Interview mit dem Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel
Deutschland steuert wegen der Corona-Pandemie auf Schulden in Rekordhöhe zu. Was sagen Sie als Finanzfachmann dazu?
Rudolf Hickel: Es geht um dringend notwendige Kredite. Einmal für Ausgaben wie Kurzarbeitergeld, Miethilfen, Unterstützung von Familien, Verbesserung der Gesundheitsversorgung und vieles mehr Sinnvolles. Dazu kommt der Ausgleich für Ausfälle bei Einnahmen, insbesondere bei den Städten und Gemeinden. Deren Haupteinnahmequelle, die Gewerbesteuer, ist im Schnitt um die Hälfte zurückgegangen, zum Teil sogar um 80 Prozent. Also sind am Ende Kredite in Höhe von schätzungsweise 1,9 Billionen Euro keine Verschwendung.
Aber nach der Krise müssen die Kredite abbezahlt werden. Wie?
Mit einem zweiten Lastenausgleich. Dafür werden in einem Corona-Solidarfonds alle Kreditkosten des Bundes in einem Sondervermögen zusammengefasst. Nur dann hat man einen Überblick über die tatsächlichen Kosten. Denn im Sondervermögen werden auch die Kredite einbezogen, die die Länder an Städte und Gemeinden zahlen. Aus dem Fonds werden dann die Zinsen und die Tilgung der Schulden bezahlt.
Woher kommt das Geld?
Wie 1952 aus einer einmaligen Abgabe. Die Reichen müssen einen Teil ihres Vermögens abgeben, aber nur ein Fünftel. Die Abgabe wird nicht auf einen Schlag fällig, sondern über Jahre gestreckt. Nach neuesten Daten besitzt in Deutschland ein Prozent der Vermögenden 35 Prozent des gesamten Nettovermögens. Um die geht es. Für alle anderen gibt es großzügige Freibeträge, so für Familien mit einem Eigenheim.
Warum eine Vermögensabgabe?
Weil ich dagegen bin, öffentliche Ausgaben zu kürzen, um so Geld zum Schuldenabbau zu haben. Das hieße bei den Corona-Kosten, mehr als 30 Jahre jährlich etwa 60 Milliarden aus dem laufenden Haushalt herauszupressen.
Was halten Sie von Vorschlägen wie einem neuen Solidaritätszuschlag? Oder einem Verschieben des Schuldenabbaus, da der Staat angesichts negativer Zinsen mit neuen Schulden sogar Geld verdienen kann.
Einen neuen Soliaufschlag auf die Einkommensteuer möchte ich ausschließen, da der alte noch sehr umstritten ist. Und so etwas wie »ewige Schulden« wäre möglich, weil ja kaum Zinsen anfallen und Schulden auch auf die Europäische Zentralbank verlagert werden können. Es gibt aktuell kein Tilgungsproblem. Aber CDU/CSU, FDP, Rechnungshöfe und Verfassungsrechtler werden einen baldigen Schuldenabbau massiv einfordern. Denn in der Ausnahmelage der Corona-Krise nimmt die Bundesregierung – völlig zu Recht – höhere Kredite auf, als normalerweise mit der sogenannten Schuldenbremse nach dem Grundgesetz zulässig wäre. Dort fordert auch der Artikel 115 einen Tilgungsplan, also einen Beschluss darüber, in welcher Zeit die Schulden abgebaut werden sollen.
Neoliberale Finanz- und Wirtschaftspolitiker halten eine Vermögensabgabe für unzulässig.
Blödsinn. Aktuell hat der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages am Ende auch die Rechtmäßigkeit bestätigt. Aber trotzdem ist eine Vermögensabgabe politisch unglaublich schwer durchzusetzen.
Also bleibt ein Corona-Solidarfonds mit der Vermögensabgabe nur eine kluge Idee?
Eine Vermögensabgabe könnte auch noch in ein, zwei Jahren realisiert werden. Zurzeit wirkt der Vorschlag für viele noch schockierend. Wenn es aber wirklich eine neue Normalität nach der Pandemie gibt – auch durch die Abgabe –, dann werden die Belastung der Reichen und der Solidarfonds eine große Zustimmung finden.
Und die Vermögensabgabe könnte ein Thema im Bundestagswahlkampf 2021 werden.
Es könnte spannend werden, welche Parteien die Abgabe statt Kürzungspolitik, Sozialabbau oder Steuererhöhungen fordern werden.
Stichwort Lastenausgleich: Die Reichen zahlen
Eine Vermögensabgabe hat es schon einmal 1952 unter Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) gegeben. Damals ging es darum, Geld zu sammeln für den Ausgleich von Weltkriegsschäden und um Härten der Währungsreform zu mildern. Das ist nach Artikel 106 Absatz 1 Nummer 5 des Grundgesetzes möglich. Wer Vermögen wie Häuser und Grundstücke besaß oder Gewinne aus Krediten erzielt hatte, musste die Hälfte – 50 Prozent! – als Lastenausgleich abgeben.
Allerdings nicht auf einen Schlag, sondern über 30 Jahre hinweg in vierteljährlichen Raten. Damit betrug die jährliche Belastung nur 1,67 Prozent des Vermögens. Um Tricksereien wie Vermögensflucht ins Ausland zu verhindern, wurde der Stichtag für die Feststellung des Vermögens rückwirkend auf den 21. Juni 1948 festgelegt. Damit konnte niemand sein Vermögen nachträglich kleinrechnen oder ins Ausland verlagern. Das wäre bei einer jährlich erhobenen Vermögensteuer anders.
Professor Dr. Rudolf Hickel ist Mitbegründer der Arbeitsgruppe »Alternative Wirtschaftspolitik«, die jährlich ein Gutachten vorlegt. Das erfolgt im Gegensatz zu dem der sogenannten Wirtschaftsweisen aus dem Blickwinkel von Erwerbstätigen, Erwerbslosen und Gewerkschaften.
Quelle: Friedrich Sieckmeier, in: ver.di-Branchenzeitschrift Druck + Papier, Juli 2020
"Wenn es aber wirklich eine neue Normalität nach der Pandemie gibt – auch durch die Abgabe –, dann werden die Belastung der Reichen und der Solidarfonds eine große Zustimmung finden." - Das müsste schon ein ganz, ganz neue Normalität sein - und gemessen an der Norm der bis dato normativen Normalität, nach der alle normal finden, dass es den Reichen gegeben und den Armen genommen wird, beinahe unnormal, ja geradezu enorm abnorm. Komm, Herr Hickel, komm und gib uns diese schöne neue Normalität! Doch fürchte ich: wir sind noch nicht normal genug für sie und werden es so schnell auch nicht sein.
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