UN überprüfen Einhaltung sozialer Menschenrechte in Deutschland
Philip Büttner vom Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt (kda)
vertritt die Initiative "Rechte statt Reste" vor der UN in Genf.
Die bayerische Initiative Rechte statt Reste
nimmt kommende Woche als NGO am Prüfverfahren der Vereinten Nationen in
Genf teil. In einem „Parallelbericht“ an die UN kritisieren die
kirchlichen und gewerkschaftlichen Verbände
unzureichende Hartz-IV-Sätze.
Am 24. und 25. September wird eine
Delegation der Bundesregierung im Völkerbundpalast vor den Vereinten
Nationen Rede und Antwort stehen. Es geht um die Einhaltung des
UN-Sozialpaktes, der in Deutschland seit 1976 geltendes Recht
ist. Er enthält u.a. das Menschenrecht auf Soziale Sicherheit (Art. 9)
und das Menschenrecht auf ausreichende Ernährung, Bekleidung und
Unterbringung (Art. 11). An dem in der Öffentlichkeit bisher wenig
bekannten Verfahren beteiligen sich Vertreter der deutschen
Zivilgesellschaft.
Die kirchlich-gewerkschaftliche Initiative Rechte statt Reste
sieht insbesondere im niedrigen Niveau der deutschen Grundsicherung
einen Verstoß gegen den UN-Sozialpakt. Wie zahlreiche Expertisen
nachweisen, fehlt Millionen
Menschen hierzulande das Geld für existenzielle Bedarfe wie Ernährung,
Wohnung oder Haushaltsenergie. Die starke Nachfrage nach
Lebensmittelspenden und häufige Stromsperrungen zeugen davon. Die
Regelsätze der Grundsicherung unterschreiten das Existenzminimum
um etwa ein Viertel. Durch Sanktionen, nicht anerkannte Wohnkosten und
unzureichende Preisanpassungen klafft eine immer größere Lücke zwischen
staatlicher Sozialleistung und realem Bedarf.
In Genf wird die gemeinsame Initiative
von ver.di, Caritas, Diakonie und fünf weiteren Organisationen eine
wissenschaftlich fundierte Neuberechnung der Regelsätze fordern. Ihr bei
den UN eingereichter „Parallelbericht“ ist hier
abrufbar:
Link zur Initiative
Interview mit Philip Büttner vom kda
Interview mit Philip Büttner vom kda
Herr Büttner, Ihre Initiative kritisiert
unter anderem, dass Hartz-IV-Empfänger durch Sanktionen des Jobcenters
über Gebühr bestraft werden. Wollen Sie diese Sanktionen ganz
abschaffen?
Büttner: Ich weiß, dass
die Arbeitsverwalter ein Instrument wollen, um Menschen zur Mitarbeit
aufzufordern. Aber die harte Grenze ist das Existenzminimum, das der
Hartz-IV-Regelsatz von 416 Euro für einen allein stehenden Erwachsenen
ja definiert. Darunter darf der Staat in meinen Augen nicht kürzen. Man
kann Menschen nicht das Essen wegnehmen, um ihnen Beine zu machen.
Grundsätzlich sehen die Kirchen die gesamte Sanktionspraxis kritisch1
.
Ab wann wird ein geringes Einkommen zum Stigma?
Büttner: Es gibt Menschen, die sind mit wenig Geld
glücklich, und Geld ist auch nicht die Eintrittskarte für alles im
Leben. Dennoch braucht man welches: Um den Nahverkehr zu nutzen, zu
telefonieren, mit Freunden einen Kaffee zu trinken, am Schulausflug
teilzunehmen. Natürlich gibt es für alles zusätzliche Geldtöpfe, und es
ist toll, dass die Zivilgesellschaft so vieles ausgleicht. Doch um Geld
zu bitten, ist immer mit Scham verbunden. Deshalb heißt unsere
Initiative auch "Rechte statt Reste". Der Staat muss die
Sozialleistungen armutsfest machen, damit dieses Geld eine stabile
Grundlage für ein Leben in Würde ist. Wir fordern, dass das
Existenzminimum neu berechnet wird, und zwar transparent,
wissenschaftlich fundiert und unter Einbeziehung der Sozialverbände.
In Genf sprechen Sie und elf weitere Initiativen vor dem UN-Ausschuss
für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Ein Staatssekretär
des Bundessozialministeriums will bei einem Abendessen Ihre Argumente
anhören. Was erhoffen Sie sich?
Büttner: Dieser Prozess
ist eine tolle Gelegenheit für Initiativen wie uns, um mit den
Entscheidern in Kontakt zu kommen. In der Kommission, die den
UN-Sozialpakt in Deutschland überprüft, sitzen Menschen aus Indien,
Russland und Surinam. Ich bin gespannt, wie sie die Tatsache bewerten,
dass es in Deutschland Hunger gibt. Zum Gespräch mit dem Staatssekretär
würde ich am liebsten eine Delegation Münchner Tafelkunden mit nach Genf
nehmen: Dann könnten sie das Menü für 100 Franken genießen, für das sie
als Hartz-IV-Empfänger in Deutschland drei Wochen fasten müssten. Sie
könnten darüber berichten, wie es ihnen eigentlich geht - und ob sie
ihren Lebensstandard für angemessen halten. Laut Bundesregierung ist er
das.
Quelle: Sonntagsblatt
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