Donnerstag, 12. Oktober 2023

Vom langsamen Sinkflug in den freien Fall

 Zur Gehaltsentwicklung bei Hugendubel


Vor dem Hintergrund des seit sieben Monaten andauernden Tarifkonfliktes und der am Dienstag von der Hugendubel-Geschäftsführung verkündeten „freiwilligen Tariferhöhung“ von 5,5% ist eine Analyse der langfristigen Lohnentwicklung bei Hugendubel notwendig, um aktuelle Entwicklungen richtig einordnen zu können. Die hier getroffenen Aussagen beziehen sich auf das bayerische Tarifgebiet bei Hugendubel.

Das Statistische Bundesamt veröffentlichte kürzlich eine Übersicht über die Lohnentwicklung anhand von 60 verschiedenen Berufen zwischen 2014 und 2022. Bei dem großen Hauptteil der untersuchten Berufsgruppen konstatierte man eine Gehaltserhöhung zwischen 20% und 25%.

Bei Hugendubel verdiente man 2014 in der TG II als Buchhändler*in 2164 EUR brutto. 2022 waren es 2320 EUR brutto. Das sind knapp 8% Lohnzuwachs innerhalb des untersuchten Zeitraumes von neun Jahren. Durch diese langfristige negative Tendenz im Buchhandel ist es auch zu erklären, wie es dazu kommen konnte, dass der Einzelhandel mittlerweile um ca. 500 - 800 EUR davongezogen ist. Konkret: an der Kasse von Penny verdient man aktuell vom ersten Tag an 17,48 EUR pro Stunde brutto, das sind monatlich bei einer 37,5 Std. Woche 2849 EUR brutto , was der TG IV Stufe 5  im aktuellen Buchhandels-Entgelttarif entspricht.

Wichtig bei der Analyse des Gehaltsniveaus ist immer die Entwicklung der Reallöhne, d.h. der Zusammenhang von Lohnerhöhung und Inflationsrate. Hier lässt sich für die BRD zwischen 2018 und 2023 folgende Inflationsentwicklung beobachten:

2018: 1,8%       2019: 1,4%       2020: 0,5%       2021: 3,1%       2022: 7,9%       2023: 5,9 %

Der Zeitraum von 2018 bis 2023 wurde gewählt, weil er sich gut mit dem Zeitraum des 2022 in Kraft getretenen Tarifabschlusses vergleichen lässt, der ebenfalls den Zeitraum von 2018 bis 2023 umfasst.

Hier wurde zwischen dem bayerischen Arbeitgeberverband Buchhandel/Verlage und der ver.di-Tarifkommission eine Lohnerhöhung von 4,9% verhandelt. Das entspricht im genannten Zeitraum einer jährlichen Gehaltserhöhung von 0,98%. Vergleicht man diese Zahl mit den oben genannten Inflationsraten, so ergeben sich bis auf das Jahr 2020 mit einer Inflationsrate von 0,5% für die Beschäftigten jedes Jahr Reallohnverluste von 0,4% (2019) bis zu 5,9% (2022).

Die Verhandlungen in der Tarifrunde 2022 wurden vom klaren Bekenntnis der Arbeitgeberseite begleitet, in künftigen Tarifrunden das Einkommens-Gap vor allem der im Buchhandel Beschäftigten Schritt für Schritt abzubauen. Davon ist in der aktuellen Tarifrunde absolut nichts zu erkennen. Ganz im Gegenteil.

Da der aktuelle Entgelttarifvertrag am 31.März 2023 endete, liegen zwischen dem 1. April 2023 und dem 31. Oktober 2023 sieben Nullmonate. Dieses Geld hat sich Hugendubel schon mal gespart.

Es entspricht einer seit Jahren um sich greifenden Unsitte auf Kapitalseite, nach dem Auslaufen eines Entgelt-Tarifvertrages nicht einen unmittelbar folgenden Tarifabschluss zu realisieren, sondern mit Nullmonaten die Beschäftigten erst einmal hinzuhalten. Das widerspricht dem Geist des Tarifvertragssystems und unterhöhlt dessen Grundprinzipien. Es ist natürlich auch eine Machtfrage, inwieweit die Beschäftigten sich dies bieten lassen bzw. mit der realen Drohung eines Arbeitskampfes ein solches Verhalten erst gar nicht aufkommen lassen.

Betrachten wir die angekündigten 5,5% der Hugendubel-Geschäftsführung etwas näher. Diese Erhöhung soll ab dem 1. November 2023 gezahlt werden. Eine Einordnung der Lohnerhöhung von 5,5% ist derzeit aber gar nicht möglich, da nicht bekannt ist, für welchen Zeitraum denn diese Erhöhung überhaupt gedacht ist. Das ist nämlich immer die Schlüsselfrage.

Betrachten wir die Reallohnentwicklung von 2018 bis 2023 – also die Lohnsteigerungen zusammen mit der Inflationsrate – dann ergibt sich ein Reallohnverlust von knapp 9%. Dies ist umso schwerwiegender, da sich ein Großteil der Beschäftigten bei Hugendubel im Niedriglohnsektor befindet. Dieser lag 2018 laut Auskunft der Agentur für Arbeit in München bei 2779 EUR in München. 2023 wird dieser voraussichtlich bei ca 3000 EUR liegen, mit in Zukunft steigender Tendenz.

Das Stichwort Zukunft weist noch auf einen anderen Punkt hin, der für die Hugendubel-Beschäftigten eine schlimme Perspektive bereithält: nämlich der Zusammenhang von Lohn und Rente. Denn wer in der Gegenwart sich im Niedriglohnsektor befindet, wird im Alter in der Altersarmut landen.

Wahrheit ist immer konkret, sagte mal ein bedeutender Mann, daher auch hier konkrete Zahlen: wer eine Rente von 1000 EUR haben will, muss laut Statistischem Bundesamt 40 Jahre in Vollzeit ohne Unterbrechung monatlich 2844 EUR brutto verdienen, wer gar 1200 EUR Rente haben möchte, der benötigt 40 Jahre lang monatlich 3413 EUR.

Fassen wir zusammen: die Beschäftigten von Hugendubel haben, was ihr Gehalt betrifft, einen jahrzehntelangen Sinkflug hinter sich, der jetzt inflationsbedingt in den freien Fall übergegangen ist.

Die Gehaltserhöhung von 5,5% ist vollkommen unzureichend.

Weitere Arbeitskämpfe sind notwendig und müssen entschlossen geführt werden.

 



2 Kommentare:

  1. 5,5 % mehr, soll ich jetzt vor Dankbarkeit auf die Knie fallen? Das reicht hinten und vorne nicht... Das bekommen übrigens alle anderen im Handel auch schon mal so hingeschmissen... Erbärmlich wie die Arbeitgeberseite versucht die Beschäftigten zu verarschen. Andere Worte fallen mir da leider nicht mehr ein...

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    1. Vielen, lieben Dank für diese aufschlussreichen Daten und die hierfür erarbeiteten Recherchen; dieser Text sollte als Antwort auf die Mitteilung der Geschäftsleitung zur freiwilligen Tariferhöhung zumindest in Bayern an jedes Schwarze Brett des Betriebsrats gehängt werden!

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