerichtig sollen auch Beschäftigte mit Werkvertrag (nicht nur Leiharbeiter wie bisher) den Betriebsrat mitwählen dürfen, wenn sie seit mehr als drei Monaten im Betrieb tätig sind. Und: Fremdbeschäftigung soll mitzählen, wenn es um die Größe der Belegschaft geht - und damit um die Größe des Betriebsrats sowie die Anzahl freigestellter Mitglieder. Dass mittlerweile in zahlreichen Unternehmen neben dem Stammpersonal "Parallelbelegschaften" mit schlechterer Bezahlung und weniger Rechten geschaffen wurden, ist eben nicht nur tarifpolitisch fragwürdig. Es schwächt nach derzeitiger Gesetzeslage auch die betriebliche Interessenvertretung. Immerhin: Nach einer aktuellen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts, das damit seine bisherige Rechtsprechung aufgab (siehe Seite 8), müssen nun Leiharbeiter bei der Berechnung der Betriebsratsgröße im Entleiherbetrieb berücksichtigt werden. Für Werkvertragsbeschäftigte aber gilt das nach wie vor nicht.

Die Forderungen der IG BCE treffen bei Thomas Klebe auf offene Ohren. "Man muss dem Betriebsrat das Recht geben, bei jeder Beschäftigung im Betrieb nach § 99 des Betriebsverfassungsgesetzes mitzubestimmen", sagt der Justiziar der IG Metall. Das hieße: Wie bei jeder anderen Einstellung müssten Arbeitgeber auch vor der Beschäftigung von Werkvertragnehmern das Okay der Arbeitnehmervertretung einholen. Und der Betriebsrat könnte diese Zustimmung verweigern - unter anderem dann, wenn Nachteile für andere Arbeitnehmer zu befürchten sind. Bislang haben Betriebsräte keinerlei Handhabe, um Outsourcing und Lohndumping per Werkvertrag zu verhindern. Sofern es sich nicht um Scheinwerkverträge handelt (um illegale Arbeitnehmerüberlassung also), können sie sich lediglich auf ihr allgemeines Informationsrecht berufen.

Künftig sollen sie auch Nein sagen können. Damit das nicht ins Leere läuft, wäre, so Klebe, allerdings noch ein Schlupfloch zu stopfen: Die Regelung, dass Arbeitgeber personelle Maßnahmen in dringenden Fällen auch ohne Zustimmung des Betriebsrats vorläufig umsetzen dürfen, sei auf wirkliche Ausnahmefälle zu beschränken - "am besten auf Notfälle". Sonst würde das bei den kurzfristigen Einsätzen, um die es bei Leiharbeit und Werkverträgen ja nicht selten geht, einem Freifahrtschein zum Umgehen der Mitbestimmung gleichkommen.

Die Differenzierung zwischen verschiedenen Beschäftigungsformen möchte der Gewerkschafter aber auch in weiteren Bereichen aufheben - etwa was die Rechte des Betriebsrats in puncto Arbeitsschutz, Sozialeinrichtungen oder Überwachung am Arbeitsplatz betrifft. "Da kann man nicht sinnvoll trennen zwischen der Stammbelegschaft und Fremdbeschäftigten", sagt Klebe. Und er geht sogar noch einen Schritt weiter: Schon die Frage, ob es überhaupt Fremdbeschäftigung im Betrieb geben soll, dürfe nicht länger ohne Beteiligung der Arbeitnehmervertreter beantwortet werden. "Der Betriebsrat ist ja kein Sozialklempner, sondern sollte auch bei wirtschaftlichen Angelegenheiten mitreden", sagt der IG-Metall-Justiziar - und verlangt deshalb Mitbestimmungsrechte bei geplanter Fremdvergabe sowie, ganz grundsätzlich, bei Arbeitsorganisation und Personalplanung.


ZUSTÄNDIGKEITEN DES BETRIEBSRATS

Dem Arbeitsrechtler Peter Hanau würde eine pauschale Ausweitung des Betriebsverfassungsgesetzes auf sämtliche Fremdbeschäftigten indes zu weit gehen. Dafür sei das Spektrum der Werkverträge zu groß, sagt der Emeritus an der Universität Köln. Es mache schließlich einen Unterschied, ob sporadisch Fremdleistungen eingekauft würden - beispielsweise durch den Auftrag an einen Handwerksbetrieb, das Fabrikdach neu zu decken oder ein Büro zu renovieren. Oder ob eine Kernaufgabe dauerhaft an ein auf dem Betriebsgelände tätiges Subunternehmen vergeben werde, "sodass die Arbeitnehmer des Betriebes und die Fremdfirmenarbeitnehmer austauschbar erscheinen", erklärt Hanau. Kriterien für eine "präzise Abgrenzung" zu finden sei jedoch schwierig. Nur eine Gruppe lässt sich nach Ansicht des Rechtswissenschaftlers schon jetzt so klar bestimmen, dass sie in die Betriebsverfassung des Einsatzbetriebs integriert werden sollte: die Freiberufler, die überwiegend in einem Unternehmen tätig sind. Das neue Personalvertretungsrecht in Nordrhein-Westfalen beziehe sie als "arbeitnehmerähnliche Personen" bereits mit ein. "Es ist überfällig, diesen Schritt auch im Betriebsverfassungsrecht zu tun", sagt Hanau. "Einen Gutteil der Werkvertragsproblematik kann man damit lösen."

Ein zweiter Reformvorschlag des Kölner Juristen zielt auf eine weitere stetig wachsende Gruppe flexibel Beschäftigter: Vor der Nichtverlängerung eines befristeten Arbeitsvertrags sollten Arbeitgeber den Betriebsrat anhören müssen - so wie bei einer Kündigung auch. "Obwohl die Wirkung für den Arbeitnehmer ja die gleiche ist, fehlt dem Betriebsrat bei Befristungen bisher jede Zuständigkeit", moniert Hanau. Keine Revolution will er, sondern die behutsame Anpassung des Betriebsverfassungsgesetzes an eine veränderte Arbeitswelt. Auch die dritte Idee, die der Arbeitsrechtler in der Debatte um die Modernisierung der Mitbestimmung einbringt, folgt diesem Prinzip: Vor dem Hintergrund der zahlreichen Überwachungsskandale der vergangenen Jahre möchte er den Einfluss des Betriebsrats beim Arbeitnehmerdatenschutz stärken. Derzeit sind Maßnahmen zur Verhaltens- oder Leistungskontrolle der Beschäftigten zwar mitbestimmungspflichtig, doch die einschlägige gesetzliche Vorschrift knüpft das an die "Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen". "Das", sagt Hanau, "sollte man einfach streichen." Denn dann wären auch alle anderen Methoden der Ausforschung und Überwachung - wie etwa der Einsatz von Detektiven - ohne Zustimmung des Betriebsrats unzulässig. Schnüffeleien am Arbeitsplatz zu verhindern ist ein Mosaikstein der "Guten Arbeit", die sich die Gewerkschaften als Ziel auf die Fahnen geschrieben haben - und nun auch im Betriebsverfassungsgesetz verankern wollen.


ERHALT DER ARBEITSKRAFT

"Die steigende Zahl psychischer Erkrankungen am Arbeitsplatz ist Ausdruck einer zunehmenden Überforderung vieler Beschäftigter", sagt IG-BCE-Chef Michael Vassiliadis. "Wir brauchen einen Paradigmenwechsel vom Verbrauch zum Erhalt der Arbeitskraft." Betriebsräte müssten deshalb mehr Rechte bekommen, um den Gefahren von Leistungsverdichtung, permanenter Erreichbarkeit oder ständig wachsendem Zeitdruck begegnen zu können. Ihr gesetzlicher Aufgabenkatalog sei um die Bewahrung von Gesundheit und Arbeitsfähigkeit der Beschäftigten zu erweitern. "Das Prinzip der Prävention soll künftig stärker die Betriebsratsarbeit prägen", erklärt Vassiliadis. Und mehr noch: Weil langfristig nur beschäftigungsfähig bleibt, wer sich weiterbildet, sollen Arbeitnehmervertreter grundsätzlich auch die Initiative für betriebliche Qualifizierungsmaßnahmen ergreifen können.

All das funktioniert aber bloß dort, wo es einen Betriebsrat gibt. Für DGB-Vorstand Hexel muss es bei einer Weiterentwicklung der betrieblichen Mitbestimmung deshalb nicht zuletzt darum gehen, die, wie er es ausdrückt, "betriebsratslose Zone zu verkleinern". Um das zu erreichen, sei unter anderem das vereinfachte Wahlverfahren auf Unternehmen mit bis zu 100 wahlberechtigten Arbeitnehmern auszudehnen und das Betriebsverfassungsgesetz an die Strukturen transnationaler Konzerne anzupassen, beispielsweise durch die obligatorische Gründung eines Konzernbetriebsrates - und zwar auch dann, wenn das Mutterunternehmen seinen Sitz im Ausland hat. Befristet beschäftigte Betriebsratsmitglieder sollten Anspruch auf Übernahme in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis bekommen. Und: Es bedürfe eines besseren Schutzes von Arbeitnehmern, die einen Betriebsrat gründen wollen, vor Schikanen der Unternehmensführung. "Bestimmte Arbeitgeber und deren Rechtsanwälte beugen tagtäglich in einzelnen Betrieben das Recht und verhindern oder behindern Betriebsratswahlen und Betriebsratstätigkeit", sagt Hexel. Das Instrumentarium reiche von negativer Stimmungsmache in der Belegschaft und Beleidigungen in sozialen Netzwerken über Zermürbung durch ungerechtfertigte Abmahnungen, Bespitzelung und ständiges Prozessieren bis zu Entlassungen aus fadenscheinigen Gründen. Von "Willkür, Mobbing und Psychoterror" spricht Hexel. "Das darf nicht geduldet werden." Um gewählten Betriebsräten die Arbeit zu erleichtern und sie unabhängiger vom Wohlwollen des Arbeitgebers zu machen, sollen sich Arbeitnehmervertreter zudem einfacher externen Sachverstands bedienen können, wenn das erforderlich ist: Die Beauftragung von juristischen oder wirtschaftlichen Beratern müsse dann grundsätzlich auch ohne vorherige Zustimmung der Unternehmensführung möglich sein, verlangt IG-Metall-Justiziar Klebe.


BREITES REFORMBÜNDNIS

Viele der Vorschläge, mit denen die Gewerkschaften im Wahljahr auf die Weiterentwicklung der Mitbestimmung drängen, sind nicht neu. Sie basieren auf einem Beschluss des DGB-Bundeskongresses im Mai 2010. Damals allerdings befanden sich die Gewerkschaften eher in der Defensive. Die FDP war zur Bundestagswahl 2009 mit der Forderung angetreten, Mitbestimmungsrechte einzuschränken. Und auch wenn das letztlich keinen Eingang in den Koalitionsvertrag der schwarz-gelben Bundesregierung fand, blieben die Gewerkschaften alarmiert: In dem DGB-Beschluss stand die "Sicherung der Betriebsverfassung gegen marktradikale Angriffe" an vorderster Stelle.




Quelle:

Joachim F. Tornau, in: Hans Böckler Stiftung: Magazin Mitbestimmung Ausgabe 04/2013

3 Kommentare:

  1. Die Gewerkschaften sollten schön stille sein angesichts des nächsten angekündigten Bahnstreiks wegen marginaler Nischeninteressen, der auf dem Rücken der normalen Arbeitnehmer, ob organsiert oder nicht, ausgetragen werden.
    Wenn GDL so weiter macht, werden sie im Lande so beliebt wie Salafisten und Hooligans werden. Mag dazu mal jemand was schreiben von Verdi?

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    1. Hallo Pendler,
      ohne Gewerkschaft würdest Du weniger Urlaub, kein Weihnachtsgeld...bekommen.Auch würdest Du mehr Stunden pro Woche arbeiten und weniger verdienen.
      Ich finde Deinen polemischen Rundumschlag gegen Gewerkschaften einfach nur dumm, dumm, dumm...
      Erst mal das Hirn einschalten vorm Kommentieren!!!!!

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  2. Bei Weltbild Retail und WB Plus kommt es gerade massenhaft zu Verstößen gegen das Betriebsverfassungsgesetz, auf Wiedersehen Kirche, willkommen Droege

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