Vom Buchhändler zum Gewerkschaftssekretär: Interview mit Benjamin Roscher
Infoblog: Dein Start ins Berufsleben begann bei Hugendubel in Berlin?
Benjamin Roscher: Ich begann meine Ausbildung 2007 in der Filiale Potsdam, übernommen wurde ich nach Beendigung dann in die Filiale Berlin Steglitz.
Infoblog: Du hast Dich während Deiner Ausbildung in der JAV und auch gewerkschaftlich engagiert. Das ist in der Buchhandelsbranche keine Selbstverständlichkeit. Woher kam die Motivation für dieses Engagement?
Benjamin Roscher: In meinem ersten Jahr bei Hugendubel durfte ich direkt lernen, was selbstständiges Arbeiten bedeutet, damals wurde in diesem Unternehmen tatsächlich in den einzelnen Abteilungen noch „gehandelt“, sprich der Einkauf hatte für alle Kolleginnen und Kollegen einen hohen Stellenwert. Mit der Einführung des elektronischen Warenwirtschaftssystems wurde uns ein wichtiger Aufgabenteil entzogen, der Buchhandel wurde meiner Meinung nach standardisierter, leider aber auch unpersönlicher.
Ich erwartete Nachteile für die Ausbildung, da mir eine dem Beruf wichtige Kompetenz entzogen worden ist, so entschloss ich mich für die Arbeit in der Jugend- und Auszubildendenvertretung, damals noch mit über 25 Azubis in Berlin/Brandenburg. Die Mitgliedschaft in ver.di folgte nur ein paar Wochen später, da sie mir von Anfang an kompetent zur Seite stand.
Infoblog: Jetzt arbeitest Du als Gewerkschaftssekretär bei ver.di in Braunschweig. Wie sah Deine Ausbildung zum hauptamtlichen Mitarbeiter aus?
Benjamin Roscher: 2012 begann ich meine Arbeit zuerst einmal bei der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie als JAV- und Jugendreferent, nachdem ich bei Hugendubel eine Regelung aus dem Sozialplan und Interessenausgleich in Anspruch genommen habe (Filialschließungen Berlin) und stellvertretend für andere Kolleginnen und Kollegen den Hut nahm.
Anstrengende Wochen mit langen aber auch schönen Tagen in Bildungsstätten folgten, bei der IG BCE war ich dann in der Jugendarbeit in den Bundesländern Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern zuständig. Und als ich ein Jahr darauf zu ver.di kam, na unsere Mitglieder kennen ja unsere umfangreichen Seminarprogramme.
Infoblog: Du betreust den Fachbereich 13 "Besondere Dienstleistungen" im ver.di-Bezirk Region Süd-Ost-Niedersachsen und Lüneburger Heide. Was kann man sich darunter vorstellen?
Benjamin Roscher: Rechtsberatungen im kollektiven und individuellem Arbeitsrecht, Betreuung von über 3.000 Mitgliedern in etwas über 200 Betrieben inklusive knapp 30 Betriebs- und Personalräten. Organisation und Durchführung von Tarifverhandlungen, Aktionen, Streiks und vielem mehr im Fachbereich 13, welcher sich unter anderem aus den Branchen Wohnungswirtschaft, Touristik, dem Sicherheitsgewerbe, Prüfgesellschaften, dem Friseurhandwerk, der Zeitarbeit und vielen weiteren zusammensetzt.
Infoblog: Du hast eine erfolgreiche Organizing-Kampagne bei dem Call-Center-Betreiber Simon & Focken durchgeführt. Was heißt "Organizing"? Wie sah die Kampagne aus? Welche Resultate wurden erreicht?
Benjamin Roscher: Für mich ist Organizing eine Methode zur Stärkung der Durchsetzungskraft im Betrieb, indem wir die Beschäftigten eines Unternehmens für ihre Interessen sensibilisieren und aktivieren. Organizing schafft Verständnis und Beteiligung, es lebt von besonderen Aktionen im Betrieb.
Bei Simon & Focken, einem Call Center mit knapp 600 Beschäftigten in Braunschweig, war die erstmalige Wahl eines Betriebsrates unser Ziel. Die Kolleginnen und Kollegen waren verängstigt, eine Betriebsversammlung zur Wahl des Wahlvorstandes einige Jahre zuvor bereits erfolgreich verhindert worden. Diesmal war klar: Bevor wir die BR-Wahlen einleiteten, brauchten wir eine klare Mehrheit in der Belegschaft. Gewerkschaft war im Betrieb negativ besetzt, die Leute hatten Angst vor Kündigungen.
Begonnen haben wir mit einem sehr kleinen Kreis an interessierten Beschäftigten, wir besprachen Wege und Formen der Mitgliederwerbung, ich klärte sie über ihre Arbeitnehmerrechte auf und sie gaben mir einen tieferen Einblick in die teils erschreckenden Arbeitsbedingungen. Durch persönliche Gespräche am Arbeitsplatz wuchs der aktive Kreis und es gab eine erste große Flugblattverteilung, Aktionen mit Sprühkreide am Firmengelände folgten. Aber auch die Geschäftsführung hat seinen Beitrag dazu geleistet, die Reaktionen und internen Schreiben gegen ver.di hat sehr viel zur Sensibilisierung beigetragen, eigentlich müssten wir dem Unternehmen dafür danken. Mittleiweile haben wir einen ver.di-Vertrauskörper, die Kolleginnen und Kollegen sitzen im ver.di-Fachbereichsvorstand und vertreten ihre Interessen auch innerhalb unserer Organisation ausgezeichnet.
Erfolge konnten wir in nun fast eineinhalb Jahren einige verbuchen, kollektiv wie individuell für einzelne Mitglieder, denn seitdem wir stark präsent sind, passt auch der Arbeitgeber deutlich besser auf und scheint sich zumindest zu bemühen. Dazu trugen aber auch die vielen Einzelverfahren mit unserem ver.di-Rechtsschutz bei. Meist geht es dabei um Zahlungsforderungen, Arbeitszeugnisse, Abmahnungen und immer wieder legen wir auch Kündigungsschutzklagen ein.
Der kollektive Erfolg ist der erstmalig gewählte Betriebsrat, in dem eine Mehrheit an ver.di-Mitgliedern besteht, womit wir nun auch für die Zukunft gut aufgestellt sind.
Infoblog: Ihr habt auch auf Social Media gesetzt, oder?
Benjamin Roscher: Ja, unsere Wahl lag zwischen einem Blog und facebook. Für facebook haben wir uns entschieden, da die Verwaltung einfacher zu handhaben ist, passende Fremdinhalte können schneller und viraler verbreitet werden.
Infoblog: Stichwort Social Media: Wie siehst Du eigentlich im Rückblick auf Deine Zeit bei Hugendubel unseren Hugendubel-Infoblog?
Benjamin Roscher: Es wurde eine erfolgreiche Gegenkommunikation geschaffen und Strategien der Geschäftsführung konnte früh genug entgegnet werden und ich bin froh darüber, seit Beginn an dabei gewesen zu sein.
Infoblog: Wenn Du die Situation bei Hugendubel (was z.B. gewerkschaftliche Aktivitäten angeht) mit anderen Unternehmen oder Branchen vergleichst: Wo gibt es Gemeinsamkeiten? Wo gibt es Unterschiede?
Benjamin Roscher: Unternehmen anderer Branchen lassen sich nur schlecht mit dem Buchhandel vergleichen. Für gewerkschaftliche Aktivitäten braucht es immer eine affine Belegschaft, welche sich für ihre Interessen auch offensiv einsetzt. Vergleichbar ist die oft verbreitete Resignation der Beschäftigten, welche dann einerseits demotiviert an die Arbeit gehen, andererseits aber auch selbst sich innerlich vom Arbeitgeber verabschieden. Kündigt ein Arbeitgeber nach und nach Teilen der Beschäftigten, wird es schwieriger die Verbliebenen auf die Straße zu kriegen.
Infoblog: Zum Abschluß eine grundsätzliche Frage: Was ist die wichtigste Erkenntnis (oder die größte Überraschung) aus Deiner bisherigen Tätigkeit als Gewerkschaftssekretär?
Benjamin Roscher: Überraschungen gibt es täglich. Eine wichtige Erkenntnis? Es ist oftmals einfacher mit den Rechtsanwält_Innen der Gegenseite zu verhandeln, als direkt mit sturen Arbeitgebern.
Infoblog: Lieber Benny, wir danken Dir für das Gespräch und wünschen Dir alles Gute!
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