Sollte Papst Franziskus mit seiner jüngst geäußerten Kapitalismuskritik richtig liegen, wovon man bei einem Stellvertreter Christi ausgehen darf, könnte denen, die für ihre Tarifverträge oder ihre Arbeitsplätze kämpfen, Gott näher sein, als sie ahnen. Und die Adventszeit – in der wir der Nähe Gottes gedenken – ist kein unpassender Anlass, sich auch solche Gedanken zu machen.
Der Advent als Ankunft Christi
Was bedeutet Advent? Denkt man darüber genauer nach, kommt man – wie
bei genauerem Nachdenken üblich – schnell in Teufels Küche.
Gehen wir in guter deutscher Gelehrtenmanier etymologisch vor – das
bringt zwar meistens nichts, zeugt aber von Bildung. Advent heißt Ankunft – und
gemeint ist: das Erscheinen Jesu Christi auf Erden. Jedoch stellt sich hierbei
mit Schärfe die Beckenbauer-Frage: ja is‘ denn scho‘ Weihnachten? Wenn wir in
der Christnacht erst die Geburt des Heilandes feiern, wie kann er dann schon
vorher bei uns ankommen?
Advent meint also eher eine Ankunft in Zukunft: sozusagen eine
Herankunft – in dem Verständnis, dass Gott zu uns unterwegs ist und bald
eintreffen wird. Im Advent muss man folglich eine Zeit des Wartens und der
Sehnsucht, aber auch des Umdenkens und der Vorbereitung sehen. Deshalb hören
wir im Evangelium des vierten Adventsonntags den Mahnruf des Propheten Jesaia:
Dass ihm hierbei sehr viel mehr vorschwebt, als in gehobener Stimmung
ein paar Kerzlein anzuzünden und ein paar Liedlein abzusingen, zeigt sich
daran, wie er das Bild vom Wege- und Straßenbau weiterführt. Es wird Ausdruck
eines radikalen und kompromisslosen Anspruchs, der selbst vor scheinbar
unüberwindlichen Hindernissen nicht haltmacht. Denn so sollen wir helfen,
Gottes Kommen zu ermöglichen:
Ebnet ihm die Straßen!
Jede Schlucht soll ausgefüllt werden,
jeder Berg und Hügel sich senken.
Was krumm ist, soll gerade werden.
Was uneben ist, soll zum ebenen Weg werden.
Der Advent als Wiederkunft Christi
Doch welchen Sinn mag es haben, jedes Jahr von neuem etwas
vorzubereiten oder herbeizuwünschen, das vor zweitausend Jahren bereits
geschehen ist? Die Antwort auf diese Frage fällt bei theologischen Vollprofis
in der Regel ungefähr so aus: unser Erlöser – sagen sie – sei zwar in der Geschichte
angekommen, aber noch nicht so ganz in den Herzen der Menschen, und deswegen
falle uns nun die Aufgabe zu, ihm dort Raum zu geben, damit seine Liebe in uns
wachsen und wirken kann.
Ganz genau genommen freilich wird hier eine Nachbereitung, keine Vorbereitung
des Weihnachtsereignisses gefordert. Die Adventsbotschaft hat quasi eine
Umdeutung ins Geschichtslose erfahren und ihren Stachel verloren. Denn
letztlich ist sie nutzloses und lauwarmes Gewäsch, wenn sie uns nicht zugleich
mit Christi Ankunft auch seine Wiederkunft ins Bewusstsein ruft.
Dass dieser Gedanke sich keiner sonderlichen Popularität erfreut,
leuchtet ein. Man muss nicht unbedingt im Alleinbesitz des Heiligen Geistes
sein – es reicht, wenn man im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte ist: dann
lässt sich unschwer ausmalen, dass Gott, der kommen wird, um Gericht über uns
zu halten, eine bessere Welt anzutreffen wünscht, als wir sie im Augenblick
vorweisen können.
Reicht es ihm wirklich, wenn wir von Zeit zu Zeit in uns gehen und
alle Menschen tief im Herzen ganz toll lieb haben? Reicht es wirklich, um das
Prophetenwort zu erfüllen:
Bereitet dem Herrn den Weg!? - Ebnet ihm
die Straßen!?
Der Advent als Gottes Tiefbauprojekt
Wohl niemand wird annehmen, Gott habe ein Faible für ehrgeizige Tiefbauprojekte.
Aber sollte er uns durch den Appell, ganze Landschaften platt zu machen,
tatsächlich zu nichts anderem bewegen wollen als zum Rückzug ins Innere,
Seelische, Geistige? Er könnte doch eben so gut die Veränderung und
Umgestaltung einer äußerlich sichtbaren Realität gemeint haben. – Erstaunlich,
wie schnell Gläubige, deren Glaube angeblich Berge versetzt, bei der
metaphorischen und allegorischen Verflüchtigung gerade solcher Dinge sind, die
wirklich vorstellbar und durchführbar wären.
Wir Menschen sind die einzige Tierart, deren Verhältnis zu ihrer
Umwelt primär nicht in der Anpassung, sondern in der Aneignung besteht. Wir
leben in einer Zeit, in der die Oberfläche unseres Planeten nicht nur so gut
wie vollständig von uns gestaltet ist, sondern sogar vollständig von uns vernichtet
werden kann. – Kaum irgendwer sähe heute mehr ernsthaft ein Problem, das
Prophetenwort technisch umzusetzen, wenn es darum ginge, Profit zu machen.
Sobald es aber um etwas anderes geht, nämlich darum, Armut und Unrecht,
Ausbeutung und Unterdrückung vom Angesicht der Erde verschwinden zu lassen, ist
unser Vertrauen in die Möglichkeit und Machbarkeit aller Dinge dahin. Wir
verkriechen uns in unser Inneres und überlassen die böse Welt da draußen
getrost den Börsenmaklern und Investmentbankern – wenngleich natürlich nicht,
ohne ihnen vorher noch ein paar spirituelle Wellnesstipps mit auf den Weg
gegeben zu haben – und dann schauen wir heraus und wundern uns, dass noch immer
nichts besser geworden ist.
Wenn aber so Gottes kämpfende Kirche aussieht, müsste klar sein,
weshalb ein paar Dutzend Leute, die für Tarifverträge oder Arbeitsplätze
kämpfen, ihm näher sind. Aus einem sehr simplen Grund: sie tun etwas, das man
sehen kann – und das ist Advent!
Jürgen Horn
Danke lieber Jürgen für deinen tollen Beitrag!!
AntwortenLöschenIch wünsche dir und deiner Familie
schöne und besinnliche Weihnachten!!
Liebe Grüße Ch. H.
Hat zu lange gedauert zum lesen. sonst gut.
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