Schwarze Pädagogik des Neoliberalismus
Schwarze
Pädagogik ist immer noch Teil der Lebensrealität, sagt die Pädagogin Sabine
Seichter. Sie trage heute neoliberale Züge. In Verbindung mit Gentechnik könne
in Zukunft ein Designerkind geschaffen werden, schreibt Seichter in ihrem Buch
„Das normale Kind“.
In ihrem
neuen Buch „Das normale Kind“ wirft die Salzburger Pädagogik-Professorin Sabine
Seichter einen neuen Blick auf die Geschichte der schwarzen Pädagogik. Darin
zeigt sie auf, wie das Kind im Verlauf seiner Entwicklung zur standardisierten
Ware wurde und bis heute zu wenig als autonomes, mündiges Wesen gefördert
werde.
Es sei ihre
Absicht gewesen, einmal in die dunklen und tabuisierten Ecken pädagogischen
Handelns zu blicken, in die man eigentlich nicht hinsehe, sagt
Seichter. „Was ich zur Sprache bringen möchte, sind alle Spielarten des
missbrauchten Kindes an dessen Körper, Seele und vor allem an dessen Würde.“
Es
lohne sich genauer hinzuschauen, denn die „schwarze Pädagogik“ sei nicht
verschwunden. „Denn in der Tat zeigt sich die schwarze Dimension des
Pädagogischen heute eher versteckter als noch vor Jahrzehnten, was aber nicht
heißt, dass sie nicht genauso da ist,“ so die Buchautorin.
Das Kind wird pausenlos getestet und angeglichen
Das Maß
aller Dinge sei heute die Norm. „Wir wollen nicht das vielfältige, das
abweichende, das anormale Kind, sondern wir wollen durch Erziehung und
Bildung das ‚normale‘ Kind erzeugen“, kritisiert Seichter. „Das findet
sich heute stärker als noch vor Jahrzehnten, wenn sie an all die
Entwicklungskontrollen spätestens ab dem Moment der Geburt denken.“
Das Kind
werde abgeglichen mit der altersgemäßen Durchschnittsnorm, aber dieses Vorgehen
finde sich auch in der ganzen Schulkindheit, in Leistungsvergleichen und
Leistungskontrollen. Das Kind werde pausenlos gemessen, getestet und vor
allem angeglichen. Dadurch lasse sich das „normale Kind“ oder das „abweichende
Kind“ feststellen und pädagogisch entsprechend behandeln."Die schwarze
Pädagogik wird dann in diesem Zuge auch zur normalen Pädagogik“, sagt Seichter.
Ausgeburt der Ökonomie
Seit einigen
Jahren trage dieser Ansatz neoliberale Züge, denn es gehe darum, das
Konkurrenzverhalten eines Kindes zu sichern. Das sei die normale Praxis im
Schulalltag, trage „schwarze Züge“ und sei gleichzeitig „normal“. Beim
Blick in die Geschichte zeige sich, dass die Pädagogik immer eine „Ausgeburt
der Ökonomie“ gewesen sei, sagt Seichter.
Vermutlich
gebe es keine pädagogischen Institutionen, wenn man nicht erwarten würde, dass
ein Kind für den zukünftigen Arbeitsmarkt erzogen und ausgebildet werden müsse.
„Die Schule wurde eingerichtet im 18. Jahrhundert, um das Kind für den späteren
Arbeitsmarkt vorzubereiten.“ Heutzutage erlebe man im „Humankapital“ vermutlich
„die kaptalistischste Ausgeburt“ dieser Entwicklung.
Blick in die Zukunft
Medizinische
Fortschritte und Gentechnik könnten diesen Trend in Zukunft noch beschleunigen,
sagt Seichter. Sie verweist auf die Möglichkeit eines „Designerkindes“,
das bereits gentechnisch erzeugt werden könne und „normal“ zur Welt
komme. „Der genetisch perfekte Embryo wird erzeugt und der hat keine
Abweichungen, ansonsten würde er schon vorher aussortiert.“ Das könnte pädagogische
Eingriffe vielleicht eines Tages überflüssig machen.
Die
entscheidende Frage sei, was in Zukunft bildungspolitisch gewünscht werde.
„Eine nicht-schwarze Pädagogik müsste wieder viel stärker das Individuum in den
Blick nehmen, sie müsste vor allem die Vielfalt akzeptieren – nur von der
Vielfalt gibt es keine Norm.“
Es sei
deshalb vor allem eine ethische Entscheidung: „Wollen wir eher
standardisierte Produkte hervorbringen, die in den kapitalistischen Warenmarkt
passen oder wollen wir eher kreative, autonome, mündige Kinder, die sich
in ihrer Personalität und in ihrer Unterschiedlichkeit zeigen und nicht in
ihrer Gleichheit.“
Sabine Seichter: Das normale Kind. Einblick in die Geschichte der schwarzen Pädagogik
Beltz Verlag, Weinheim 2019
189 Seiten, 24,95 Euro
Quelle: DLF Kultur
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