Donnerstag, 23. Mai 2013

"Verstehen, dass man sich organisieren muss, um die Welt zu verändern"

Interview mit Billy Bragg

Der glühende Sozialist Billy Bragg erlebte als junger Mann die Zerschlagung der englischen Gewerkschaften und wütete mit seinen Protestsongs dagegen an. Bis heute kämpft und klampft der 55-Jährige gegen einen deregulierten Markt und unterstützt Arbeitskämpfe, Streiks und Gewerkschafts­versammlungen – auch in Deutschland. Nach fünf Jahren meldet er sich mit einem neuen Album zurück. Mit ver.di PUBLIK unterhielt er sich über Heuchler im Publikum, angemessene Löhne und die Bedeutung von Musik.

Billy Bragg:  Für wen ist dieses Interview jetzt? Für die Gewerkschaftszeitung oder das Gitarrenmagazin?

ver.di PUBLIK:  Für beide.
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Billy Bragg (auf Deutsch):  Scheiße! Jetzt willst du wissen, ob meine Gitarre in einer Fabrik mit Betriebsrat hergestellt wurde?
"Punkrock ist eine Form der Folkmusik"


ver.di PUBLIK:   Gute erste Frage! Darauf wäre ich nicht gekommen. Also: Wurde sie?

Billy Bragg:   Schwer zu sagen. Die Gitarre, die ich im Moment spiele, ist eine L-Double O und wurde 1935 in Kalamazoo, Michigan gefertigt. Möglicherweise gab es in der Fabrik keine Gewerkschaft. Aber vielleicht hat Woody Guthrie sie gespielt! Das wäre ein Plus.

ver.di PUBLIK:  Wo hast du sie her?

Billy Bragg:  Ich habe sie vor ein paar Jahren in London gekauft. Als die Arbeit am neuen Album anfing, bat mich Joe Henry, der Produzent, meine Gitarren zu Hause zu lassen. Er meinte, er würde mir welche zur Verfügung stellen. Die einzigen, die er im Überfluss hat, sind L-oo's. Als ich mit den Aufnahmen fertig war, sollte ich ein paar Gigs mit Woody-Guthrie-Stücken spielen, zu seinem hundertsten Geburtstag. Ich fand es passend, dazu die Art Gitarre zu spielen, die er auch spielte, also habe ich mir eine L-00 besorgt.

ver.di PUBLIK:  Da wir schon mal dabei sind: Deiner Vertonung von Texten aus Woody Guthries Nachlass hast du es zu verdanken, dass du in Bob Dylans Memoiren erwähnt wirst. Ist das eine Ehre?

Billy Bragg:  Ich kann gut darauf verzichten, von der Queen zum Ritter geschlagen zu werden. In Bob Dylans Buch erwähnt zu werden, ist besser.

ver.di PUBLIK:  In dem Buch steht ja auch, dass Dylan sich berufen fühlte, die Texte selbst zu vertonen.

Billy Bragg:  Vielleicht wäre er der Richtige gewesen. Am Ende war es aber besser, dass er stattdessen seine eigenen Songs geschrieben hat. Wenn er damals an Guthries Texte herangekommen wäre, hätte er vielleicht nie A Hard Rain's Gonna Fall geschrieben oder Subterranean Homesick Blues.


"Ich war an vorderster Front, um herauszufinden, ob Pop und Politik zusammenpassen"


ver.di PUBLIK:  Wir treffen uns hier im Berliner Ramones-Museum. Du hast gerade erst den BBC Radio 2 Folk Award gewonnen. Wie passen Folk und Punkrock zusammen?

Billy Bragg:  Punkrock ist eine Form der Folkmusik. Er ist eine Musik, die von Menschen zu ihrem eigenen Vergnügen gemacht wird und die ihnen nicht von einem Coach aufgedrückt wurde. Der Kern des Punkrock ist die Do-it-yourself-Idee. Punkrock ist keine Hose und kein Klamottenstil, er ist eine Haltung. Die gleiche Do-it-yourself-Idee findest du auch im Folk.

ver.di PUBLIK:  Als du anfingst, allein mit deiner E-Gitarre aufzutreten, haben die Leute es damals als Folk wahrgenommen?

Billy Bragg:  Nein. Während der Bergarbeiterstreiks in den 80ern in England fuhr ich mit meiner E-Gitarre nach Norden, zu den Kohleminen. Vor mir trat ein 80-jähriger Mann auf, er saß einfach nur da und sang ohne irgendwelche Begleitung. Seine Songs waren noch politischer als meine eigenen. Da ging mir auf, dass Folk sehr politisch ist. Sie ist Teil einer politischen Tradition. Ich musste meine Songs überdenken und schrieb dann Between the Wars. Das ist eine Art Folk-Song. Ich wollte dieser Tradition Respekt zollen. Indem ich als Punkrocker zu den Minen fuhr, wurde ich Teil dieser Tradition.


 "There's Power In A Union"


ver.di PUBLIK:  Warum bist du damals überhaupt zu den Streikenden gefahren?

Billy Bragg:  Ich habe immer Musik gehört, in der es um politischen Wandel ging. Hier gab es die Möglichkeit herauszufinden, ob meine Musik in einem wirklichen politischen Kampf irgendeine Bedeutung haben könnte. Ich war an vorderster Front, um herauszufinden, ob Pop und Politik zusammenpassen.

ver.di PUBLIK:  Heute Morgen im Radio lief ein Mitschnitt von deinem Radioauftritt gestern Abend in Berlin. Das Stück, das sie ausgewählt haben, war There's Power In A Union - Da ist Kraft in der Gewerkschaft. Das ist einer deiner alten Songs...

Billy Bragg:  Für mich ist der nicht alt! Er hat Wurzeln, die lange zurückreichen. Der Grund, warum die Wirtschaft in Amerika 2008 zusammenbrach, ist, dass Banken Leuten Geld geliehen haben, die sich ihre Hypotheken gar nicht leisten konnten. Ihre Hypotheken konnten sie sich nicht leisten, weil sie keinen angemessenen Lohn bekamen. Einen angemessenen Lohn hatten sie deshalb nicht, weil es an ihrem Arbeitsplatz niemanden gab, der in ihrem Sinne gegenüber dem Arbeitgeber um einen angemessenen Lohn gekämpft hätte. Dass wir jetzt unter der Finanzkrise leiden, liegt also daran, dass es in den USA de facto keine Gewerkschaften gibt. In den USA gab es dreißig Jahre lang keine Lohnsteigerungen. In meinem Land sind es jetzt acht Jahre. Und jetzt haben wir eine Wirtschaftskrise aus mangelnder Nachfrage. Niemand gibt Geld aus. Alle haben Angst, dass sie ihren Job verlieren oder keine Rente bekommen oder kein Zuhause haben. Der einzige Weg, wie man die Wirtschaft wieder in Gang bekommt, ist, dass einfache arbeitende Leute Geld in der Tasche haben. Das wird aber dadurch verhindert, dass Margret Thatcher die Gewerkschaften zerstört hat. Niemand, keine einzige politische Partei sagt, wir müssen die Arbeiter angemessen bezahlen. Das sagt niemand, nur die Gewerkschaften. Mein Song ist heute zu hundert Prozent genauso wichtig wie damals, als ich ihn schrieb.

ver.di PUBLIK:  Du bist demnach Gewerkschaftsmitglied?

Billy Bragg:  Mitglied der Musikergewerkschaft, selbstverständlich!

ver.di PUBLIK:  Und du verfolgst die Entwicklung der Gewerkschaften?

Billy Bragg:  Ja, besonders im Ausland. Ich kann zum Beispiel nicht nach Deutschland kommen und auf der Veranstaltung einer politischen Partei spielen. Als Ausländer kann ich das nicht tun. Ich wäre auch nicht so froh darüber, wenn jemand aus Deutschland nach England käme und ein Konzert für die Labour Party oder eine andere Partei geben würde. Aber die Gewerkschaften sind international, sie sprechen über die gleichen Themen. Da kann ich spielen! Ich habe bei Gewerkschaftsveranstaltungen in Amerika und Kanada gespielt, auch hier in Berlin. Die Gewerkschaften sprechen die sozialen, politischen und ökonomischen Themen an, die mir wichtig sind. Die SPD und die Labour Party machen das nicht mehr.

ver.di PUBLIK:  Danach wollte ich gerade fragen. Ich habe hier ein altes Songbuch von deiner Platte Back to Basics. Ich habe damit Gitarre spielen gelernt...

Billy Bragg:  Ach du Scheiße! Und kannst du wirklich spielen? (hustet)

ver.di PUBLIK:  Ich habe seitdem sogar noch ein paar Songs mehr gelernt. Hier hinten ist ein Foto von dir mit Neil Kinnock, dem damaligen Vorsitzenden der Labour Party, und ein Beitrittsformular.

Billy Bragg:  Das waren andere Zeiten. Die Labour Party war die einzige Alternative zu Margaret Thatcher.

ver.di PUBLIK:  Heute gäbe es das in deinen Büchern nicht mehr?

Billy Bragg:  Die Labour Party hätte gar kein Interesse daran.

ver.di PUBLIK:  Hat das auch mit Tony Blair zu tun?

Billy Bragg:  Er war mit meiner Politik nicht einverstanden. Er wollte lieber Oasis in die Downing Street einladen. Ich habe ein Foto von ihm und Noel Gallagher gesehen, sie haben sich über Britpop unterhalten, über Cool Britannia und sowas. Wenn ich da hingefahren wäre und Power in a Union gesungen hätte, hätte er das sicher nicht hören wollen. Natürlich gibt es in der Labour Party noch gute Leute. Im letzten Wahlkampf habe ich mit einigen zusammengearbeitet, um die Faschisten der British National Party zu stoppen. Aber Labour ist nicht mehr meine Partei.

(...)

ver.di PUBLIK:  Es hat auch damit zu tun, dass um die Jahrtausendwende die SPD in Deutschland und Labour in Großbritannien einen neoliberalen Kurs eingeschlagen haben, wie man ihn nicht einmal den Christdemokraten zugetraut hätte.

Billy Bragg:  Das passiert, wenn du alles dem Markt überlässt. Dann steht irgendwann alles zum Verkauf – Politiker inklusive. Kapitalismus ist ein wichtiger Mechanismus für den Austausch und für die Sehnsüchte der einfachen Leute.

(...)
"Das eigentliche Handeln muss von den Menschen kommen!"


ver.di PUBLIK:  Musiker sind schon lange Freiberufler.

Billy Bragg:  Kleinunternehmer!...

ver.di PUBLIK:  ...die schon seit vielen Jahren in prekären Arbeitsverhältnissen leben. Du bist Mitglied der Musikergewerkschaft. Was kann sie für Musiker tun?

Billy Bragg:  Sie kann sicherstellen, dass die Gagen dem Lebensstandard angepasst sind, dass du krankenversichert bist, der Arbeitsplatz sicher ist. Sie kann dazu beitragen, dass die Auftraggeber gegenüber den Auftragnehmern verantwortlich sind. Ich glaube, dass Verantwortlichkeit eine große Idee ist, die die Stelle des Sozialismus einnehmen kann - in dem Sinne, dass sie einen Rahmen für eine bessere Gesellschaft darstellt. Gewerkschaften sind dazu da, in einem kapitalistischen System die Arbeitgeber nicht aus ihrer Verantwortung gegenüber den Beschäftigten zu entlassen.

ver.di PUBLIK:  Einmal genereller gefragt: Kann Musik die Welt verändern?

Billy Bragg:  Nein. Das zu verlangen wäre unverantwortlich. Die Welt zu verändern, verlangt enorme Anstrengungen. Auf einem Konzert sind die einzigen Leute, die die Welt verändern können, das Publikum. Sie sind die einzigen, die dafür verantwortlich sind, die Welt zu verändern. Wenn ich Power in a Union singe, klatschen alle. Wenn sie dann wieder gehen und die Gewerkschaften doch nicht unterstützen, sind sie Heuchler. Sie müssen selbst aktiv werden. Mein Job ist es, ihnen einen anderen Blickwinkel auf die Welt zu eröffnen. Ich kann ihren Blickwinkel verändern, aber das eigentliche Handeln muss von den Menschen kommen, die zusammenfinden und sich organisieren. Das musste sogar Occupy erfahren: Es reicht nicht, einen Trommelkreis im Park zu bilden. Jetzt sind sie in New Jersey, wo Hurricane Sandy ganze Gemeinden zerstört hat, und organisieren die Aufräumarbeiten. Sie verstehen, dass man sich organisieren muss, um die Welt zu verändern.

ver.di PUBLIK:  Das klingt aber doch so, als könne die Musik etwas bewirken.

Billy Bragg:  Aber zu sagen, Musik verändere die Welt, würde das Publikum aus seiner Verantwortung entlassen. Stell dir vor, es kommt jemand zu deinem Gig, der an seinem Arbeitsplatz immer wieder Zeuge von Rassismus wird. Er ist gegen Rassismus, aber er fühlt sich in einer Minderheit. Wenn der jetzt zu deinem Konzert kommt und alle singen dort All You Fascists Are Bound To Loose, dann wird er feststellen, dass er nicht allein ist. Dieses Zusammengehörigkeitsgefühl kann seine Batterie wieder aufladen. Er geht dann zurück an die Arbeit und findet vielleicht den Mut, seine Stimme gegen den Rassismus zu erheben. Das kann Musik bewirken - aber nicht ich.   (...)

Das vollständige Interview mit Billy Bragg (geführt von Martin Kaluza) findet sich in der April-Ausgabe der monatlich ver.di-Mitgliederzeitschrift ver.di Publik: http://publik.verdi.de/2013/ausgabe-02/spezial/generationen/seiten-20-21/A0



There is Power in a Union





There is power in a factory, power in the land
Power in the hands of a worker
But it all amounts to nothing if together we don't stand
There is power in a union

Now the lessons of the past were all learned with workers blood
The mistakes of the bosses we must pay for
From the cities and the farmlands to trenches full of mud

War has always been the bosses way, sir
The union forever defending our rights
Down with the blackleg, all workers unite

With our brothers and our sisters from many far off lands
There is power in a union
Now I long for the morning that they realize
Brutality and unjust laws can not defeat us

But who'll defend the workers, who cannot organize
When the bosses send their lackies out to cheat us?
Money speaks for money, the devil for his own
Who comes to speak for the skin and the bone

What a comfort to the widow, a light to the child
There is power in a union
The union forever defending our rights
Down with the blackleg, all workers unite

With our brothers and our sisters, together we will stand
There is power in a union











2 Kommentare:

  1. ich habe gerade den text gelesen, besser gesagt - verschlungen. wow!

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  2. Wenn Dir das Billy-Bragg-Interview gefallen hat, könnte Dich vielleicht auch dieser Artikel interessieren: http://hugendubelverdi.blogspot.de/2011/10/internationalists.html

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