Mittwoch, 18. Dezember 2013

"Diese Wirtschaft tötet!"

Aus der neuen Enzyklika "Evangelii Gaudium" von Papst Franziskus

Evangelii gaudium („Freude des Evangeliums“) ist das erste Apostolische Schreiben von Papst Franziskus. Es wurde am 24. November 2013 veröffentlicht und trägt den Untertitel: "Über die Verkündigung des Evangeliums in der Welt von heute". Die Infoblog-Redaktion dokumentiert aus diesem Anlaß auszugsweise die Seiten 35 bis 41 und 117 bis 131 des apostolischen Schreibens.

"Die Menschheit erlebt im Moment eine historische Wende, die wir an den Fortschritten ablesen können, die auf verschiedenen Gebieten gemacht werden. Lobenswert sind die Erfolge, die zum Wohl der Menschen beitragen, zum Beispiel im Bereich der Gesundheit, der Erziehung und der Kommunikation. Wir dürfen jedoch nicht vergessen, daß der größte Teil der Männer und Frauen unserer Zeit in täglicher Unsicherheit lebt, mit unheilvollen Konsequenzen. Einige Pathologien nehmen zu. Angst und Verzweiflung ergreifen das Herz vieler Menschen, sogar in den sogenannten reichen Ländern. Häufig erlischt die Lebensfreude, nehmen Respektlosigkeit und Gewalt zu, die soziale Ungleichheit tritt immer klarer zutage. Man muß kämpfen, um zu leben – und oft wenig würdevoll zu leben. (…)



Nein zu einer Wirtschaft der ­Ausschließung

Ebenso wie das Gebot »Du sollst nicht töten« eine deutliche Grenze setzt, um den Wert des menschlichen Lebens zu sichern, müssen wir heute ein »Nein zu einer Wirtschaft der Ausschließung und der Disparität der Einkommen« sagen. Diese Wirtschaft tötet. Es ist unglaublich, daß es kein Aufsehen erregt, wenn ein alter Mann, der gezwungen ist, auf der Straße zu leben, erfriert, während eine Baisse um zwei Punkte an der Börse Schlagzeilen macht. Das ist Ausschließung. Es ist nicht mehr zu tolerieren, daß Nahrungsmittel weggeworfen werden, während es Menschen gibt, die Hunger leiden. Das ist soziale Ungleichheit. Heute spielt sich alles nach den Kriterien der Konkurrenzfähigkeit und nach dem Gesetz des Stärkeren ab, wo der Mächtigere den Schwächeren zunichte macht. Als Folge dieser Situation sehen sich große Massen der Bevölkerung ausgeschlossen und an den Rand gedrängt: ohne Arbeit, ohne Aussichten, ohne Ausweg. Der Mensch an sich wird wie ein Konsumgut betrachtet, das man gebrauchen und dann wegwerfen kann. Wir haben die »Wegwerfkultur« eingeführt, die sogar gefördert wird. Es geht nicht mehr einfach um das Phänomen der Ausbeutung und der Unterdrückung, sondern um etwas Neues: Mit der Ausschließung ist die Zugehörigkeit zu der Gesellschaft, in der man lebt, an ihrer Wurzel getroffen, denn durch sie befindet man sich nicht in der Unterschicht, am Rande oder gehört zu den Machtlosen, sondern man steht draußen. Die Ausgeschlossenen sind nicht »Ausgebeutete«, sondern Müll, »Abfall«. (…)


Nein zur neuen Vergötterung des Geldes

Einer der Gründe für diese Situation liegt in der Beziehung, die wir zum Geld hergestellt haben, denn friedlich akzeptieren wir seine Vorherrschaft über uns und über unsere Gesellschaften. Die Finanzkrise, die wir durchmachen, läßt uns vergessen, daß an ihrem Ursprung eine tiefe anthropologische Krise steht: die Leugnung des Vorrangs des Menschen! Wir haben neue Götzen geschaffen. Die Anbetung des antiken goldenen Kalbs hat eine neue und erbarmungslose Form gefunden im Fetischismus des Geldes und in der Diktatur einer Wirtschaft ohne Gesicht und ohne ein wirklich menschliches Ziel. Die weltweite Krise, die das Finanzwesen und die Wirtschaft erfaßt, macht ihre Unausgeglichenheiten und vor allem den schweren Mangel an einer anthropologischen Orientierung deutlich – ein Mangel, der den Menschen auf nur eines seiner Bedürfnisse reduziert: auf den Konsum.

Während die Einkommen einiger weniger exponentiell steigen, sind die der Mehrheit immer weiter entfernt vom Wohlstand dieser glücklichen Minderheit. Dieses Ungleichgewicht geht auf Ideologien zurück, die die absolute Autonomie der Märkte und die Finanzspekulation verteidigen. Darum bestreiten sie das Kontrollrecht der Staaten, die beauftragt sind, über den Schutz des Gemeinwohls zu wachen. Es entsteht eine neue, unsichtbare, manchmal virtuelle Tyrannei, die einseitig und unerbittlich ihre Gesetze und ihre Regeln aufzwingt. Außerdem entfernen die Schulden und ihre Zinsen die Länder von den praktikablen Möglichkeiten ihrer Wirtschaft und die Bürger von ihrer realen Kaufkraft. Zu all dem kommen eine verzweigte Korruption und eine egoistische Steuerhinterziehung hinzu, die weltweite Dimensionen angenommen haben. Die Gier nach Macht und Besitz kennt keine Grenzen. In diesem System, das dazu neigt, alles aufzusaugen, um den Nutzen zu steigern, ist alles Schwache wie die Umwelt wehrlos gegenüber den Interessen des vergötterten Marktes, die zur absoluten Regel werden. (…) 
   
Nein zur sozialen Ungleichheit, die Gewalt hervorbringt

Heute wird von vielen Seiten eine größere Sicherheit gefordert. Doch solange die Ausschließung und die soziale Ungleichheit in der Gesellschaft und unter den verschiedenen Völkern nicht beseitigt werden, wird es unmöglich sein, die Gewalt auszumerzen. Die Armen und die ärmsten Bevölkerungen werden der Gewalt beschuldigt, aber ohne Chancengleichheit finden die verschiedenen Formen von Aggression und Krieg einen fruchtbaren Boden, der früher oder später die Explosion verursacht. Wenn die lokale, nationale oder weltweite Gesellschaft einen Teil ihrer selbst in den Randgebieten seinem Schicksal überläßt, wird es keine politischen Programme, noch Ordnungskräfte oder Intelligence geben, die unbeschränkt die Ruhe gewährleisten können. Das geschieht nicht nur, weil die soziale Ungleichheit gewaltsame Reaktionen derer provoziert, die vom System ausgeschlossen sind, sondern weil das gesellschaftliche und wirtschaftliche System an der Wurzel ungerecht ist. (…)

Die Mechanismen der augenblicklichen Wirtschaft fördern eine Anheizung des Konsums, aber es stellt sich heraus, daß der zügellose Konsumismus, gepaart mit der sozialen Ungleichheit, das soziale Gefüge doppelt schädigt. Auf diese Weise erzeugt die soziale Ungleichheit früher oder später eine Gewalt, die der Rüstungswettlauf nicht löst noch jemals lösen wird. Er dient nur dem Versuch, diejenigen zu täuschen, die größere Sicherheit fordern, als wüßten wir nicht, daß Waffen und gewaltsame Unterdrückung, anstatt Lösungen herbeizuführen, neue und schlimmere Konflikte schaffen. Einige finden schlicht Gefallen daran, die Armen und die armen Länder mit ungebührlichen Verallgemeinerungen der eigenen Übel zu beschuldigen und sich einzubilden, die Lösung in einer »Erziehung« zu finden, die sie beruhigt und in gezähmte, harmlose Wesen verwandelt. (…)

8 Kommentare:

  1. Danke lieber Jürgen für deinen tollen Beitrag!!
    Ich wünsche dir und deiner Familie
    schöne und besinnliche Weihnachten!!
    Liebe Grüße Ch. H.

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  2. Jürgen H. - des Papstes Stellvertreter im Hause Hugendubel

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    1. Also ich habe mit der ganzen Gaudi diesmal nichts zu tun - und bin auch nur der Stellvertreter des Betriebsratsvorsitzenden.

      Frohe Weihnachten

      Jürgen

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  3. Den Text von Papst Franziskus lese ich mit großer Sympathie - allein mir fehlt der Glaube.
    Daß den Worten Taten folgen müßten, hätte die Kirche beim Weltbild Kunden-Center demonstrieren können. Dies tat sie nicht, sondern handelte wie jeder gewöhnliche Kapitalist auch.
    Und wie jeden gewöhnlichen Kapitalisten sollte man sie in Zukunft auch behandeln:
    Arbeitskampf, Demo, Streik.

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  4. Das war der Text von Papst Franziskus und das ist die Wirklichkeit:

    http://caritas-verdi.blogspot.de/2013/12/caritas-arbeitgeber-verstarken-ihren.html#comment-form

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  5. An seinen Früchten werden wir auch Papst Franziskus erkennen.
    Wenn der Kapitalismus eine Wirtschaft ist, die tötet, und das ganze System an der Wurzel ungerecht, dann kann es eigentlich nur eine Konsequenz geben: macht kaputt, was euch kaputt macht! Dass der Papst sich aber wirklich in diese Richtung engagieren wird, ist unwahrscheinlich. Wahrscheinlicher ist, dass er sich im Rahmen der kirchenüblichen Kapitalismuskritik bewegt und nur den Mund ein wenig voller nimmt als seine Vorgänger

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