In seiner Rede „Wir Schriftsteller brauchen euch Buchhändler!“ auf der Hugendubel-Kardinals-Demo vom 5. Mai thematisierte Norbert Niemann
Monokultur, Raubbau und Discounter-Mentalität im Buchgeschäft;
erinnerte an die gesellschaftliche und kulturelle Verantwortung der Buchhandelsketten;
zeigte, wie die veränderten Geschäftsmodelle den Konsumenten prägen (und nicht etwa umgekehrt!);
beschrieb, unter welchen Umständen Buchhändler genauso gut Autoreifen oder Semmeln verkaufen könn(t)en;
... und forderte auf zu einer Allianz von Buchhändlern und Schriftstellern!
Auch der Hugendubel-Betriebsrat bewies Tatkraft und Kampfgeist mit dem Münchner „Erzbesuch beim Erzbischof“
- so der stellvertretende BR-Vorsitzende Jürgen Horn - mit viel Wortwitz und gehörigem Sarkasmus - in seiner sehr überzeugenden, hier dokumentierten Rede:
„Jetzt kommt die Herde zum Hirten“
Dass wir heute alle hier sind, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird einigen Leuten recht peinlich sein. Mit unseren Forderungen nach Arbeitsplatzsicherheit sind wir sozusagen eine gesellschaftliche Peinlichkeit. Aber weil es uns nun halt eben gibt: eine Peinlichkeit, die wir niemandem mehr ersparen können und in Zukunft auch niemandem mehr ersparen wollen.
Seit über zwei Jahren wird bei Hugendubel nach allen Regeln der Kunst Personal abgebaut. Seit über zwei Jahren fordern wir gemeinsam mit unserer Gewerkschaft VER.DI einen Sozialtarifvertrag zur Beschäftigungssicherung. Und seit über zwei Jahren werden wir dabei mit den selben Argumenten abgefertigt.
Erstens: wir brauchen keinen, weil es uns ja gut geht.
Zweitens: wir können uns keinen leisten, weil es uns ja schlecht geht.
Und drittens: wenn wir einen bekämen, stünde es in der Zeitung – und das wäre ja peinlich.
Und während wir uns noch fragen, ob wir über die Torheiten dieser Welt lieber lachen oder doch besser weinen sollen (zum Kotzen ist uns ja die ganze Zeit schon zumute), da trifft uns der nächste Hammer: die Kirche verkauft Weltbild – und wir hängen über den DBH-Konzern mit drin. Und spätestens da hatten wir das Gefühl: jetzt hat’s uns (um es literarisch zu sagen) „mitten auf unseres Lebens Reise“ plötzlich in eine letztklassige Reality-Show verschlagen.
Was passiert da eigentlich? Irgendwelche ultrakatholische Kreise hetzen, dass die kirchliche Beteiligung an Weltbild so eine Art Verbrechen gegen die Menschlichkeit sei (und das ist noch zu tief gegriffen: was bei denen alles in den Blogs steht, das darf ich gar nicht sagen). Weil man bei Weltbild ja auch Pornos und andere schlimme Bücher übers Internet bestellen kann. Und schließlich beschließen die Bischöfe: Weltbild wird verkauft.
Die Welt wird dadurch zwar nicht besser, weil die Pornos dann halt eben woanders (oder unter einem anderen Eigentümer) bestellt werden, aber dafür sind bei Weltbild und – um ein paar Ecken herum – auch bei uns die Arbeitsplätze noch unsicherer, als sie es ohnehin schon gewesen wären. Mit anderen Worten: im Internet wird Schund verkauft, und die Buchhändler im stationären Handel dürfen’s ausbaden: sozusagen als Kollateralschaden angewandter Sexualmoral.
Das ist an und für sich schon ein ziemlich starkes Stück – zumindest für mich als gläubigen Katholiken, der seit über 20 Jahren Bibeln verkauft und nicht mal so genau weiß, wie ein Porno überhaupt ausschaut. Aber die Sache kommt noch besser.
Wir wenden uns, weil unsere Geschäftsführung auf dem Ohr sowieso taub ist, hilfesuchend an den Erzbischof von München und Freising als den für uns zuständigen Weltbild-Veräußerer. Und der schreibt uns zurück, dass er sich seiner Verantwortung bewusst ist und unser Anliegen berücksichtigen wird. Und sonst passiert erst mal nichts.
Dann schreibt uns der Bischofssekretär, dass der Bischof sich seiner sozialen Verantwortung bewusst ist und unser Anliegen berücksichtigen wird. Und sonst passiert wieder nichts.
Dann laden wir den Bischof zu unserer Betriebsversammlung ein. Und es passiert schon wieder nichts. Aber es steht in der Zeitung.
Dann schreibt uns der Generalvikar, dass der Bischof sich immer noch seiner sozialen Verantwortung bewusst ist und unser Anliegen berücksichtigen wird. Und es passiert noch immer nichts. Aber der Bischof kriegt von unserer VER.DI-Tarifkommission 400 Postkarten: für jeden Hugendubler, der einen Sozialtarifvertrag will, eine.
Dann schreibt uns der Bischof wieder, dass wir doch eigentlich wissen müssten, dass ihm unsere Sorgen am Herzen liegen, und dass er deshalb auch keine schlechte Presse haben will. Und es passiert erst mal wieder nichts.
Und dann laden wir den Bischof wieder zu unserer Betriebsversammlung ein, weil er ja an einer breiteren Öffentlichkeit nicht interessiert ist. Und siehe da: es passiert wie immer nichts.
Aber da ist uns gottseidank endlich eingefallen, woran es liegen könnte: Wahrscheinlich hat unser Herr Erzbischof einfach nur die VER.DI-Postkarten missverstanden. Da steht nämlich drauf: „Wenn der Hirte nicht zur Herde kommt, dann kommt die Herde zum Hirten.“
Und deshalb schauen wir hier und jetzt einfach mal bei ihm vorbei.
Das ist natürlich kein gewöhnlicher Besuch - das sieht man schon am ganzen Drumherum - sozusagen ein Erzbesuch beim Erzbischof! Und damit wir nicht mit leeren Händen kommen, haben wir ihm auch einen netten Brief mitgebracht, in dem wir ihm den Grund unseres heutigen Besuches erklären. Und den werde ich euch jetzt vorlesen.
Rede und Kundgebung enden mit Verlesung und Übergabe des Briefes:
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Sehr geehrter Herr Kardinal Marx,
vor mehr als einem halben Jahr ist der Münchner Betriebsrat der H. Hugendubel GmbH & Co. KG erstmals mit der Bitte an Sie herangetreten, angesichts eines ständigen fortschreitenden Personalabbaus in die zähe Auseinandersetzung zwischen unserem Arbeitgeber und unserer Gewerkschaft ver.di um den Abschluss eines Sozialtarifvertrags vermittelnd einzugreifen.
Inzwischen hat sich die schwierige wirtschaftliche Lage weiter zugespitzt, und die Entscheidung der katholischen Bischöfe, die Beteiligung ihrer Diözesen an der Verlagsgruppe Weltbild zu veräußern, stellt vor diesem Hintergrund sehr wahrscheinlich eine zusätzliche und erhebliche Gefahr für den Erhalt unserer Arbeitsplätze dar.
Zudem plant unser Arbeitgeber für die nähere Zukunft einschneidende Rationalisierungsmaßnahmen, die nicht nur den Wert der buchhändlerischen Arbeit, sondern auch die Arbeitsplatzsicherheit erheblich in Frage stellen - ohne dass von Maßnahmen der Beschäftigungssicherung bisher mit einem einzigen Wort die Rede gewesen wäre.
Wir wissen zu schätzen, dass Sie uns wiederholt versichert haben, Sie hätten für unsere Situation Verständnis und seien sich Ihrer Verantwortung bewusst - und würden zu gegebener Zeit auch das Gespräch mit uns suchen. Doch ist da Zeit gemeint, die wir nicht mehr haben - und auf keinen Fall darf es am Ende heißen:
"Non cognoveris tempus visitationis tuae."
Deshalb wollen wir, die bei Hugendubel beschäftigten, unsere Familien und Freunde, Sie durch unsere heutige Aktion an Ihre Zusage erinnern, uns mit dieser schwierigen Situation nicht alleine zu lassen.
Machen Sie Ihre Worte wahr und tun Sie es jetzt!
Mit freundlichen Grüßen,
Uwe Kramm
Vorsitzender
Betriebsrat Hugendubel München
vor mehr als einem halben Jahr ist der Münchner Betriebsrat der H. Hugendubel GmbH & Co. KG erstmals mit der Bitte an Sie herangetreten, angesichts eines ständigen fortschreitenden Personalabbaus in die zähe Auseinandersetzung zwischen unserem Arbeitgeber und unserer Gewerkschaft ver.di um den Abschluss eines Sozialtarifvertrags vermittelnd einzugreifen.
Inzwischen hat sich die schwierige wirtschaftliche Lage weiter zugespitzt, und die Entscheidung der katholischen Bischöfe, die Beteiligung ihrer Diözesen an der Verlagsgruppe Weltbild zu veräußern, stellt vor diesem Hintergrund sehr wahrscheinlich eine zusätzliche und erhebliche Gefahr für den Erhalt unserer Arbeitsplätze dar.
Zudem plant unser Arbeitgeber für die nähere Zukunft einschneidende Rationalisierungsmaßnahmen, die nicht nur den Wert der buchhändlerischen Arbeit, sondern auch die Arbeitsplatzsicherheit erheblich in Frage stellen - ohne dass von Maßnahmen der Beschäftigungssicherung bisher mit einem einzigen Wort die Rede gewesen wäre.
Wir wissen zu schätzen, dass Sie uns wiederholt versichert haben, Sie hätten für unsere Situation Verständnis und seien sich Ihrer Verantwortung bewusst - und würden zu gegebener Zeit auch das Gespräch mit uns suchen. Doch ist da Zeit gemeint, die wir nicht mehr haben - und auf keinen Fall darf es am Ende heißen:
"Non cognoveris tempus visitationis tuae."
Deshalb wollen wir, die bei Hugendubel beschäftigten, unsere Familien und Freunde, Sie durch unsere heutige Aktion an Ihre Zusage erinnern, uns mit dieser schwierigen Situation nicht alleine zu lassen.
Machen Sie Ihre Worte wahr und tun Sie es jetzt!
Mit freundlichen Grüßen,
Uwe Kramm
Vorsitzender
Betriebsrat Hugendubel München
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In der Tat "peinlich"! Bin froh, daß ich nicht dabei war!
AntwortenLöschenAch, es braucht Dir doch nicht peinlich sein, daß Du froh bist, nicht dabeigewesen zu sein.
AntwortenLöschenEhrlich gesagt bin ich auch froh, daß Du nicht dabei warst. Auf Kollegen wie Dich kann man gut verzichten.
Das denk ich mir dann auch bei der nächsten Kündigungswelle, wenn Du Deine Koffer packen mußt. Und tschüß!!!
Sehr mutige Worte vom Münchner BR-Kollegen Horn! Es freut mich sehr, dass ihr euch so viel "traut", gerade auch in der Öffentlichkeit.
AntwortenLöschen(Bei uns in Berlin sieht es da leider ziemlich anders aus!)
Alle Kolleginnen und Kollegen, die - aus welchen Gründen auch immer (vieles hörte sich nach Ausrede an) - nicht an der Demo teilgenommen haben, können nun schwarz auf weiss nachlesen, was ihnen entgangen ist. Shame about you!
AntwortenLöschenEs war eine super Veranstaltung. Tolle Reden von Niemann, Horn und den anderen.
AntwortenLöschenUnd 'peinlich' ist wirklich nur der erste Kommentar!