Interview mit dem Betriebsrat Vinko Vrabec
Wie geht es einem Betriebsrat im Einzelhandel? Die Branche ist nicht erst seit der Corona-Krise in schwerem Fahrwasser. Amazon und Co verdrängen stationäre Händler, der Umsatz wird mehr und mehr online gemacht. Für die Reihe „mitbestimmen“ hat der kda mit Vinko Vrabec über den Umgang mit Stellenabbau, schwierige Betriebsratsgründungen und die eigene Motivation gesprochen. Vrabec ist seit 16 Jahren Betriebsrat in der Rosenheimer Filiale des Elektrohändlers Media Markt.
kda: Herr Vrabec, was hat Sie ursprünglich motiviert, Betriebsrat zu werden, gab es da ein Schlüsselerlebnis?
Vinko Vrabec: Es ging eigentlich um Ungerechtigkeiten. Vor 16 Jahren sind wir in unserem Markt darauf gekommen, dass alle Kolleginnen und Kollegen verkehrt eingruppiert waren. Außerdem hatte der Verkaufsleiter damals einen Detektiv im Haus dafür eingesetzt, nicht nur Ladendiebe, sondern auch Mitarbeiter zu überwachen. Eine ziemliche Repressalie. Da haben wir einen Betriebsrat gegründet und ich habe mich zur Wahl gestellt. Nach der Betriebsratsgründung hat man den Detektiv dann irgendwann tatsächlich auch abgeschafft.
Wie waren die Anfänge im Betriebsrat für Sie?
Die ersten paar Jahre waren schwer. Ich war naiv und dachte, mit einem Betriebsrat ändern wir sehr schnell, sehr viel. Doch die Zusammenstellung des Betriebsrats war anfangs recht arbeitgeberfreundlich. Wie gut man etwas durchsetzen kann, hängt auch mit der Unterstützung durch die Gewerkschaft und dem Organisationsgrad der Beschäftigten zusammen. Ich glaube, im Laden hatten wir anfangs unter den damals hundert Angestellten nicht mehr als drei bis fünf Gewerkschafter. Jetzt, nach 16 Jahren, haben wir bei uns einen Organisationsgrad von über 50 Prozent. So eine Entwicklung dauert einfach länger. Ohne einen gewissen Organisationsgrad und einen Rückhalt in der Belegschaft scheitert manchmal schon die Gründung eines Betriebsrates. Ich war selbst bei zwei versuchten Gründungen in anderen Märkten dabei. Da kam es nicht einmal zur Wahl, weil die Leute, die einen Betriebsrat gründen wollten, gekündigt oder rausgekauft wurden.
Sind die Rahmenbedingungen für Betriebsratsgründungen inzwischen besser geworden? Das neue Betriebsrätemodernisierungsgesetz verspricht, die Wahl von Betriebsräten zu erleichtern und Wahlbehinderungen zu erschweren.
Der Ansatz ist sicher gut. Arbeitgeber haben zwar trotzdem noch viele Möglichkeiten, Betriebsräte loszuwerden. Aber ich sehe es positiv. Wenn man als Betriebsrat etwas will, dann kann man auch etwas erreichen. Man braucht dafür ein gesundes Umfeld, also Kolleginnen und Kollegen, die aktiv einen Betriebsrat gründen und auch solche, die ihn unterstützen. Ein Problem ist die Fluktuation. In den letzten vier Jahren haben bei uns in Rosenheim insgesamt 37 Kolleginnen und Kollegen das Unternehmen verlassen. Wenn ich im Betrieb einen Organisationsgrad von 50 Prozent halten will, dann bin ich natürlich in einer Dauerwerbephase und das macht es schwieriger.
Warum verlassen so viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Ihr Unternehmen?
Im Einzelhandel meckern alle, dass sie keine guten Fachkräfte mehr bekommen, aber sie tun auch nichts dafür, dass Fachkräfte bleiben. Das hat einmal mit der Bezahlung zu tun, aber auch mit anderen Sachen. Wir bräuchten bessere Arbeitszeitmodelle oder auch Vergünstigungen für die Beschäftigten, wie zum Beispiel ein kostenloses Job-Rad. Es gibt viel, was die Arbeitgeberseite tun könnte, um die Stellen attraktiver zu machen. Aber ich denke, sie will den stationären Handel nicht mehr. Der Handel wird einfach noch stärker online stattfinden. Bei uns ist die Gewichtung, dass künftig nur noch 30 bis 40 Prozent des Geschäfts stationär sind und der Rest online. Die Media Märkte, die jetzt noch da sind, sollen verkleinert werden. Unser Markt hat über 4.000 Quadratmeter und soll sukzessive auf 2.500 oder 2.800 Quadratmeter runtergebaut werden. Machen wir uns nichts vor: Das heißt, dass wir in Lager, Logistik und Service irgendwann einfach dreißig Beschäftigte weniger haben.
Wie agiert man als Betriebsrat, wenn die Beschäftigten Angst um Ihre Arbeitsplätze haben?
Als Betriebsrat konnten wir eine geplante Betriebsänderung bisher noch verhindern. Aber letztlich werden wir die Schäden nur abmildern. Wir wollen keine Ängste schüren, aber wir müssen die Beschäftigten darüber informieren, was das für sie bedeutet. Auf eine Art sind wir auch Seelsorger für die Kolleginnen und Kollegen. Was wir ihnen mitgeben wollen ist, dass sie eine Perspektive haben – entweder außerhalb der Firma oder innerhalb, wenn sie sich vielleicht weiterqualifizieren. Wobei unsere Zentrale Weiterqualifizierungen nicht unbedingt unterstützt. Die will künftig eher günstigere Arbeitskräfte haben. Ich muss mir als Betriebsrat in so einer Krise ein Kostüm anziehen, in dem ich sehr hart gegenüber dem Arbeitgeber agiere – nicht immer, aber oft. Die große Kunst ist es, sich selbst nicht frustrieren zu lassen. Am Ende des Tages bin ich ja auch ein Arbeiter, der morgen vielleicht seinen Job nicht mehr hat.
Gibt es denn auch Kooperationen zwischen dem Betriebsrat und der Geschäftsführung?
Die gab es früher schon, aber heute sind die Verhandlungen meistens sehr schwierig. Ein Beispiel: Im Jahr 2020, als Corona losging, haben wir als Betriebsrat gesagt: „Lasst uns gemeinsam die Kolleginnen und Kollegen so gut wie möglich vor Infektionen schützen.“ Wir wollten Plexiglasscheiben an den Kassen und einen zweiten Pausenraum. Wir hatten zusammen mit einem Sachverständigen auch einen Plan dafür ausgearbeitet, der hätte 8.000 Euro gekostet. Doch der Arbeitgeber hat sich dagegen gewehrt. Am Schluss landeten wir damit in der Einigungsstelle, wo wir zu 95 Prozent Recht bekamen. Nur kostete der ganze Spaß dann 30.000 Euro. Die Arbeitgeberseite hätte ohne die ganze Streiterei dem Unternehmen viel Geld sparen können und uns allen viel Energie.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Vrabec!
Interview: Philip Büttner, kda München
Quelle: kda
Wenn man das Interview liest, bekommt man eine Ahnung davon, wie gute Betriebsratsarbeit aussehen könnte. Bei Hugendubel ist dies eher nicht der Fall. Beispiel Kurzarbeit: Die Filialleitung händigte unserem Betriebsrat eine betriebsvereinbarung der Geschäftsführung aus,die binnen einer Stunde zu unterschreiben sei. Und sie wurde binnen einer Stunde unterschrieben. dafür brauche ich keinen BR. Anscheinend hat sich als einziger der Frankfurter Betriebsrat dagegen gewehrt. Sogar der grosse Münchener BR nickte das Diktat widerstandslos ab.
AntwortenLöschenKann ich leider nur bestätigen.
LöschenAls Mitglied des Münchener Betriebsrats kann ich mich nicht erinnern, je ein Diktat abgenickt zu haben - und widerstandslos schon gleich gar nicht. Und für meine Kolleg*innen gilt dasselbe. Tatsache ist, dass in München erst über eine Betriebsvereinbarung zur Kurzarbeit und dann auch über deren Verlängerung jeweils mehrere Wochen verhandelt wurde - wobei der Verhandlungsspielraum aufgrund der ohnehin prekären wirtschaftlichen Situation, der Corona-Lockdowns und Umsatzrückgänge nicht besonders groß war. Da holt ein Betriebsrat nicht so viel raus, als wenn es um ein paar Plexiglasscheiben geht. Unser Hauptanliegen konnte nur sein, dass möglichst keine Kollegin und kein Kollege bei den Arbeitseinsätzen benachteiligt wird. Und ich kann mich übrigens auch nicht erinnern, dass irgendwer aus der Belegschaft uns wegen der Zustimmung zur Kurzarbeit je kritisiert hätte. Im Gegenteil: einige, die Angst um ihre Jobs hatten, wollten den Münchener Betriebsrat am Anfang sogar drängen, allen Arbeitgebervorschlägen sofort und ohne Wenn und Aber zuzustimmen - was wir aber nicht getan haben. Stattdessen haben wir mehrmals an andere Betriebsratsgremien appelliert, nicht vorschnell und bedingungslos Ja zu sagen - worauf die uns meist nicht mal geantwortet haben.
LöschenVielleicht also erst mal nachdenken, dann erst kommentieren und dabei, wenn das nicht zu viel verlangt ist, halbwegs fair bleiben!
Also hat der Münchener Betriebsrat jetzt das Papier, das ihm die Geschäftsführung hingeknallt hat, wie fast alle anderen Hugendubel-BRs ohne jede Änderung jetzt unterschrieben oder nicht? Man sollte nicht nur fair, sondern auch bei der Wahrheit bleiben.
LöschenDanke, dass ihr nicht gegendert habt, dadurch war das interessante Interview besser lesbar. Ich bin übrigens mit der Arbeit des Münchner Betriebsrats insgesamt sehr zufrieden - nobody is perfect.
AntwortenLöschenKannst gern bei deinen alternativen Wahrheiten bleiben und sie auch gern so oft wiederholen, bis man sie dir glaubt - das liegt ja heute im Trend! Was aber tatsächlich passiert ist, also außerhalb deines Kopfes, ist genau das, was der Betriebsratskollege geschrieben hat.
AntwortenLöschenVerstehen Sie nicht oder haben Sie bloß knallige Phantasien? Er hat nichts Hingeknalltes unterschrieben, sondern verhandelt - und dafür gesorgt, dass niemand benachteiligt wird: z.B. dass nach den Lockdowns alle arbeiten konnten - und nicht, wie von der Firma zuerst geplant, nur Filialleiter und Auszubildende. Ich habe mich darüber sehr gefreut. weil ich sonst nicht gewusst hätte, wie ich meine Wohnung und mein Essen bezahlen soll. Natürlich wäre es schöner gewesen, wenn unser Betriebsrat noch mehr erreicht hätte. Aber das ist auch dem Frankfurter Betriebsrat nicht gelungen. Das ist die Wahrheit! Einige Leute sprechen in solchen Fällen übrigens auch von Realität - und die ist nicht immer knallig, sondern manchmal auch knallhart.
AntwortenLöschenEs ist ein Unterschied, ob ich sage, dass jemand eine Currywurst isst, oder ob ich sage, dass er sie in sich hineinstopft. Wer ein ernsthaftes Interesse an der Wahrheit hat, sollte daher besser nicht mit vergifteten Frames wie „Diktat abnicken“ oder „hinknallen“ arbeiten.
AntwortenLöschenDass unser Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung zu Kurzarbeit abgeschlossen hat, ist die Wahrheit – und war pandemiebedingt und betriebswirtschaftlich in unserer Firma anders nicht möglich. Das Bild von der zitternden Memme, die vom Chef etwas hingeknallt und diktiert kriegt – „Du wirst jetzt sofort unterschreiben!“ – und aus lauter Angst auch gleich gehorcht, hat hingegen mit Wahrheit nicht viel zu tun, sondern ist nur deren böswillige Deutung.
Die Frustration dahinter verstehe ich zwar sehr gut – und würde wie der Vinko auch gerne sagen können: „Wenn man als Betriebsrat etwas will, kann man es auch erreichen.“ Aber leider gibt es im richtigen Leben auch die Fälle, wo du dir als Betriebsrat wie derselbe Vinko in demselben Interview sagen musst: „letztlich werden wir nur Schäden abmildern.“
Es gab hier im Blog mal eine Satire auf eine fiktive (?) Betriebsrats-Liste namens ILMA-UUDA: Ich liebe meinen Arbeitsplatz - und unterschreibe dafür alles.
LöschenEs gab hier im Blog auch manchmal intelligente Kommentare.
AntwortenLöschenEs ist schon faszinierend, was manche Leute so alles aus der Mottenkiste kramen, wenn sie unbedingt im Recht sein wollen. Wie wärs noch mit ein paar Vergleichen aus der Geschichte - Versailler Schandvertrag oder sowas? Würde doch passen!
AntwortenLöschenILMA-UUDA scheint ja voll den Nerv getroffen zu haben.
LöschenNicht alles, was nervt, trifft einen Nerv.
AntwortenLöschenGetroffene Hunde bellen laut, beissen aber nicht.
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