Donnerstag, 12. Juli 2012

Betriebsrat Wanninger

Ein Dramolett, frei nach Karl Valentin

Betriebsrat Wanninger sitzt im Betriebsratsbüro und wählt auf einem älteren Telefon, das noch mit Wählscheibe funktioniert, eine Nummer. Für alle Fälle liegen Kugelschreiber und Notizblock bereit. 

Schwester Immaculata: Ein herzliches Grüß Gott! Erzbischöfliches Ordinariat, Pforte, die Schwester Immaculata ist am Apparat!

Betriebsrat Wanninger: "Guten Tag, mein Name ist Wanninger. Ich bin Betriebsrat bei Hugendubel und Mitglied der dortigen Kommission für einen Sozialtarifvertrag. Wir hatten dem Hochwürdigsten Herrn Kardinal Marx vor drei Monaten einen Brief geschrieben und ihn um einen Gesprächstermin gebeten.
Bislang haben wir von ihm noch nichts gehört. Könnten Sie mich mit ihm vielleicht verbinden?"



Schwester Immaculata: (kommt aus Niederbayern, sitzt schon seit 30 Jahren an der Pforte und ist die Liebenswürdigkeit in Person, wenngleich sie auch energisch werden kann, sollte die Situation es erfordern) "Ich bin sicher, daß unser Hochwürdigster Herr Kardinal für Ihr Anliegen durchaus Verständnis haben wird. Ich verbinde Sie mit Kaplan Huber. Der wird Ihnen weiterhelfen.

Betriebsrat Wanninger: "Aber..."


Schwester Immaculata: "Gelobt sei Jesus Christus! ..."


Betriebsrat Wanninger: (als früherer Ministrant antwortet er sofort reflexartig): "... in Ewigkeit Amen!"


Schwester Immaculata: "Pfüad Eana! ..."

Betriebsrat Wanninger: "Servus..."

(Stille. Nur das Rauschen der Leitung ist zu hören. Wanninger fängt an, mit den Fingern seiner linken Hand auf die Tischkante zu trommeln).



Kaplan Hofer: (kommt aus Südtirol, d.h. spricht deutsch und italienisch perfekt, ist ein guter Skifahrer und kennt sich mit dem Internet aus. Sitzt deswegen in der Medienabteilung des Erzbischöflichen Ordinariats) "Grüß´Sie, Herr Wanninger. Schwester Immaculata hat mir Ihr Gespräch anvertraut.. .

Betriebsrat Wanninger: "... ja, hier Wanninger, Betriebsrat bei Hugendubel. Wissen Sie, Herr Kaplan, ich rufe an wegen dem Sozialtarifvertrag und wegen dem persönlichen Gespräch mit dem Herrn Kardinal...".

Kaplan Hofer: "....wenn ich Sie kurz unterbrechen darf, Herr Betriebsrat. Ich versichere Ihnen, daß unserem Hochwürdigsten Herrn Kardinal die Sorgen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sehr am Herzen liegen! Ich verbinde Sie deswegen gleich mit Monsignore Meisenbeck. Der wird Ihnen weiterhelfen. Moment bitte...".

(Stille. Nur das Rauschen der Leitung ist zu hören. Wanninger drückt in steigender Geschwindigkeit auf den Knopf seines Kugelschreibers und beginnt in seinen Notizblock geometrische Figuren zu kritzeln).





Monsignore DDr. Meisenbeck: (hat ein Doppelstudium der Theologie und des Kirchenrechts erfolgreich mit einer Doppelpromotion abgeschlossen und einen Master of Business Administration an der von Opus Dei geleiteten Business School in Barcelona als Zusatzqualifikation erworben. Er ist die rechte Hand der rechten Hand des Kardinals) "Guten Tag, Herr Wanninger. Kaplan Hofer hat unser Gespräch in meine Hände gelegt..."

Betriebsrat Wanninger: (unterbricht ihn) "Ja hier Wanninger, Hugendubel. Können Sie mich zum Kardinal durchstellen?"

Monsignore DDr. Meisenbeck: (kalt und knapp) "Nein."

Betriebsrat Wanninger: (einen Augenblick irritiert wegen der Kürze der Antwort) "Nein?"

Monsignore DDr. Meisenbeck: "Unser Hochwürdigster Herr Kardinal hat einen randvollen Terminkalender, so dicht, daß ich es fast unmenschlich nennen möchte. Unmöglich."

Betriebsrat Wanninger: "Vielleicht in drei Monaten? Wir würden uns bei der Planung nach ihm richten...".

Monsignore DDr. Meisenbeck: "Vielleicht. ich möchte es nicht ausschließen. Ich werde Ihr Anliegen an unseren Generalvikar DDr. Sehr weiterleiten. Er wird zu gegebener Zeit auf Sie zukommen und mit Ihnen abklären, wann und wie ein Gespräch zwischen dem Betriebsrat von Hugendubel und dem Hochwürdigsten Herrn Kardinal stattfinden kann und sinnvoll ist."

Betriebsrat Wanninger: (versucht zu widersprechen) "Aber...".

Monsignore DDr. Meisenbeck: (kalt, schneidend und scharf) "Don´t call us. We call you." (Legt auf).

(Stille. Nur das Rauschen der Leitung ist zu hören. Wanninger hat im selben Moment seinen Hugendubel-Kugelschreiber zerstört, indem er ihn mit der linken Faust in die Tischplatte rammt).





Drei Monate später...



Betriebsrat Wanninger sitzt im Betriebsratsbüro und wählt auf einem älteren Telefon, das noch mit Wählscheibe funktioniert, eine Nummer. Laut Betriebsverfassungsgesetz steht dem Betriebsrat ein Telefon zu. Auf welchem Stand der Technik das Telefon zu sein hat, ist im Betriebsverfassungsgesetz nicht geregelt. Für alle Fälle liegen Kugelschreiber und Notizblock bereit. 


CCCCC: (eine angenehme weibliche Stimme meldet sich, deutlich jünger klingend als Schwester Immaculata) "Guten Tag! Sie sind mit dem Catholic Cybernetic Communication Control Center verbunden. Wir werden Ihnen weiterhelfen."

Betriebsrat Wanninger: (irritiert wegen der durchaus erotischen Stimme, die ihn irgendwie an Susi aus Rudi Carrells Herzblatt-Show erinnert und weil er die englische Fachbezeichnung nicht ganz verstanden hat) "Guten Tag, mein Name ist Wanninger. Ich bin Betriebsrat bei Hugendubel und Mitglied der...".
CCCCC: (die Stimme geht darauf nicht ein und fährt fort) "Lieber Kunde! Das Catholic Cybernetic Communication Control Center operiert auf kybernetisch-phonetischer Basis, um Ihr Anliegen schnell und effizient bearbeiten zu können. Bitte nennen Sie uns Ihr individuelles Passwort!"
 
Betriebsrat Wanninger: (weiß nicht, was er sagen soll): "Ähh...".
 
CCCCC: (wiederholt) "Bitte nennen Sie uns Ihr individuelles Passwort!"


Betriebsrat Wanninger: (hat plötzlich eine seiner spontanen Ideen, die er für kreativ hält, die aber bei seinen Kollegen  und vor allem bei seinen Kolleginnen im Betriebsrat gefürchtet sind) "Oachkatzlschwoaf!"
 
CCCCC: (stoisch) "Bitte verwenden Sie Standarddeutsch."
 
Betriebsrat Wanninger: (hartnäckig) "Eichhörnchenschweif."
 
CCCCC: "Bitte nennen Sie uns Ihr individuelles Passwort, das aus höchstens neun Buchstaben bestehen darf!"
 
Betriebsrat Wanninger: (reißt der Geduldsfaden) "Sakrament!"
 
CCCCC: "Danke."
 
Betriebsrat Wanninger: (holt tief Luft, um zu einer wütenden Tirade anzusetzen)


CCCCC: "Sie befinden Sich jetzt im Hauptmenü. Bitte sprechen Sie deutlich die Ziffer des Sie betreffenden Hauptmenü-Unterpunktes in den Telefonhörer!"

Betriebsrat Wanninger: (atmet wieder aus).

CCCCC:  Wenn Sie in die Glaubensgemeinschaft der heiligen katholischen Kirche eintreten möchten, sprechen Sie bitte die "EINS".

Stille. Nur das Rauschen der Leitung und das Atmen des Betriebsrates ist zu hören.

CCCCC: Wenn Sie sich für einen geistlichen Beruf interessieren oder einer Ordensgemeinschaft beitreten wollen, sprechen Sie bitte die "ZWEI".
 
Stille. Nur das Rauschen der Leitung und das Atmen des Betriebsrates ist zu hören.


CCCCC: Wenn Sie sich mit einer Spende an der weiteren Ausschmückung des sich im Besitz unserer Erzdiözese befindenden römischen Stadtpalastes beteiligen möchten, damit müde Pilger ihr Haupt in der Nähe des Heiligen Vaters betten könnnen, sprechen sie bitte "DREI" und geben Sie Ihre Kontonummer an.

Stille. Nur das Rauschen der Leitung und das Atmen des Betriebsrates ist zu hören.

CCCCC: "Wenn Sie eine Reservierung für die nächste Feldkreuzeinweihung durch unseren Hochwürdigsten Herrn Kardinal  tätigen möchten, sprechen Sie bitte die "VIER".

Stille. Nur das Rauschen der Leitung und das Atmen des Betriebsrates ist zu hören.


CCCCC: "Wenn Sie eine Idee haben, wie man mittels Strukturreform geräuschlos 50 Pfarreien zusammenlegen, durch einen einzigen Priester betreuen und gleichzeitig Laien aus allen Funktionen raushalten kann,sprechen Sie bitte die "FÜNF".

Stille. Nur das Rauschen der Leitung und das Atmen des Betriebsrates ist zu hören.


CCCCC: "Wenn Sie unserer lokalen Inquisitionsabteilung einen unzüchtigen Titel auf der Hugendubel-Internetseite oder uns eine lesbische Kindergärtnerin nennen möchten, sprechen Sie bitte die "SIEBEN".

Stille. Nur das Rauschen der Leitung und das Atmen des Betriebsrates ist zu hören.


CCCCC: "Für den Hauptmenü-Unterpunkt "Sonstige Anliegen" sprechen Sie bitte die "ACHT".

Betriebsrat Wanninger: "ACHT!"

CCCCC: "Sie haben dafür 5 Sekunden".

Betriebsrat Wanninger: "Saubande, dreckade!"




***



Anmerkung der Redaktion: Alle auftretenden Personen sind fiktiv. Teile der Dialoge sind montiert aus Passagen des Briefwechsels mit dem Kardinal oder einem seiner Untergebenen. Der Schlußsatz ist ein Original-Zitat aus Karl Valentins Text.



4 Kommentare:

  1. Hervorragend! Leider allzu nah an der Realtität!

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  2. Super!!! Sehr bitter, aber wahr. Treffend, pointiert und unterhaltsam. So bringt man manche Wahrheiten besser an die Frau/den Mann, als wenn man lange, trockene, mit dem erhobenen Zeigefinger formulierte Texte veröffentlicht, die im Grunde das Gleiche bezwecken sollen.

    Lese euren Blog jeden Tag und gedenke, dieses weiter zu tun :-)

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  3. Klasse! (Bin erst jetzt darauf gestoßen)

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