Beim Arbeitgeber unerwünscht: Industriestehhilfe mit Tellerfuß
In den orthodoxen Kirchen
gibt es einen alten Marienhymnus, der so feierlich und ehrwürdig anmutet, dass
er nicht im Sitzen gesungen werden darf. Er wird deshalb Hymnos Akathistos genannt. Unsere Chefs scheinen der Tätigkeit der
Buchhändlerin und des Buchhändlers ähnlich hohe Wertschätzung entgegenzubringen
– zumindest was ihren Widerstand betrifft, die Arbeitsplätze in ihren Läden
vorschriftsgemäß mit Sitzmöbeln oder Stehhilfen auszustatten. Man sollte indes
Arbeit nicht mit Gottesdienst verwechseln, und mag dies angesichts des
Arbeitgebervorschlages, sich bei Tarifverhandlungen mit Himmelslohn zu
begnügen, auch nahe liegen.
Eines jedenfalls ist
sicher: was du nicht im Geldbeutel hast, das musst du in den Beinen haben. Da
ist nicht nur Stehvermögen gefragt, da geht es rund ohne Rast und Ruh. ALF und
AFK sind angesagt: ALLE AUF DIE FLÄCHE und AKTIV VERKAUFEN! Und während König
Kunde – in sträflicher Unkenntnis solch kluger Konzepte – einfach weiterhin
zielstrebig unsere Servicepunkte und Bibliografierstationen ansteuert, sausen
wir nun kreuz und quer durch unsere Läden, um ihn überall abzufangen und
anzusprechen – außer natürlich dort, wo er es erwartet. Eine Kollegin, die sich
den verpönten Luxus gegönnt hat, zwischendrin noch einen – vielleicht letzten –
klaren Gedanken zu fassen, bemerkte dazu: Ich komme mir vor wie in einem
Fitnessstudio.
Wem schon die Beschäftigten
leidtun, so werden jetzt manche denken, der soll mal überlegen, was erst jene
armen Teufel mitmachen, die nichtsahnend in eine Buchhandlung spazieren, um
sich umzuschauen. Plötzlich kommen seltsame Mischwesen, halb Revolverheld, halb
Comicfigur, auf sie zugestürmt, die an Hüftgurten etwas tragen, das einem Angst
einjagt. Insider freilich wissen, dass es sich bei diesen Aliens um ambulante
Bibliografierstationen handelt, und dass das gefährlich aussehende Ding kein
Colt, sondern ein mobiles KKM (Kundenkontaktmanagement) ist, mit dem sich weder
töten noch sonst viel ausrichten lässt. Deshalb wird am Ende meist alles gut.
Die Kunden geben auf und sagen sich: Wenn du wüsstest, wie du aussiehst!
Doch bleibt auf Dauer
leider nicht aus, dass immer weniger Leute immer weniger Bücher kaufen. Sie
sind halt irgendwie blind dafür, wie sehr unsere Filialen – von oben betrachtet
– durch Personalabbau und Zentralisierung an Attraktivität gewonnen haben und
gewinnen werden. Was also tun? Weil Chefs bekanntlich stets alles richtig
machen, scheidet eine Lösung von vorneherein aus: in Management und Verwaltung
etwas zu ändern. Lieber sucht man die Schuld bei der Belegschaft vor Ort – oder
besser gesagt: beim traurigen Rest der von ihr übrig ist – und wirft uns vor,
wir würden nicht offensiv genug verkaufen. Bei Verdacht wurde in bisher zwei bekannten
Fällen erst eine Abmahnung angedroht, dann ein Aufhebungsvertrag angeboten.
Unsere Geschäftsführung
geht stillschweigend davon aus, dass alle sonstigen buchhändlerischen Aufgaben
sich selbst erledigen. Du solltest also den Fehler vermeiden, dich bei solchen
Arbeiten – z.B. Verräumen eines Buches oder gar Lesen eines Klappentextes –
erwischen zu lassen. Die kontinuierliche Verbesserungspolizei schläft nicht!
Die sehen das – und zwar von höherer Warte aus und vom hohen Ross herab. Denn
anders als der Kunde, dem ja sogar egal wäre, in welcher Körperposition und
welchem Ladenquadranten man ihn bedient, solange er am Ende hat, was er will,
wissen sie, was zählt: Powerselling an einem Point of Sale, der zwar Punkt
heißt, aber kein Punkt ist, sondern die Umlaufbahn, auf der du gefälligst
deinen faulen … zu bewegen hast.
Die Crux mit solchen
Maßnahmen und der Grund ihres voraussichtlichen Scheiterns ist, dass sie kaum
Ausdruck und Ergebnis vernünftiger Überlegungen sind, sondern eher einer
blindwütigen Überheblichkeit. Alles handelsübliche Herumschwadronieren, wie
kundenorientiert und serviceorientiert man sei und wie wichtig dies sei, vermag
über eine ganz offensichtliche Tatsache nur schwer hinwegzutäuschen: genau so
wenig, wie unsere Chefs von ihren Kunden halten, halten sie auch von ihren
Beschäftigten. Der einzige Unterschied ist: bei den einen wird nur Dummheit
vorausgesetzt, bei den anderen obendrein auch noch Bequemlichkeit.
Wer weiß –
vielleicht wäre hier eine kleine Korrektur am Menschenbild fürs Geschäft ja
ganz gut?
Wir sollen die eierlegende Wollmilchsau sein und am Besten umsonst arbeiten.
AntwortenLöschenGenau. Das kanns aber nicht sein. Totale Kontrolle und Bevormundung führt erwiesenermassen zu Untufriedenheit und schlechterer Leistung.
AntwortenLöschenWie wäre es mit Vertrauen? Und Wertschätzung? Auch montär ist Wertschätzung angesagt!!!!!
Ich glaube auch, dass die Mitarbeiter nicht mehr gewertschätzt werden.
AntwortenLöschenDa kann ich ja auch bald bei Aldi arbeiten. Wenn die Mitarbeiter dort bald mehr vetdienen als wir, ist das eine wählbate Alternative.
Stimmt. Bald verdient man bei Aldi mehr und die Arbeit ist dort ist auch nicht mehr schlechter.
AntwortenLöschenSchade, diese Entwicklung. Die GL sollte mit einem Fragebogen die verkaufenden Mitarbeiter fragen, was sie für Ideen, Gedanken und Vorschläge haben. Das bringt mehr als nur externe Berater zu fragen.
AntwortenLöschenNiemand in Zentrale und GL interessiert sich für das, was wir im Laden denken oder zu sagen haben. Das solltest Du in den vergangenen Jahren doch gemerkt haben. Wir sind lästige Kostenfaktoren, die einfach zu blöde sind, die genialen Ideen aus der oberen Etage zu verstehen und umzusetzen. Dein Fragebogen würde am Ende noch zu Tage bringen, das gefühlt alle es ganz großen Mist finden, was seit einiger Zeit mit uns und unseren Buchhandlungen passiert. Wer liest so was schon gern!
LöschenDie Gl sollte ihre Verkaufsbuchhändler fragen, bevor es zu spät ist. Also, Herr Hugendubel, wenn Sie dies lesen, dann vergessen Sie diese Zeilen nicht.
LöschenFragt das Buchreport-Interview mit M und N, dann wisst Ihr, dass es längst zu spät ist! Mit der Frequenz klappts nicht so und die Kunden sind nicht zufrieden? Die Mitarbeiter sind Schuld, da unmotiviert, unmotivierbar oder zu blöd. Die Zentrale ist niemals Schuld, auch das zentral zusammengewürfelte Sortiment nicht. Auf keinen Fall.
LöschenSehr lesenswert auch der kurze Abschnitt zu Arbeitszeitmodellen. Lest das Ihr Turnustagsanhänger und Spätzuschlagsliebhaber!
Liebe Nina, lieber Maxi,
AntwortenLöschenich glaube, ihr verrennt Euch komplett. Es ist traurig, dies live mitzuerleben. Traut Euren Mitarbeitern mehr zu und kontrolliert nicht dauernd. Das hat noch niiieee funktioniert.
Achtet die Mitarbeiter, zahlt ihnen mehr und bildet sie verkaufstechnisch wie fachlich. Oder wollt ihr ein zweites Weltbild werden?
Ihr werdet ein zweites Weltbild werden, wenn Ihr so weitermacht. Und ihr Mitarbeiter: ihr wisst, dass Weltbild nur so circa den Mindestlohn zahlt, oder?
Dein Artikel ist interessant Danke
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