Freitag, 17. August 2012

Der Mayakalender und das Jahr 2012

Am 21. Dezember 2012 beginne ein neues Weltzeitalter, sagen die Leute und grinsen. Schon wieder, denke ich mir und grinse – das ganze Medienspektakel um den Jahrtausendwechsel noch in lebhaftester Erinnerung. 


Der Stein der Maya - Fälschung: wallgünther


Mit der mehr schlecht als recht aufgesetzten Attitüde des distinguierten Eierkopfes räume ich ein, das sei immerhin möglich („the contrary of every matter of fact is still possible“) – und bin ganz stolz auf so viel wissenschaftliche Redlichkeit. Aber irgendwie lässt mir die Sache trotzdem keine Ruhe; und daheim im stillen Kämmerlein frage ich mich, wie die Leute auf diese alberne Schnapsidee bloß gekommen sein mögen. Die Antwort freilich ist einfach: die Kalenderpriester der alten Maya haben´s gesagt – und die mussten´s ja wissen. Doch warum eigentlich?

Vom richtigen Zeitpunkt

„Alles hat seine Stunde. Für jedes Geschehen unter dem Himmel gibt es eine bestimmte Zeit“ – so heißt es schon in der Bibel. Die alten Griechen hatten eigens ein Wort dafür, das zugleich auch die zuständige höhere Macht bezeichnet: „Kairos“ – das heißt „richtiger Augenblick“ oder „ günstige Gelegenheit“ – ist der junge Gott mit der Stirnlocke, an der es ihn zu ergreifen gilt. Daher auch die Wendung: „Man muss das Glück beim Schopf packen“.

Aber der was tut, fragt sich: geht´s auch gut?
Wer sagt uns also, wann der richtige Zeitpunkt ist?

Heute ist das ein klarer Fall: Paungger und Poppe – erhältlich in jeder  usw. Und früher, als die Leute noch einfacher gestrickt waren? Auch klar: natürlich die Priester! Sie hatten den heißen Draht nach oben: das esoterische Wissen – und konnten genau Auskunft geben, wann es von Götterseite mal wieder angesagt war, z.B. einen Teil der Ernte oder ein fettes Schaf bei ihnen abzuliefern, einem Nachbarvolk die Schädel einzuschlagen oder einer Jungfrau den Bauch aufzuschlitzen – und überhaupt auch sonst alle Arten heiliger und nützlicher Handlungen angemessen zu verrichten.
Man sollte so wichtige Dinge ja nicht dem Zufall überlassen.

Dies übrigens zeigt auch die irische Sage vom Druiden Manannan mac Lir – in Kreisen der antidruidischen Linken nachmals als „Manannan der Abstauber“ bekannt.  Eines Tages ging er seines Weges und begegnete der Königstochter Nessa, die ihn fragte, wozu dieser Tag gut sei. Um einen König zu zeugen, lautete die Antwort. Daraufhin fackelte die Prinzessin nicht lange, schnappte sich den Druiden, dieser schritt sogleich zur Tat – und heraus kam der legendäre Hochkönig von Irland Conchobar mac Nessa. Moral von der Geschichte: die Gunst der Stunde will genutzt sein. Was priesterlicher Rat dabei wert ist, liegt auf der Hand: es kann ja schließlich nicht jeder Hinz und Kunz in die Zukunft schauen.

Und weil das Schicksal (und insbesondere das von Schafen und Jungfrauen) bekanntlich in den Sternen steht – wo auch sonst? – war die Beobachtung der Gestirne und die Erstellung von Kalendarien in den alten Kulturen für gewöhnlich eine Priesterdomäne. Dass es bis heute den gregorianischen Kalender und eine päpstliche Sternwarte gibt, mag ein Nachhall dessen sein: eine unmittelbare Gefahr für Schafe oder Jungfrauen geht meines Wissens hiervon jedoch nicht aus.

Der Meister der Tage

Die Maya boten da schon ein besseres Bild. In ihren Städten hatten bis ins etwa 10. Jahrhundert Gottkönige und Priesteradel das Sagen – und wie zu erwarten, konnte dem Klerus dort in Sachen „Zeitmanagement“ keiner das Wasser reichen. Die zuständigen Priester wurden „Meister der Tage“ genannt. Sie wussten Bescheid, was wann am Sternenhimmel und im Götterhimmel vor sich geht. Dies gestattete ihnen einen kräftigen Blick in die Zukunft zu tun. Wenn die Bewegungen und Phänomene am Firmament nämlich etwas über das Wirken höherer Wesen verrieten, dann konnte, wer es konnte, auch vorausrechnen und vorhersagen, welche Gottheit an welchen Tagen jeweils die Regie führen würde.

Da die Himmelskundigen der Maya – wie so viele Priester – gute Mathematiker waren, verarbeiteten sie ihr astronomisches und astrologisches Wissen nicht nur zu einem Kalender, sondern zu einem ganzen Kalendersystem, in dem verschiedene Zeitzyklen aufeinander abgestimmt und zusammengefasst wurden. Besondere Vorliebe genoss dabei die Zahl 20. Denn – wie in den alten mesoamerikanischen Zivilisationen wohl üblich, weil der Mensch außer Fingern auch noch Zehen hat – wurde mit einem Vigesimalsystem gerechnet. Durch mehrstellige Anordnung der 20 Ziffern – von 0 bis 19 – ließen sich so beliebig hohe Zahlenwerte ausdrücken.  Die erste Stelle bezeichnete die Einer, die zweite die Zwanziger, die dritte die Vierhunderter, die vierte die Achttausender, die fünfte die Hundertsechzigtausender usw.

Dementsprechend wurde ein sogenanntes „Haab“ oder „Tun“ – das etwa dem Sonnenjahr entsprechende Gemeinjahr zu 365 – in 18 „Winal“ oder „Monate“ zu je 20 Tagen eingeteilt, von denen jeder wie unsere Wochentage seinen eigenen Namen hatte. Am Ende des Jahres blieben dann fünf übrig, die nicht mitgerechnet wurden und als Unglückstage galten. Darüberhinaus – und jetzt fängt es an, interessant zu werden – fasste man in der sogenannten „Langen Zählung“ jeweils 20 x 360 Tage zu einem Zeitraum zusammen, den man „K´atun“ nannte. 20 solche K´atun ergaben ein Bak´tun, also 20 x 20 x 360 Tage, 20 Bak´tun ein Piktun, also 20 x 20 x 20 x 360 Tage, 20 Piktun ein Kalabtun usf.

Hierbei freilich ging es niemals nur um eine rein quantitative Zeiteinteilung, sondern jede von den Kalenderexperten der Maya errechnete Periode hatte für sie ihre besondere Bedeutung, wie auch hinter jedem Tagesnamen und jedem Zahlenzeichen eine geheimnisvolle und übernatürliche Kraft, eine Göttin oder ein Gott steckte. 

Der Vater des Gedankens

Vor diesem Hintergrund lässt sich verstehen, was es mit dem  21. Dezember auf sich haben soll. Nach der Mythologie der alten Maya nämlich ist die Welt im Jahr 3114 v. Chr. Erschaffen worden – und im Jahr 2012 n. Chr. Endet das 13. Bak´tun seit ihrer Entstehung. Eigentlich bedeutet dies zwar nichts anderes, als dass die Sonne an einem Tag untergeht, am nächsten wieder aufgeht – und alles wie gehabt weitergeht. Aber es war und ist eine verbreitete Praxis, in solche kalendarischen Neuanfänge etwas mehr hineinzugeheimnissen – je nachdem, ob man mit der Welt schon fertig ist oder noch Hoffnung hat: einen Weltuntergang oder eine Zeitenwende, ab der dann alles anders und bitteschön besser werden soll.

Die Maya machten und machen hiervon keine Ausnahme! Um sie geht es letzten Endes aber gar nicht: sehr wahrscheinlich hätten wir uns mit demselben Enthusiasmus auf jeden Epochen-Wandel gestürzt – gleich von welchen Wahrsagern oder Sterndeutern er stammt. Schließlich sind wir hier nicht irgendwo, sondern in Deutschland, wo seit rund 30 Jahren routinemäßig eine Wende die andere jagt. Allerdings gehören Visionen und Utopien – wie Goldenes Zeitalter, Greisenalter der Welt, Reich des Heiligen Geistes, Wassermannzeitalter, New Age etc. – zum festen Repertoire der Ideengeschichte überhaupt.

Öfters verschwinden sie zwar – doch nur, um unter neuem Namen und in anderem Gewand wieder aufzutauchen. Wer denkt, dass all dies Unfug sei, der liegt vermutlich richtig. Wer aber meint, er sei über derlei Unfug voll und ganz erhaben, der soll sich nur mal kurz erinnern, was er am Silvesterabend 1999 gemacht hat.

Aus irgendeinem Grund scheint die Vorstellung, mit der Welt oder mit der Erde, wie wir sie kennen, könnte es zu Ende gehen, eine gewisse Faszination auszuüben: immerhin wäre Ruhe, wenn wir sie endlich loshätten. Doch mehr noch: in ihrem Verschwinden läge fast ein Hauch poetischer Gerechtigkeit. Aber warum nur? – Die Geschichte lehrt, dass die Leute immer dann so denken, wenn wirtschaftliche und soziale Ordnungen ins Wanken geraten – und  niemand eine Ahnung hat, was danach kommen soll. Deshalb lässt sich leicht auch erraten, welcher Wunsch bei uns der Vater des Gedankens ist: es rumort gewaltig in den Gedärmen des Weltkapitalismus, nachdem er einen Planeten zu viel geschluckt hat.

Und die verheißene Dorfidylle des Global Village? Globales ökonomisches und ökologisches Krisengebiet – ein Schandfleck für die ganze Galaxie! Darum herbei ihr Götter, an die wir nicht glauben – und erledigt euren Job: „the world must be comming to an end!“.

Die Zeit der Klarheit

Hier nun offenbart sich zugleich das tiefste Geheimnis um den Mayakalender: seine latent affirmative Funktion. Er liefert den unverfänglichen Kontext, in dem unsere Sehnsucht nach einer gerechteren und menschlicheren Gesellschaft öffentlich erscheinen kann, ohne uns politisches oder soziales Engagement abzuverlangen. Tagträume von einer glorreichen Zukunft, von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit: ja gern!  - aber doch bitte nicht im politischen Raum, in den sie gehören!

Daher übrigens kommen die kontemporären, realexitierenden Maya bei dem ganzen eurozentrisch-esoterischen Kalendergeschwurbel gar nicht erst groß vor: sie versuchen diesen Raum nämlich zu besetzen. Aus ihrem Mund hat die Rede vom neuen Zeitalter Sinn. Es ist, was die „Mayaenkelin“ und Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchu in ihrer Autobiographie eine „Zeit der Klarheit (…) unserer Wege“ nannte – und so sollten alle es verstehen. Den nur wer sich eine bessere Welt als die, in der er lebt, noch vorstellen kann, wird fähig sein, für sie einzutreten.

Jürgen Horn

2 Kommentare:

  1. Endlich sind die sieben Schleier der Maya gelüftet.

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  2. Großer Vorteil wenn die Mayakalenderweltendegläubigen recht hätten: Wir bräuchten uns keine Gedanken mehr über Filialschliessungen und Hugendubel 2020 mehr machen oder um die Fortsetzungen von Erotikbestsellern, die man nicht auf Hugendubel.de finden und vorbestellen kann.
    ;-)

    Übrigens Schönes, Kluges, Lustiges, Skurilles, Nachdenkliches zum Thema Weltuntergang, wie soll es anders sein, natürlich aus Wien, im vielleicht letzten Magazin der Welt: 2012 ( www.2012.at )

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