Montag, 6. August 2018

Die Weigerung, den Clown zu spielen



Bildergebnis für starker betriebsrat


Gewährte eine Zauberfee jedem Arbeitgeber drei Wünsche, würde der nach dem klar positionierten Betriebsrat und der voll organisierten Belegschaft garantiert so gut wie nie geäußert. Gewerkschaftsbekämpfung und Betriebsratsvermeidung stehen in vielen Firmen auf der Agenda – und wenn schon Betriebsrat, dann bitte wenigstens einen, der sich dem Arbeitgeber gegenüber loyal und im Übrigen neutral verhält. Daher oft auch die allergische Reaktion auf den gewerkschaftsnahen Betriebsrat: er wird als Fremdkörper, ein gefährliches Bakterium, die linke Bazille im Betrieb, betrachtet und behandelt.


Wer sich überwindet und gelegentlich einen Blick ins Betriebsverfassungsgesetz wirft, bemerkt vielleicht mit Erstaunen, dass der Betriebsrat dort nirgendwo ausdrücklich als Interessenvertretung der Arbeitnehmer definiert ist. Stattdessen wird er gleichsam als Bestandteil eines partnerschaftlichen und ganzheitlichen Wellnessprogramms gesehen: „Arbeitgeber und Betriebsrat“ – heißt es dort – „arbeiten unter Beachtung der geltenden Tarifverträge vertrauensvoll und im Zusammenwirken mit den im Betrieb vertretenen Gewerkschaften und Arbeitgebervereinigungen zum Wohl der Arbeitnehmer und des Betriebs zusammen.“



Nicolaus Cusanus wäre froh gewesen über dieses Prachtexemplar einer Coincidentia Oppositorum. Die „Wohle“ beider Seiten scheinen sich zu decken: Arbeitgeber und Betriebsrat ziehen am selben Strang – der Löwe liegt beim Lamm! Gemessen an dem, was einige Betriebsräte erleben oder aushalten müssen, klingt das nach Gebrüder Grimm oder Sozialutopie. Tatsächlich aber wird da nicht eine Feststellung getroffen, sondern eine Forderung erhoben, die auch den Arbeitgeber angeht. Und so weit, zu verlangen, es dürfe mit ihm keine Konflikte geben, reicht das Harmoniebedürfnis des Gesetzgebers nicht. Sonst hätte er kaum Verfahren zu deren Beilegung vorgesehen.


Arbeitgeber, die ihren Betriebsrat gern kooperativer und kompromissfreudiger sähen, interpretieren die Pflicht zu vertrauensvoller Zusammenarbeit hingegen meist recht einseitig. Sie leiten aus ihr ab, dass seine vornehmste Aufgabe im abnicken und Durchwinken ihrer Entscheidungen bestehen müsse. Alles andere sei nichts anderes als verantwortungslose Streithanselei und Miesmacherei. Ach – und war da nicht noch was über das Zusammenwirken mit Gewerkschaften? Das scheint in der Mehrzahl aller Textausgaben des Betriebsverfassungsgesetzes mit arbeitgebersicherer Geheimtinte gedruckt zu sein, weshalb nur Arbeitnehmervertreter es lesen können.


Wer aber die realen Machtverhältnisse in Firmen kennt, der weiß, wie wenig Betriebsräte dort ausrichten – und ihre bescheidenen Möglichkeiten schrumpfen weiter, wenn sie sich mit den Augen des Arbeitgebers sehen, der aus ihnen Werkzeuge seiner betriebswirtschaftlichen Planungen machen möchte. Sogar von gescheiten Leuten hört man oft den dummen Quatsch, dass Betriebsräte zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu vermitteln hätten. Die Mediatorenrolle in Auseinandersetzungen einzunehmen, welche dank der eigenen Passivität niemals stattfinden, mag indes eine lohnende Aufgabe sein, die eines Betriebsrats ist es nicht.


Am Anfang erfolgreicher Betriebsratstätigkeit steht die Weigerung, den Clown zu spielen, der beim Versuch, sich zwischen alle Stühle zu setzen, auf dem Hintern landet. Hier stimmt das Bibelwort: „Wärest du doch kalt oder heiß! Weil du aber lau bist, weder heiß noch kalt, will ich dich … ausspeien.“ Jedem Betriebsrat, der seinen Wählerauftrag ernst nimmt, muss klar sein, dass er letztlich nicht Vertreter und Verfechter jener Arbeitnehmerinteressen ist, die mit denen der Arbeitgeberseite übereinstimmen, sondern derer, die sich nur gegen ihren Widerstand durchsetzen lassen. Denn wo es keine Differenzen gibt, hat man auch nichts zu vertreten und verfechten.


Selbst wer das gesamte Instrumentarium betrieblicher Mitbestimmung dazu aufbietet, stößt jedoch just in den wichtigsten Fragen rasch an Grenzen. Er wird (wenn es z.B. um den Erhalt der Tarifverträge oder die Ausweitung des Ladenschlusses geht) mit Problemen konfrontiert, die die sozialen und politischen Rahmenbedingungen seiner Arbeit betreffen. Sie sind auf Betriebsebene nicht zu lösen. Hier ist gemeinsames solidarisches Handeln mit wesentlich weiterem Wirkungsradius nötig. Ganz besonders Betriebsratsmitglieder sollten deshalb alle legalen Möglichkeiten ausschöpfen, sich innerhalb und außerhalb ihrer Betriebe auch gewerkschaftlich zu betätigen.


Es ist daher stets verdächtig, wenn man von ihnen hört: „Ich habe in erster Linie an die Leute in meinem Betrieb zu denken, die mich gewählt haben.“ Natürlich liegen sie damit nicht falsch. Aber wenn das bedeuten soll, die Arbeitnehmer hätten dort momentan einfach irgendwie andere Interessen als die Arbeitnehmer überall sonst auf der Welt, steht zu befürchten, dass bei solch moderatem Streben weder jene Leute noch diese Welt gut wegkommen werden. 

Denn nur zusammen sind wir stark - und können etwas erreichen.



10 Kommentare:

  1. Sehr guter Artikel, der vieles auf den Punkt bringt. Ich möchte mich an dieser Stelle ausdrücklich bei unserem Münchener Betriebsrat bedanken, die kooperativ wenn möglich und konsequent wenn nötig unsere Interessen vertreten. Auch die enge Zusammenarbeit mit unserer Gewerkschaft ist positiv hervorzuheben, sonst sähe es so düster aus wie bei Rest-Hugendubel.

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  2. bei "Rest-Hugendubel" sieht es vor allem düster aus, weil jede aufzutreibende Mark in überflüssige Prestigeprojekte wie den Marienplatz gesteckt wird und andernorts Möbel aus der Zeit vor dem Großen Vaterländischen Krieg auf die Kunden warten. Der Rest paßt schon. Lieber ein paar Sonntage arbeiten und dafür nicht in Bayern leben müseen.

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    1. Mir scheint, da gehören nicht nur die Möbel in die "müseen". Ich finde den Münchener Betriebsrat auch total super, weil ich ihm angehöre. Aber man kann ihn auch loben, ohne ihn mit anderen zu vergleichen. Wer den Beitrag aufmerksam gelesen hat, sollte gemerkt haben, dass dort von Solidarität die Rede war; und im vorletzten Satz fällt sogar zweimal das Wort "Welt". Innerdeutsche Bruderkriege, glaube ich, passen da nicht dazu. Sie nützen vielleicht dem Arbeitgeber, aber uns bestimmt nicht.

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    2. Stimmt, Kollege! Es war aber im Zusammenhang mit dem Wörtchen Solidarität auch von gemeinsamem Handeln die Rede. Damit sieht es aber nicht nur in Rest-Deutschland, sondern auch in Rest-Bayern düster aus. Dass die Betriebsräte nicht viel auf der Pfanne haben, liegt auf der Hand. Nur Ingolstadt, Schweinfurt und Würzburg sind die großen Ausnahmen. Das muss schon mal gesagt werden.

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    3. In Bayern lebt man eigentlich nicht schlechter als überall anders auch. Der Unterschied ist nur, dass man am Sonntag kaum arbeitet. Wer also Sonntagsarbeit in Kauf nimmt, nur um nicht in Bayern leben zu müssen, zahlt vermutlich einen zu hohen Preis. Da sieht man mal wieder, dass uns Patriotismus weiterbringt.

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    4. Umsonst gibt nix und wenn dir eine Idee etwas wert ist, solltest du auch bereit sein, dafür in welcher Form auch immer zu "zahlen". Stichwort Bio und fair gehandelte Klamotten. Und zwei Sonntage im Jahr deren Überstunden ich fröhlich an Tagen abbummeln kann, wenn nicht so viele Touristen, Restaloholiker und Kinder unter wegs sind, sind wahrlich ein geringer Preis für einen Preuß

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    5. Nicht Patriotismus bringt uns weiter, sondern klare Kante zeigen in Sachen Sonntagsarbeit wie unser Betriebsrat in München.

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    6. Anonym vom Freitag, 10. August um 21:05:00Samstag, 11. August 2018 um 23:36:00 MESZ

      Du hast völlig Recht. Das wollte ich auch sagen. Ich habe bloß zwischen "Patriotismus" und "weiterbringt" das "nicht" vergessen. Sorry!

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  3. Wir haben in München einen tollen Betriebsrat. Deshalb ist die Situation für die Mitarbeiter noch ok. Meine Bitte an alle Betriebsratsmitglieder: Haltet zusammen gegen Lohndumping und Verschlechterung der Arbeitsbedingungen. Zusammen seid ihr stark.

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    1. Vor allem sollten sich das, was da steht, auch die Kolleginnen und Kollegen hinter die Ohren schreiben, die dauernd herumjammern, dass Betriebsrat und Arbeitgeber sich nur streiten würden. Sie sollten wissen, dass zuviel Harmonie wahrscheinlich schädlicher ist als zu wenig.

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