Von betrieblicher Mitbestimmung profitieren sowohl Beschäftigte als auch das gesamte Unternehmen
Das zeigt eine Auswertung der Forschungsliteratur.
Dieses Jahr stehen wieder Betriebsratswahlen an: Von Anfang März bis Ende Mai sind Arbeitnehmer in zahlreichen Unternehmen aufgerufen, über die Zusammensetzung ihrer betrieblichen Interessenvertretung abzustimmen. Wer sich an der Wahl beteiligt, nimmt ein demokratisches Grundrecht in Anspruch – und stärkt gleichzeitig eine Institution, der wirtschaftswissenschaftliche Studien erheblichen Nutzen bescheinigen. Den aktuellen Stand der Forschung zur betrieblichen Mitbestimmung in Deutschland haben Uwe Jirjahn von der Universität Trier und Stephen Smith von der George Washington University zusammengefasst. In ihrem Literaturüberblick gehen sie sowohl auf theoretische Argumente als auch auf empirische Befunde ein. Die positiven Effekte – unter anderem auf Produktivität, Löhne und Beschäftigungsstabilität – überwiegen demnach deutlich, wobei die Stärke dieser Effekte zum Teil von den betrieblichen Umständen abhängt.
Ein Sprachrohr für Beschäftigte
Bei der theoretischen Auseinandersetzung mit Arbeitnehmervertretungen spielt den Autoren zufolge der sogenannte Exit-Voice-Ansatz eine wichtige Rolle. Demnach haben Beschäftigte, die unzufrieden mit ihrem Job sind, grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Sie können entweder kündigen – also die Exit-Option wählen – oder sich bei ihren Vorgesetzten beschweren und für Verbesserungen einsetzen. Effizienter wäre die zweite Option: Nur wenn Arbeitnehmer ihre Bedürfnisse artikulieren, kann das Management darauf eingehen. Zudem ist eine hohe Personalfluktuation kostspielig. Das Problem: Einzelne Beschäftigte haben wenig Anreiz, allein für Änderungen zu streiten, von denen dann alle Kollegen profitieren. Ein Betriebsrat dagegen kann als kollektives Sprachrohr die Bedürfnisse der Belegschaft aufgreifen und kommunizieren und so zu weniger Fluktuation, mehr Motivation und erhöhter Kooperationsbereitschaft beitragen.
Betriebsräte schaffen Vertrauen
Auch mit Blick auf das Problem der „unvollständigen Verträge“ erscheine betriebliche Mitbestimmung sinnvoll, schreiben Jirjahn und Smith. Demnach ist es unmöglich, in einem Arbeitsverhältnis alle Details vertraglich zu regeln und damit einklagbar zu machen. Beschäftigte müssen darauf vertrauen, dass ihr Arbeitgeber sich an Zusagen hält und vertragliche Leerstellen nicht zu seinen Gunsten ausnutzt. Wenn dieses Vertrauen fehlt, haben Betriebe ein massives Problem. Eine Beförderung als Belohnung für bestimmte Leistungen in Aussicht zu stellen, funktioniert beispielsweise nur dann als Anreiz, wenn die Arbeitnehmer nicht befürchten müssen, übers Ohr gehauen zu werden. Betriebsräte mit klar definierten Informations- und Mitbestimmungsrechten, die die Interessen der Belegschaft wirksam vertreten und die Einhaltung von Versprechen durchsetzen können, ermöglichen dem Arbeitgeber glaubwürdige Selbstverpflichtungen.
Neben den Eigentümern eines Unternehmens können auch Manager oder Vorgesetzte Vertrauen missbrauchen – etwa indem sie Schmeichler und Günstlinge fördern statt kompetente Beschäftigte oder indem sie Untergebene willkürlich schlecht behandeln. Betriebsräte können laut der Literaturstudie zur Vermeidung solcher Missstände beitragen, indem sie direkte Kommunikation mit der Unternehmensleitung ermöglichen, die nicht durch Vorgesetzte gefiltert wird.
Inwieweit die Vorteile von Arbeitnehmervertretungen tatsächlich zum Tragen kommen, dürfte von den Rahmenbedingungen in den Betrieben abhängen, so die Ökonomen. Während von reibungslos funktionierender Mitbestimmung in der Regel beide Seiten profitieren, sind auch Situationen denkbar, in denen die positiven Effekte geringer ausfallen oder durch Konflikte komplett zunichtegemacht werden. Beispielsweise dann, wenn Manager eher an kurzfristiger Profitmaximierung als an dauerhafter Zusammenarbeit interessiert sind oder Mitbestimmung grundsätzlich ablehnen, weil sie um Status und Macht fürchten.
Da die Vorteile der betrieblichen Mitbestimmung auf der Hand liegen und auch empirisch nachweisbar sind, könnte man auf die Frage kommen, warum das Betriebsverfassungsgesetz überhaupt nötig ist. Eine wirtschaftlich sinnvolle Institution, so ein gängiges Argument, würde sich am Markt auch ohne gesetzlichen Zwang durchsetzen. Um zu erklären, warum sich Arbeitgeber und Beschäftigte nicht freiwillig auf die Einführung einer Arbeitnehmervertretung einigen, wird in der Literatur zum einen auf die Schwierigkeit entsprechender Verhandlungen verwiesen. Einer Vereinbarung stünden genau die Informationsprobleme im Weg, zu deren Lösung Betriebsräte beitragen sollen.
Ein anderes Argument läuft darauf hinaus, dass Mitbestimmung nur funktioniert, wenn ausreichend viele Unternehmen mitmachen. Das liegt unter anderem daran, dass die Vorteile in Form von mehr Vertrauen und Kooperation sich eher langfristig einstellen, also eine gewisse Jobsicherheit voraussetzen. Auf Kündigungen zu verzichten, kann in einer Rezession kurzfristig allerdings ziemlich kostspielig sein. Es wird für einzelne Betriebe noch teurer, wenn alle anderen Unternehmen massenhaft Beschäftigte entlassen und so die gesamtwirtschaftliche Nachfrage noch weiter schwächen. Wenn dagegen ein Großteil der Arbeitgeber von Beschäftigungsabbau absieht, stabilisiert sich die Nachfrage und die Rezession fällt milder aus. Dass Deutschland in der jüngsten Finanzkrise vergleichsweise glimpflich davon gekommen ist, könnte nach Ansicht der Autoren auf diesen Zusammenhang zurückzuführen sein.
Als Rechtfertigung für gesetzliche Vorgaben könnten aus theoretischer Sicht auch nicht-ökonomische Effekte dienen. Denkbar erscheint beispielsweise, dass Betriebsräte sich für Umweltschutzmaßnahmen ihres Arbeitgebers einsetzen, wenn Schadstoffe die Gesundheit der Beschäftigten oder ihrer Familien gefährden. Darüber hinaus spricht einiges dafür, dass Partizipation am Arbeitsplatz die Fähigkeit und die Bereitschaft fördert, sich auch außerberuflich politisch oder sozial zu engagieren.
Vorteile sind empirisch gut belegt
Aktuelle empirische Studien, die auf umfangreichen Datensätzen beruhen, können überwiegend positive Effekte auf diverse Dimensionen des Unternehmenserfolgs nachweisen, so Jirjahn und Smith. Betriebsräte tragen demnach zu mehr Produktivität, höheren Löhnen und steigenden Renditen bei. Zudem können mitbestimmte Betriebe mit mehr ökologischen Investitionen und schrittweisen Innovationen, Weiterbildung und dualer Ausbildung aufwarten. Die Personalfluktuation nimmt ab, es gibt weniger Arbeitskräftemangel, dafür mehr familienfreundliche Praktiken und flexible Arbeitszeitmodelle.
Die Stärke dieser Effekte hängt von verschiedenen Umständen ab. Der Einfluss auf den wirtschaftlichen Erfolg scheint besonders groß bei Unternehmen in Krisen zu sein. Die Befunde zur Betriebsgröße fallen widersprüchlich aus, zum Teil deuten sie darauf hin, dass große Firmen überdurchschnittlich profitieren. Einigkeit besteht in der Literatur hinsichtlich der Rolle von Tarifverträgen: Tarifgebundene Betriebe haben mehr von Mitbestimmung. Auch die Einstellung der Geschäftsführung wirkt sich aus: Feindselige Manager beeinträchtigen das erfolgreiche Funktionieren. Besonders schwer scheinen es Betriebsräte in inhabergeführten Unternehmen zu haben, wo der Herr-im-Haus-Standpunkt offenbar weit verbreitet ist.
Auch wenn ausländische Eigentümer das Zepter führen, fallen die positiven Effekte geringer aus. Laut den Forschern dürfte das daran liegen, dass Betriebsräte keinen Zugang zu Informationen beim Mutterkonzern haben und dass umgekehrt die dortigen Manager vergleichsweise wenig über die lokalen Gegebenheiten wissen. Zudem seien ausländische Investoren oft eher an kurzfristigen Profiten interessiert. Andererseits scheinen Beschäftigte von Unternehmen mit ausländischen Eigentümern ein ausgeprägtes Bedürfnis nach einer Interessenvertretung zu haben: Der Anteil der mitbestimmten Betriebe ist höher als unter vergleichbaren Firmen in einheimischem Besitz.
Lernprozesse spielen der Literaturauswertung zufolge eine wichtige Rolle: Das Risiko einer feindseligen Beziehung zum Management nimmt mit steigendem Alter des Betriebsrats ab, der Einfluss auf Entscheidungen, für die das Gesetz eigentlich keine Mitbestimmungsrechte vorsieht, nimmt zu, der Produktivitätseffekt steigt, es kommt zu weniger Kündigungen. Nach etwa 30 Jahren scheint sich diese Entwicklung allerdings zum Teil wieder umzukehren.
Generell können Arbeitnehmervertretungen zu mehr Lohngleichheit beitragen: Empirische Untersuchungen kommen zu dem Ergebnis, dass die Gehaltsdifferenz zwischen Hoch- und Geringqualifizierten in mitbestimmten Betrieben geringer ausfällt. Das Gleiche gilt für die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen.
Quelle:
https://www.boeckler.de/112627_112634.htm
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