Mittwoch, 21. November 2018

Wissen, das der Wahrheit standhält


Über Kurt Eisner und die Nachhaltigkeit von Wissen


Michaela Dietl, Wolfram P. Kastner  und Schorsch Wäsler 
vom Verein Das andere Bayern e.V.  installieren ein Schild für Kurt Eisner

Die Frage, ob es einen Zusammenhang zwischen Wissen und nachhaltiger Wirkung von Revolutionen gibt, erklärt sich von selbst. Ohne Wissen kein Handeln und ohne Handeln kein Wissen. Welches Wissen bewirkt aber ein Handeln im Interesse der Mehrheit der Menschen? Welches Wissen stellt den Menschen als unantastbares, wertvolles, lern- und gestaltungsfähiges Wesen in den Mittelpunkt? Was muss man wissen, um sich für Frieden, für Freiheit, für Gleichheit, für Gerechtigkeit einzusetzen? Welches Wissen hilft Brücken zu bauen und Mauern einzureissen? Welches Wissen begreift Jede und Jeden als kulturell gleichwertiges Wesen unabhängig vom Ansehen der Person? Gibt es ein notwendiges Maß an Wissen?

Ja, es gibt auf jeder Stufe der Gesellschaft ein notwendiges Maß an Wissen, das eine soziale, politische und kulturelle Beteiligung ermöglicht. In diesem Sinne stimmt es, dass Wissen eine notwendige Bedingung zum Handeln ist. Aber eben nur eine notwendige, nicht eine hinreichende Bedingung. Die hinreichende Bedingung ist Überzeugung.



Ich zitiere einen Beteiligten der Münchner Revolution von 1918, erster Redner der KPD im bayrischen Landtag, später SPD-Abgeordneter und politischer Lehrer junger Gewerkschafter, Otto Graf: “Nur wer erschüttert ist, kann erschüttern, nur wer überzeugt ist, kann überzeugen”. Und: Es kommt immer auf den Standpunkt an. Victor Adler 1907: „Wähler zu gewinnen ist nützlich und notwendig: Sozialdemokraten zu erziehen ist nützlicher und notwendiger.“

Damit Menschen menschenwürdig handeln, in der Arbeit, in allen sozialen Zusammenhängen, vor allem in der Politik braucht es einen organisierten, einen kollektiven Rahmen, braucht es Lernorte und LehrerInnen, braucht es die Überzeugung, dass die menschliche Natur zu menschenwürdigem Handeln fähig ist. In diesem Sinn hat Wilhelm Liebknecht recht: Macht ist Wissen. Wer immer über die Mächtigkeit der Wissensvermittlung verfügt, trägt eine hohe Verantwortung, eine Verantwortung, der er nur durch eine humanistische Überzeugung gerecht werden kann. Er trägt auch ein hohes Risiko, wenn er sich mit herrschenden Interessen anlegt.





Das gilt für Kurt Eisner, ermordet von einem aus der Kaste, vor der sich der bayrische Ministerpräsident ausgerechnet am 7. November 2018 verbeugt hat, für Gustav Landauer, erschlagen in Stadelheim, für die großartige Denkerin, Rednerin und Politikerin Rosa Luxemburg, für die Revolutionäre in den Bauernkriegen, stellvertretend Joß Fritz , Wendin Hipler und Michael Geissmeier, in Frankreich für Marat und Robespierre, das gilt für die Geschwister Scholl und Professor Huber und den viel zu Wenigen anderen Wissensträger, die sich gegen die Nazis gestellt haben, das gilt in Gewerkschaften, genannt seien hier die IG Metaller Klaus Dürbeck und Wilhelm Leuschner, der vor seiner Ermordung durch die Nazis zur Einheitsgewerkschaft mahnt. Das gilt auch für Menschen, die im kalten Krieg in beiden deutschen Republiken im Sinne von Rosa Luxemburg den Respekt vor Andersdenkenden aufrecht erhalten haben und darum verfolgt und benachteiligt wurden.

Wissen muss schonungslos vor der Wahrheit standhalten können. Das gilt für Geschichte und Gegenwart. Was soll man von jemandem halten, der sich auf den selbstverschuldeten Trümmern der Politik gerade ein Kabinett zusammengestellt hat, bei der Festrede zum Freistaat dessen Gründer unterschlägt, um anschließend der Gemsbart- und Lederhosenfraktion die Hände derer zu schütteln, die noch nie für die Schandtaten des Massakers ihrer Vorgänger von 1919 Abbitte geleistet haben. So legt man denen den Teppich aus, die mit dem Kot ihrer Dummheit und Böswilligkeit die Freiheitsfahne von 1848 besudeln.

Rechtsradikalismus ist vor dem Hintergrund der Geschichte weder tolerierbare Meinung noch Überzeugung, es ist Verbrechen in Gedanken, Worten und Taten.

Für die Bildungs- und InformationsarbeiterInnen im Staat, in den Stiftungen, Gewerkschaften und Kirchen gilt dieser radikale Anspruch zur Wahrhaftigkeit, zum Respekt vor den Menschen. Nicht die Menge an Wissen, an Paragrafen und anderen Daten entscheidet über gute Bildung, sondern Wissen, das den Menschen auf dem Weg zu Freiheit, Gleichheit und Solidarität hilfreich ist, dem eigenen Handeln Mut macht und so Überzeugungen formt und verstärkt.


Auszug aus der Rede von Fritz Schmalzbauer am 14. November 2018 in der Rathausgalerie in München über "Nachhaltiges Wissen und Revolution" innerhalb der Reihe "Die Freiheit erhebt ihr Haupt" - Die Münchner Revolution 1918/19.





3 Kommentare:

  1. An der Überzeugung, wenn vielleicht am Wissen, scheint es vielen derer, die rechtsradikal sind oder Euch scheinen, nicht zu mangeln. An Wissen und Überzeugung scheint es vielen, die da draußen im grauen November herumlaufen, gewiß zu mangeln. Wie genau soll den Menschen, die ihre Nachrichten aus der Timeline von Twitter, Tinder & co entnehmen, das notwendige Wissen überhaupt eingegeben werden? "Die Mächtigen" werden das nicht tun. Ich denke, selbst im Blog werden viele diesen Artikel nicht zu Ende lesen, weil er nicht konkret Antwort gibt auf die Frage, wann denn dieser vielbeschworene Streik endlich steigt. Was zu beantworten ohnehin nicht Aufgabe eines Artikels hier wäre. Die Mehrheit da draußen hat anscheinend keinen Bedarf an Information und daher bekommt sie genau die "Mächtigen", die sie nun hat.

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    1. Im obigen Text geht es Wissen, das zu politischem Bewußtsein und zu politischen Handeln führt. Es geht um Menschen und Orte, in denen die Vermittlung dieses Wissens stattfinden kann. Dieser Raum kann z.B. die Gewerkschaft sein. Gewerkschaftsmitglieder können sich informieren, sich austauschen, sich in Seminaren Wissen verschaffen, um ökonimische Prozesse besser zu verstehen und der Kapitalseite Widerstand leisten zu können. Bildung hatte deswegen in der Arbeiterbewegung immer einen sehr hohen Stellenwert. Diese Tradition müßte wieder erneuert und vitalisiert werden.

      Wissen wird deswegen nicht "eingegeben", sondern zusammen erabeitet. Es gehört außerdem zur Eigenverantwortung jedes erwachsenen Menschen, nicht jeden auf jeden Dreck im Internet hereinzufallen.

      Außerdem hat d i e s e r Artikel - was du selber konstatierst - nicht die Aufgabe Streiktermine durchzugeben. Das wird hier, aber an anderer Stelle geschehen. Dieser Artikel hat vielmehr die Aufgabe, klarzumachen, warum man sich vielelicht überhaupt an einem Streik beteiligen siollte.

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  2. Mir ist das noch ein bisschen zu einfach. Da ist auf der einen Seite der gute alte Elitismus, der auf die doofe Majorität und das doofe Internet herabschaut. Auf der anderen Seite die Tradition der Arbeiterbildungsvereine und Gewerkschaften, die revitalisiert werden müßte. Das Problem ist aber doch, dass es hier nicht um Informiertheit, sondern um etwas geht, zu dem die Menschen gerade aufgrund ihrer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Situation den Draht verloren haben: einen Humanitätsanspruch, eine Wahrhaftigkeit und ein Wissen, "das den Menschen auf dem Weg zu Freiheit, Gleichheit und Solidarität hilfreich ist, dem eigenen Handeln Mut macht und so Überzeugungen formt und verstärkt." Deshalb hilft es zwar bestimmt nichts, über die Dummheit der Menschen und ihr Lieblingsmedium zu schimpfen - Kacke ist ja auch nicht, dass es ein Internet gibt, sondern schlimmstenfalls, was die Leute reinschreiben. Aber auch eine gewerkschaftliche Bildungsarbeit, wie man sie heute betreibt, wird kaum dazu geeignet sein, Menschen wirklich aufzuklären. Mitbestimmungsrechte von Betriebsräten, Fragen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes, des Arbeitsrechtes und vieles mehr, was da (arbeitgeberfinanziert und in Konkurrenz mit anderen kommerziellen Veranstaltern) so angeboten wird, das allein beflügelt doch niemanden, ernsthaft und mutigfür eine menschlichere und gerechtere Gesellschaft einzustehen. Ganz im Gegenteil: hier wird vorausgesetzt, dass es nur noch ein paar Korrekturen brauche - und dann sei alles bestens. Hier müssen alle, die mit Bildung zu tun haben - und vor allem Gewerkschafter - erst einmal ehrlich mit sich selber sein und sich fragen, worum es ihnen geht und wo sie am Ende hinwollen.

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