Montag, 24. September 2018

Rechte statt Reste

UN überprüfen Einhaltung sozialer Menschenrechte in Deutschland

Philip Büttner
Philip Büttner vom Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt (kda)
 vertritt die Initiative "Rechte statt Reste" vor der UN in Genf.

Die bayerische Initiative Rechte statt Reste nimmt kommende Woche als NGO am Prüfverfahren der Vereinten Nationen in Genf teil. In einem „Parallelbericht“ an die UN kritisieren die kirchlichen und gewerkschaftlichen Verbände unzureichende Hartz-IV-Sätze.
Am 24. und 25. September wird eine Delegation der Bundesregierung im Völkerbundpalast vor den Vereinten Nationen Rede und Antwort stehen. Es geht um die Einhaltung des UN-Sozialpaktes, der in Deutschland seit 1976 geltendes Recht ist. Er enthält u.a. das Menschenrecht auf Soziale Sicherheit (Art. 9) und das Menschenrecht auf ausreichende Ernährung, Bekleidung und Unterbringung (Art. 11). An dem in der Öffentlichkeit bisher wenig bekannten Verfahren beteiligen sich Vertreter der deutschen Zivilgesellschaft.


Die kirchlich-gewerkschaftliche Initiative Rechte statt Reste sieht insbesondere im niedrigen Niveau der deutschen Grundsicherung einen Verstoß gegen den UN-Sozialpakt. Wie zahlreiche Expertisen nachweisen, fehlt Millionen Menschen hierzulande das Geld für existenzielle Bedarfe wie Ernährung, Wohnung oder Haushaltsenergie. Die starke Nachfrage nach Lebensmittelspenden und häufige Stromsperrungen zeugen davon. Die Regelsätze der Grundsicherung unterschreiten das Existenzminimum um etwa ein Viertel. Durch Sanktionen, nicht anerkannte Wohnkosten und unzureichende Preisanpassungen klafft eine immer größere Lücke zwischen staatlicher Sozialleistung und realem Bedarf.
In Genf wird die gemeinsame Initiative von ver.di, Caritas, Diakonie und fünf weiteren Organisationen eine wissenschaftlich fundierte Neuberechnung der Regelsätze fordern. Ihr bei den UN eingereichter „Parallelbericht“ ist hier abrufbar: 

Link zur Initiative

Interview mit Philip Büttner vom kda 

Herr Büttner, Ihre Initiative kritisiert unter anderem, dass Hartz-IV-Empfänger durch Sanktionen des Jobcenters über Gebühr bestraft werden. Wollen Sie diese Sanktionen ganz abschaffen?

Büttner: Ich weiß, dass die Arbeitsverwalter ein Instrument wollen, um Menschen zur Mitarbeit aufzufordern. Aber die harte Grenze ist das Existenzminimum, das der Hartz-IV-Regelsatz von 416 Euro für einen allein stehenden Erwachsenen ja definiert. Darunter darf der Staat in meinen Augen nicht kürzen. Man kann Menschen nicht das Essen wegnehmen, um ihnen Beine zu machen. Grundsätzlich sehen die Kirchen die gesamte Sanktionspraxis kritisch1
.
Ab wann wird ein geringes Einkommen zum Stigma?

Büttner: Es gibt Menschen, die sind mit wenig Geld glücklich, und Geld ist auch nicht die Eintrittskarte für alles im Leben. Dennoch braucht man welches: Um den Nahverkehr zu nutzen, zu telefonieren, mit Freunden einen Kaffee zu trinken, am Schulausflug teilzunehmen. Natürlich gibt es für alles zusätzliche Geldtöpfe, und es ist toll, dass die Zivilgesellschaft so vieles ausgleicht. Doch um Geld zu bitten, ist immer mit Scham verbunden. Deshalb heißt unsere Initiative auch "Rechte statt Reste". Der Staat muss die Sozialleistungen armutsfest machen, damit dieses Geld eine stabile Grundlage für ein Leben in Würde ist. Wir fordern, dass das Existenzminimum neu berechnet wird, und zwar transparent, wissenschaftlich fundiert und unter Einbeziehung der Sozialverbände.

In Genf sprechen Sie und elf weitere Initiativen vor dem UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Ein Staatssekretär des Bundessozialministeriums will bei einem Abendessen Ihre Argumente anhören. Was erhoffen Sie sich?

Büttner: Dieser Prozess ist eine tolle Gelegenheit für Initiativen wie uns, um mit den Entscheidern in Kontakt zu kommen. In der Kommission, die den UN-Sozialpakt in Deutschland überprüft, sitzen Menschen aus Indien, Russland und Surinam. Ich bin gespannt, wie sie die Tatsache bewerten, dass es in Deutschland Hunger gibt. Zum Gespräch mit dem Staatssekretär würde ich am liebsten eine Delegation Münchner Tafelkunden mit nach Genf nehmen: Dann könnten sie das Menü für 100 Franken genießen, für das sie als Hartz-IV-Empfänger in Deutschland drei Wochen fasten müssten. Sie könnten darüber berichten, wie es ihnen eigentlich geht - und ob sie ihren Lebensstandard für angemessen halten. Laut Bundesregierung ist er das.

Quelle: Sonntagsblatt
 

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