Mittwoch, 6. Juli 2022

Bedingungsloses Grundeinkommen?

 Eine Kritik


"Der Kerngedanke des Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) ist, dass alle Menschen ein Grundeinkommen erhalten, auch wenn sie nicht arbeiten. Die Möglichkeit eines individuellen Ausstiegs aus dem Arbeitsleben wird als „neue“
Freiheit begriffen und mit der Hoffnung bzw. Illusion verbunden, so die Lohnarbeit überwinden zu können. 

Wer meint, ein BGE könne ihn von der Lohnabhängigkeit befreien, wird sich aber kaum mehr ernsthaft an betrieblichen Lohnkämpfen beteiligen. Dies würde die Gewerkschaften schwächen und die Durchsetzung von Lohnsteigerungen und besseren Arbeitsbedingungen erschweren. Der Druck auf die Höhe der Löhne würde steigen: Warum soll ein Unternehmer jemandem mehr zahlen, dem
der Staat schon 1100 € zahlt? 

Die Bereitschaft, schlecht bezahlte Arbeit anzunehmen, würde absehbar steigen. Das Grundeinkommen für alle, wie es die Bundesarbeitsgemeinschaft BGE anstrebt, kostet ca. 1.000.000.000 € im Jahr. Das entspricht ungefähr der Summe sämtlicher Sozialausgaben der Sozialversicherung und der Gemeinden, der Länder und des Bundes.


Sollen nicht die lohnabhängig Beschäftigten, sondern die reichen Kapitaleigner für ein solches BGE zahlen, wäre also eine Verdoppelung der Sozialausgaben und damit ein gigantischer gesellschaftlicher Umverteilungsprozess nötig. Um eine solche Umverteilung durchzusetzen, müsste eine grundlegende Veränderung der gesellschaftlichen Machtverhältnisse erkämpft werden. Hier erweist sich die Vorstellung der Bundesarbeitsgemeinschaft BGE als völlig illusorisch: 

Seit Jahren wird von unten nach oben umverteilt. Unter den gegebenen Machtverhältnissen ist es uns nicht einmal gelungen, z.B. die Wiedereinführung der Vermögensteuer und eine stärkere Besteuerung großer Erbschaften durchzusetzen. Wie dann eine Verdoppelung der Sozialausgaben durch Einführung eines BGE?


Und wenn wir die Macht hätten, eine solch gewaltige Umverteilung durchzusetzen, sollten wir sie nicht für ein BGE einsetzten, sondern für grundlegende Veränderungen. Um für ausreichende Einkommen für alle zu sorgen. Um ökologische Nachhaltigkeit zu erreichen. Um Konflikte um Rohstoffquellen und Handelswege zu vermeiden.


Unter den bestehenden Kräfteverhältnissen hingegen ist es wahrscheinlicher, dass sich ein neoliberales BGE (a la Milton Friedman) durchsetzt, das auf die Schleifung des Sozialstaates ausgerichtet ist. Im Zuge der Einführung des BGE würden dann alle Sozialleistungen (Wohngeld etc.) gestrichen.


Noch zwei Überlegungen:


· Auf Leistungen der Sozialversicherungen hat einen verfassungsmäßig einigermaßen gesicherten Rechtsanspruch, wer eingezahlt hat. Für ein BGE gälte das nicht, das könnte durch Parlamentsbeschluss auch wieder abgeschafft werden.

· Was fördert Kinder - vor allem aus prekären Haushalten - besser, mehr Kindergeld oder gut ausgestattet staatliche Kindereinrichtungen? Das BGE verfolgt individuelle Lösungen, nicht gesellschaftliche.

Eine sozialistische Partei sollte kollektive Lösungen im Fokus haben, die gemeinschaftlich erkämpft werden, weniger individuelle.

In der Zielsetzung sind wir in der LINKEN alle einig: Allen ein Leben ohne Existenzangst zu sichern. Daher fordert die LINKE ein sanktionsloses Grundeinkommen von 1100 € (für Bedürftige, nicht für Reiche!) und eine Mindestrente. Lasst uns dafür gemeinsam kämpfen! 

Die Aufnahme eines BGE in die Programmatik wird die Partei nicht einen, sondern spalten. Deshalb: Darum mit NEIN stimmen beim Mitgliederentscheid bedingungsloses Grundeinkommen!

Armut bekämpfen – aber mit geeigneten Mitteln!"


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Anmerkung der Infoblog-Redaktion:

Bei dem Text handelt es sich um ein Positionspapier der AG Betrieb und Gewerkschaft innerhalb der Partei Die Linke im Hinblick auf den Mitgliederentscheid über das BGE im September 2022.




6 Kommentare:

  1. Das würde den Kapitalisten so passen, dass der Staat jetzt auch noch einen Teil ihrer Lohnkosten übernimmt. Und die Ungleichheit der Einkommen und Vermögen in unserer Gesellschaft würde übrigens noch weiter, wenn jede*r dasselbe noch obendrauf kriegt.

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  2. Ich kann mich noch ganz gut erinnern, als Tobias Hans unlängst vor einer Tankstelle stand und klagte, dass die aktuelle Benzinpreiserhöhung „nicht nur Geringverdiener“, sondern „die vielen fleißige Leute“ treffe. Er wurde wegen dieser impliziten Diffamierung der Geringverdiener zwar heftig kritisiert, aber das ändert nicht viel an der sozialdarwinistischen Denke, die heute nahezu Common Sense ist, dass diese für ihre prekäre wirtschaftliche Situation selbst verantwortlich und folglich auch keiner Hilfe würdig seien. Wenn nun der eine Teil der Bevölkerung von Arbeitslohn plus bedingungslosem Almosen leben könnte und der andere Teil nur von bedingungslosem Almosen leben müsste - und das müsste er, weil Arbeitslosigkeit ja dann was ganz normales wäre, dann lässt sich leicht erraten, wie der eine (fleißige) Teil über den anderen (unfleißigen) nicht nur denken und reden, sondern schließlich auch herfallen würde. Der wahre "Bürgertest" - und das alles mit deutschem Fleiß und deutscher Gründlichkeit! Die Spaltung der Gesellschaft wäre perfekt. Und die Demokratie? - Vergiss es Alter! Das ginge vermutlich bis hin zur Forderung nach dem Zensuswahlrecht - nach dem Motto: wer nichts zum Gemeinwohl beiträgt, hat auch nichts mitzuschnabeln. Mir fehlt ja leider jede Begabung zum Schriftsteller. Aber ich könnte mir gut vorstellen, dass es den Stoff für einen hervorragenden dystopischen Roman abgäbe, wenn jemand mit Talent diese Idee des bedingungslosen Grundeinkommens inklusive all ihrer sozialen und politischen Konsequenzen zu Ende dächte. Dagegen wären "Die Tribute von Panem" und "Die Bestimmung" wahrscheinlich eine harmlose Gutenachtlektüre.



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    1. Da ist was dran. Sicher verletzt es die Würde der Menschen, wenn man ihnen Hilfe verweigert, die sie bräuchten. Aber es verletzt ihre Würde noch viel mehr, wenn sie systematisch in eine Rolle gedrängt werden, in der sie sich nicht anders als überflüssig und hilfsbedürftig fühlen können. - Wenn in Zukunft tatsächlich weniger Arbeitskräfte benötigt werden sollten, könnte man das Problem ja vielleicht so lösen, wie es in der Vergangenheit auch gelöst wurde: kürzere Arbeitstage und höhere Stundenlöhne.

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  3. Stimmt das wirklich, dass 1.000.000.000 € im Jahr ungefähr der Summe sämtlicher Sozialausgaben der Sozialversicherung und der Gemeinden, der Länder und des Bundes entsprechen? Wenn das wahr ist, dann beabsichtigt unsere Regierung jetzt also, wenn ich richtig rechne, etwa 150 mal mehr für Rüstung auszugeben, als für Soziales überhaupt ausgegeben wird. Mann, bin ich froh, dass ich keine*n von denen gewählt habe! Wer so unsere Demokratie verteidigen will, sollte sich zuerst mal fragen, ob es da demnächst überhaupt noch groß was zu verteidigen gibt. Kein Wunder, dass die autoritären Regime überall im Vormarsch sind - und sich über unsere scheinheiligen Attitüden kaputtlachen. Aber damit wir uns richtig verstehen: ich bin kein Putin-Versteher, ich bin bloß ein Deutschland-Nichtversteher - aber das inzwischen von ganzem Herzen.

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    1. Vergiss es, bruder! Dass die zahl nicht stimmt, kannst du dir an zwei fingern abzählen. Und im netz findest du so ziemlich jede, die du haben willst; aber immer eine höhere als hier angegeben. Wahrscheinlich weiß das gar niemand so genau.
      Allerdings macht diese offenkundige unsicherheit die einführung des bedingungslosen grundeinkommens nicht nur zu einem noch größeren, sondern sogar zu einem unkalkulierbaren risiko.

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  4. Wieso werden hier immer wieder die Linke zitiert. Ist das hier ein Parteiblog ?

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