Montag, 29. Januar 2024

Nazi-Literatur druckfrisch

Amazon und Buchhandelsketten verkaufen faschistische Schriften

LeMO Objekt - Houston Stewart Chamberlain, "Arische Weltanschauung", 1916 

Wurde von Hugendubel verkauft: Werke des antisemtischen Vordenkers Houston Chamberlain


Die völkisch-nationalistische Zeitschrift Compact berichtet nicht nur regelmäßig wohlwollend über die rechte »Alternative für Deutschland« oder lässt prominente AfDler wie Alice Weidel zu Wort kommen, sondern vermarktet auch neu aufgelegte Nazischriften aus den 30er Jahren, etwa »Arische Weltanschauung«, ein Nachdruck von 1938. Beschreibung: »›Es kommt nicht darauf an‹, so Houston Stewart Chamberlain im Vorwort dieser Schrift, ›ob wir ‚Arier’ sind, sondern darauf, daß wir ‚Arier’ werden. In dieser Beziehung bleibt ein ungeheures Werk an uns allen zu vollbringen: die innere Befreiung aus dem uns umfassenden und erstickenden Semitismus‹«.

Jakob Wilhelm Hauers »Religion und Rasse« von 1938 bewirbt Compact wie folgt: »Hauers an vielen Beispielen belegtes Fazit lautet: Die in der Rasse angelegte seelisch-geistige Art schafft mit Notwendigkeit die religiöse Form.« Zu kaufen gibt es auch Werke von »SS-Ahnenerbe«-Mitbegründer Herman Wirth wie »Was heißt deutsch?« (1934) oder »Der Aufgang der Menschheit. Untersuchungen zur Geschichte der Religion, Symbolik und Schrift der atlantisch-nordischen Rasse« (1928), in »günstiger Neuauflage« für 60 Euro. 

Doch längst nicht nur bei rechten Medien findet man solche Publikationen, sondern oft auch in den Onlineangeboten der großen Buchhandlungen. Die Neuauflage der »Mitteilung zur Physiognomik der deutschen Volksstämme«, eine Beschreibung des Aussehens »deutscher Rassen« von Willy Hellpach, erschienen 1926, ist bei Amazon, Dussmann, Hugendubel, Thalia und Weltbild erhältlich. Eine Sprecherin von Weltbild erklärte gegenüber junge Welt, dass eine Aufgabe von Buchhandlungen »Offenheit und Meinungsfreiheit« sei. Und weiter: »Wir zensieren nicht und möchten auch keine Zensur, auch wenn uns Inhalte vielleicht nicht gefallen«. Dieses Buch stehe nicht auf dem Index und: »Wir bewerben weder diese Artikel, noch heben wir die Bücher besonders hervor«.

Wie kommt es aber, dass sich solche Bücher im Katalog dieser Buchhändler finden? Die Sprecherin von Weltbild erklärte: »Wir kaufen diese Titel auch nicht ein, sondern sie sind wie alle anderen Titel in einer Datenbank (deren Inhalte auch in sehr vielen weiteren Onlineshops des deutschen Buchhandels automatisiert einlaufen) und damit recherchierbar, wenn man selbst nach diesen sucht«. Amazon reagierte auf eine Anfrage von junge Welt mit der Aussage, dass die Problematik überprüft werden soll. Hugendubel antwortete zwar nicht, ließ aber zumindest zwei Bücher, auf die jW hingewiesen hatte, aus dem Sortiment nehmen: »Arier, Wilde und Juden« (1923) von Karl Helm und »Arier und Mongolen. Weckruf an die europäischen Kontinentalen unter historischer Beleuchtung der gelben Gefahr« (1905) von Christian Spielmann.

Auch das Buchhandelsunternehmen Thalia entfernte Bücher nach jW-Anfrage. Eine Sprecherin erklärte, dass sie »manuell schnellstmöglich alle Titel, über die wir Kenntnis erlangen«, von ihrer Webseite entfernen wollen. »Darüber hinaus suchen wir den Schulterschluss mit unseren Branchenpartnern und Lieferanten, um auch langfristig Lösungen zu finden«. Denn »um eine große Verfügbarkeit an Büchern für unsere Kundinnen und Kunden zu ermöglichen, beziehen wir die Titel für unseren Onlineshop von großen Barsortimenten, auf die die gesamte Buchbranche zugreift«. Das Problem antisemitischer oder rechtsradikaler Inhalte »ist in diesem Rahmen leider bekannt«, aber »der Buchhandel stößt jedoch bei dem Versuch, diese Inhalte, z. B. durch entsprechende Schlagworte, herauszufiltern, aktuell an Grenzen«. Die Herausgeber würden eine Sperre der Publikationen verhindern, »indem sie beispielsweise für die gleichen Titel immer wieder neue ISBN-Nummern oder Verlagsnamen vergeben«. In dem Fall seien die Buchhändler »tatsächlich auf Unterstützung angewiesen«, so die Sprecherin. 

 

 Quelle: Carmela Negrete: Saat des Hasses, in: junge Welt, 17.1.2024, S. 15

 

 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Ihr könnt Eure Kommentare vollständig anonym abgeben. Wählt dazu bei "Kommentar schreiben als..." die Option "anonym". Wenn Ihr unter einem Pseudonym schreiben wollt, wählt die Option "Name/URL". Die Eingabe einer URL (Internet-Adresse) ist dabei nicht nötig.

Wir freuen uns, wenn Ihr statt "Anonym" die Möglichkeit des Kommentierens unter Pseudonym wählt. Das Kommentieren und Diskutieren unter Pseudonym erleichtert das Austauschen der Argumente unter den einzelnen Benutzern.