Krankenhäuser als Profitmaschinen
"Das deutsche Gesundheitswesen ist vollkommen heruntergewirtschaftet. Ein elementarer Kernbereich der Daseinsfürsorge ist verkommen zu einem Industriezweig, übrigens dem umsatzstärksten im land neben der Automobilindustrie.
Die Krankenversorgung, zu der neben dem spröden Wort "Pflege" auch Nächstenliebe und etwas so Altmodisches wie Barmherzigkeit gehören, wird von Controller-Regimentern angeführt, Profitmaximierung ist nicht nur gewünscht, sondern sie wird kalt eingefordert. Kliniken müssen Gewinne erwirtschaften; arbeiten Abteilungen unrentabel, weil sie zum Beispiel zu viele unnötige Operationen doch nicht durchführen, werden sie erst zusammengespart, dann geschlossen. Sollen sich die Kranken woanders auskurieren, wenn sie nicht lukrativ genug leiden.
Hat jemand schon mal davon gehört, dass die Feuerwehr oder die Polizei nach ihren Ausgaben bewertet werden? Dass ihre Stellen danach bemessen sind, ob sie Gewinne machen? Ein Krankenhaus ist keine Schraubenfabrik. Doch kommunale und konfessionelle Krankenhäuser werden seit Jahren meistbietend im Ausverkauf angeboten und an private Träger verschachert, die größtenteils börsennotiert sind oder in Fonds und anderen Gelddepots stabile Erlöse garantieren. Mittlerweile sind fast 40 Prozent aller deutschen Klinikbetten in privater Hand. Weltweit ein Spitzenwert, Deutschland hat die USA in dieser Hinsicht längst überholt.
Die Kosten des Gesundheitssystems werden sozialisiert, der Gewinn privatisiert
Mit der Privatisierung findet eine gigantische Umverteilung von Geld aus dem Solidarsystem statt, das zur Vermehrung des Shareholder Value dient. Die Beiträge aus der gesetzlichen Krankenversicherung werden dazu benutzt, damit Klinikkonzerne reicher werden und Aktionäre profitieren. Die Kosten werden sozialisiert, der Gewinn privatisiert. Nicht schlimm, dass es ein paar Krankheitsgewinnler gibt? Von wegen, denn die Patienten leiden unter den systematischen Fehlanreizen, werden falsch oder unnütz oder gar nicht behandelt. Und das Personal sucht das Weite. Das ist einer der wichtigsten Gründe dafür, dass etliche Pflegekräfte in der Klinik gekündigt haben und in Umfragen regelmäßig mehr als die Hälfte der Ärzte angeben, dass sie ihren Kindern nicht mehr zum Arztberuf raten würden. Diese Menschen wollen gute Medizin machen, was aber mit den Einsparungen an Personal, Material und einer zeitlich immer engeren Taktung kaum noch möglich ist.
Dass
Patienten trotzdem oftmals gut behandelt werden, liegt vor allem an der
Selbstausbeutung vieler Ärztinnen und Ärzte (darunter besonders vieler
Hausärzte) sowie des Pflegepersonals. Sie machen trotz mieser
Bedingungen weiter, haben ihren Idealismus noch nicht gegen zynische
Resignation eingetauscht und halten durch bis zum Burn-out oder
Stellenwechsel. Die Aufopferungsbereitschaft der Helfer ist im knappen
Budget der Kliniken selbstverständlich eingepreist (...)."
Quelle: Werner Bartens, Dieses System ist krank, in: Süddeutsche Zeitung, 18. Februar 2022, S.9
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